Freies ECM - günstiger und besser?

Die Auswahl an Open-Source-Anwendungen für Enterprise Content Management ist nicht gross. Einzelne Vertreter sind aber durchaus Enterprise-tauglich.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/11

     

Open Source ist in den meis­ten Unternehmen längst von einer Ausnahmeerscheinung zum Normalfall geworden. Kaum eine grös­sere Firma in der Schweiz setzt nicht auf Linux, Apache, MySQL oder JBoss. Open-Source-Alternativen gibt es auch im Umfeld von Enterprise Content Management. Dies erkennen immer mehr Informatik-Organisationen. Einige dieser Alternativen können den kommerziellen Platzhirschen durchaus das Wasser reichen und bieten bezüglich Kosten, Integrations- und Innovationsfähigkeit sogar wesentliche Vorteile.

Freies Dokumenten-Management

Enterprise Content Management ist eine noch relativ junge Disziplin in der Informatik und beschreibt eine Reihe von Teildisziplinen rund um den Umgang mit Inhalten, Dokumenten und sogenannten «Digital Assets». Die populärste Teildisziplin ist Web Content Management. Die entsprechenden Lösungen werden CMS (Content Management System) genannt. Über 2000 Open-Source-CMS-Lösungen sind bekannt, neue Alternativen kommen täglich dazu. Im Rahmen dieses Artikels sollen aber CMS ausgeklammert und der Fokus statt-dessen auf Document Management und Collaboration gelegt werden.


Vier hauptsächliche Use Cases werden mit DMS- und Collaboration-Lösungen abgedeckt:




- Dokumente werden in einem «zentralen» Repository gespeichert und gemeinsam genutzt. Dieses Repository stellt oftmals auch die Basis für «Knowledge Management» dar. Im Zentrum der Bemühungen steht oftmals die Ablösung unkoordinierter File-Server.



- Dokumente müssen aus betrieblichen oder auch rechtlichen Gründen langfristig gesichert, archiviert und eingefroren («Records Management») werden.



- Teams sollen virtuelle Umgebungen nutzen, um gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten. Der Austausch von Informationen soll dabei nicht über E-Mails erfolgen.



- Geschäftsprozesse sollen durch Dokumenten- oder Formular-basierte Workflows unterstützt und gesteuert werden.
Diese Use Cases kommen oftmals nicht einzeln, sondern in Kombination vor.



Die Anbieterlandschaft ist reichhaltig. Während die grossen kommerziellen ECM-Plattformen FileNet (IBM), Documentum (EMC) und InfoText alle Use Cases abdecken, fokussieren Microsoft Sharepoint, IBM Lotus Notes/Quickr oder auch der weniger bekannte Anbieter O3 auf Kollaborationsaspekte, eine Horde von mittelständischen Anbietern auf typische Document-Management-Aspekte wie zentrale Speicherung und Archivierung. Eine spezielle Rolle nehmen reine Content Repositories ein, wie sie durch den Java-Standard JSR170/283 postuliert werden. Neben den grossen kommerziellen Anbietern wie IBM und Oracle haben sich hier Nischenanbieter wie Day, aber insbesondere auch Open-Source-Projekte wie Jackrabbit etabliert. Im Gegensatz zu Content Management gibt es relativ wenige Open-Source-Document-Management-Lösungen. In den letzten zwei Jahren kamen kaum neue Technologien dazu.



Freie Lösungen für Enterprise Content Management (ECM) und Dokumentenmanagement (DMS)


Wenig Breite

Das Gros der Open-Source-DMS-Lösungen entstammt entweder dem Java- (Alfresco, Nuxeo, Contineo) oder dem PHP-Lager (KnowledgeTree, Owl). Eine Ausnahme bildet Plone, das auf Zope basiert und insbesondere in Verwaltungsorganisationen beliebt ist. Gemeinsam ist all diesen Lösungen, dass sie primär aus Europa und in zwei Fällen aus Afrika stammen. Neben den erwähnten Technologien existieren im Open-Source-Umfeld noch eine Reihe weiterer Projekte, die zumindest am Rande auch DMS-spezifische Funktionalität anbieten, wie zum Beispiel Liferay und Exo, zwei populäre Portalplattformen.



Insgesamt muss gesagt werden, dass die Open-Source-Technologien die Breite der grossen kommerziellen Anbieter nicht ganz erreichen. In vielen Fällen ist dies aber auch nicht notwendig. Je nach Situation können sogar unterschiedliche Technologien kombiniert oder spezifisch für einzelne Use Cases genutzt werden.


Bannerträger Alfresco

Die mit Abstand bekannteste und für Unternehmen empfehlenswerteste Open-Source-ECM-Plattform stammt vom englischen Unternehmen Alfresco. Mit bisher über einer Million Downloads seit 2005, über 20’000 aktiven Installationen und über 300 Enterprise-Kunden ist Alfresco eines der Aushängeschilder der kommer­ziellen Open-Source-Bewegung.



Alfresco ECM baut auf einem zentralen Repository auf und stellt die typischen Dokumenten-Funk­tionen als Services zur Verfügung. Diese Services werden sowohl von der Alfresco-eigenen Browser-basierten Bedienungsoberfläche wie auch via offene Standards (Webdav) oder Industrie-Standards (CIFS) angeschlossenen Explorer-Funktionalitäten oder sogar Enterprise-Anwendungen transparent genutzt. Zugriffsschutz, Versionierung oder Dokumenten-spezifische Regeln werden dabei transparent und einheitlich abgewickelt.




Alfresco selber basiert wiederum auf einer Reihe von Open-Source-Komponenten wie Lucene für die Suche, OpenOffice für File-Konvertierungen, Acegy für Zugriffsschutz, JBPM für Workflow-Management oder diversen Infrastrukturprojekten für Clustering und Datenbankzugriffe. Hinter Alfresco stehen erfahrene ECM-Grössen, die vorher bei Documentum oder Interwoven mitentwickelt haben. Es ist vermutlich kein Zufall, dass SAP Ventures einer der Investoren in Alfresco ist. Alfresco wird in der Schweiz unter anderem vom Kanton Waadt, dem Bundesgericht und der Swisscom eingesetzt, einer Reihe von Banken und Versicherungen, aber auch Technologie- und Dienstleistungsunternehmen evaluieren Alfresco intensiv. Die kommende Version 3.0 verspricht weitere Verbesserungen für grosse Anwendungen und eine stark verbesserte Benutzeroberfläche.



Alfresco hat sich gegenüber den direkten Open-Source-Konkurrenten klar absetzen können und erfüllt sowohl bezüglich Funktionalität als auch Skalierbarkeit eindeutig höhere Anforderungen als die eher auf kleinere Anwendungen und Firmen ausgerichteten Alternativen wie KnowledgeTree oder Nuxeo.


Vieles spricht für Open Source

Gestandene Unternehmen greifen aus unterschiedlichen Gründen zu Open-Source-ECM-Technologien:


- Im Gegensatz zur Verwendung traditioneller (und oftmals teurer) kommerzieller ECM-Lösungen fallen bei der Nutzung von Open-Source-Technologien zu Projektbeginn keine Lizenzkosten an. Nutzung, Upgrades, Wartung und Support werden via Subskriptionen abonniert. Damit wird Budget frei für Anpassungen und Erweiterungen.




- Durch Nutzung von Open Source kann schneller vorgegangen werden. Von der Evaluation bis zum Ausrollen vergehen Tage oder Wochen statt Monate oder Jahre. Einer agilen Vorgehensweise und fortwährenden Innovationsschritten steht nichts im Wege.



- Die Gesamtanwendung kann flexibel angepasst und erweitert werden. Open-Source-Lösungen sind keine Blackboxes, sondern vollständig transparent. Anpassungen können dort vorgenommen werden, wo Mehrwert entsteht.



- Dank Kompatibilität mit offenen Standards ist die Integration mit Umsystemen einfacher und kostengünstiger. Oftmals stehen mehrere Wege für die Integration offen. Migrationen werden durch den Einsatz und die Einhaltung offener Standards ebenfalls vereinfacht, was System-Umstiegskosten senkt und Anbieterabhängigkeiten mindert.



- Die Offenheit und Transparenz von Open-Source-Technologien hilft bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern und Dienstleis­tern. Der Transparenz von Bug- und Issue-Tracking-Listen, die Ein­sichtmöglichkeiten in die Pro­dukt-Roadmap, der Zugriff auf den Source-Code für Troubleshooting, Ausbildung oder Fehlerkorrekturen und der Zugriff zu Community und Entwicklungsteams machen den Umgang mit Open-Source-ECM-Technologien effizient und effektiv.



Eine rein kostenorientierte Präferenz für Open-Source-ECM-Technologien sollte allerdings zur Vorsicht mahnen. Oftmals werden die Kosten für Einführung, Wartung und Support von (zusätzlichen) Open-Source-Technologien unterschätzt. Im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen, nämlich der Nutzung kommerzieller Softwarelösungen, fallen beim Einsatz von nicht professionell unterstützten Open-Source-Projekten zusätzliche interne Aufgaben und die Kosten für den Aufbau und die Aufrechterhaltung der notwendigen Fähigkeiten an. Werden kommerzielle Open-Source-Lösungen wie Alfresco oder KnowledgeTree genutzt, werden diese Aufgaben teilweise externalisiert, der Kostenvorteil aber auch durch die zu bezahlenden Subskriptionen geschmälert.



Breites Software-Angebot nach Produktkategorien


Nutzung als Paket oder Komponente

Freie ECM-Werkzeuge können auf zweierlei Arten genutzt werden:



- Die Lösung wird als Paket implementiert und soweit notwendig konfiguriert und parametrisiert, um die Anforderungen zu erfüllen. Dieser Ansatz empfiehlt sich, wenn die Bedürfnisse durch die vorgegebene Funktionalität erfüllbar sind und die Projektkos­ten tief gehalten werden sollen.


- Sind die Bedürfnisse sehr spezifisch oder müssen komplexe Integrationsanforderungen gemeis­tert werden, dann offerieren Open-Source-Technologien auch die Möglichkeit, Komponenten-basiert vorzugehen. Die ECM-Technologie ist dann eine von mehreren Komponenten, die zusammen mit anderen erst zur Gesamtlösung assembliert werden. Damit können auf die Benutzer massgeschneiderte Lösungen implementiert werden, die deren Effizienz maximieren. Das Beispiel EDEN zeigt, wie unter Nutzung unterschiedlicher Technologien (Liferay Portal, Alfresco Content Repository, Wordpress Blogging-Plattform und Endeca-Suchmaschine) eine für eine Entwickler-Community einfach und effizient nutzbare Gesamtlösung mit einem zentralen und integral durchsuchbaren Inhalts-Repository entstand, die alle relevanten Informationen anbietet und Interaktionen zwischen den Mitgliedern konsequent unterstützt.


Open Source als Innovationstreiber

Während Document Management in den letzten 10 Jahren hauptsächlich als ein Instrument zur Erfüllung von Compliance- und Regulierungsanforderungen gesehen wurde, werden Dokumenten-Repositories immer mehr auch als Drehscheibe von Wissensplattformen gesehen. Mit Web 2.0 und Enterprise 2.0 sind die Nutzer mündiger geworden und die Bedürfnisse gewachsen. Die Open-Source-ECM-Projekte haben diesen Trend früh erkannt und bieten schon heute Tagging, Benutzerkommentare, vielfältige Schnittstellen und wandelbare oder einfach erweiterbare Benutzerinterfaces an.

Alfrescos Integration mit Facebook, die Benutzerschnittstelle für das Apple iPhone oder das zukünftige RIA-orientierte Flex-User-Interface zeigen, dass die Innovationskraft von Open-Source-Technologien im ECM-Umfeld hoch ist und die kommerziellen Konkurrenten unter Zugzwang gesetzt werden.


Der Autor

Bruno von Rotz ist Vice President und Country Manager Schweiz des Beratungs- und Systemintegrations-Unternehmens Optaros.




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