Editorial

Die Mobilfunkantenne im Wohnzimmer


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/11

     

In vielen Ländern hat die Verbreitung von Mobiltelefonen die Grenze von 100 Prozent der Bevölkerung überschritten. Und immer mehr Menschen verzichten auf ihren Fixnet-Anschluss und telefonieren ausschliesslich mobil. Ganz klar: Die Abdeckung mit Wireless-Technologien ist heute eine Schlüssel-Infrastruktur für das moderne Leben ebenso wie für die Wirtschaft.


Dies mag erklären, weshalb vielleicht noch in diesem Jahr, wahrscheinlicher aber ab nächs­tem Jahr, Mobiltelefonantennen zunehmend in die Wohnzimmer und Büroräumlichkeiten wandern werden. Die kleinen Kisten werden kaum anders aussehen als ein typischer WiFi-Router, aber doch als komplette Basisstationen fürs Mobilfunk-Netz fungieren: Heimversionen mit geringerer Sendeleistung, aber ansonsten der gleichen Funktionalität wie die Antennen, die heute an Masten und Dächern und Turmspitzen allgegenwärtig sind.



Die Miniatur-Mobilfunkantennen heissen Femtocell («femto» ist das Präfix, das einen Billiardstel einer Einheit (10-15) bezeichnet, aber lassen wir die Mathematik beiseite und denken einfach an etwas sehr, sehr kleines), sitzen quasi huckepack auf der Breitbandverbindung und verbreiten GSM- und UMTS/G3-Signale. Im Prinzip sind sie somit nichts anderes als ein WiFi-Access-Point für Mobiltelefone: Sie benutzen strahlungsarme integrierte Antennen, um die Sprach- und Datensignale der Mobiltelefone im Gebäude zu verbreiten, die sie über die Standard-Breitbandverbindung vom Netz des Handy-Providers beziehen. Tatsächlich können sie kaum weiter als 50 bis 100 Meter funken, und die Hardware wird irgendwas zwischen 150 und 300 Franken kosten (wobei der Preis allerdings rasch gegen null tendieren wird, sobald die Telefongesellschaften anfangen, Femtocells mit Abos zu verknüpfen und sie zu subventionieren, wie das heute bei Handys gang und gäbe ist).


Femtocells arbeiten in einem lizenzierten Frequenzspektrum, weshalb für die Installation einer Femtocell in einem Haus oder Büro ein Vertrag mit einem lizenzierten Anbieter nötig ist. Dies bedeutet aber auch, dass es vorläufig wohl kein FemtoSkype oder FemtoFON geben wird, keine Anbieter also, die Femtocell-Geräte gratis an Breitbandanwender abgeben werden.
Mittlerweile hat jeder grössere Telecom-Anbieter und -Provider eine Femtocell-Strategie oder ist daran, eine zu entwickeln. Die meisten Analysten prophezeien eine sehr rasche Verbreitung – und für einmal sind diese Voraussagen sogar glaubwürdig: Wenn die Technologie nämlich funktioniert, wird sie eine perfekte Signalabdeckung im Gebäude bieten, bis hinunter in den Keller oder in den bunkergleichen Meetingraum, dessen Wände derzeit noch nicht einmal SMS durchdringen.


Gleichzeitig wird eine grosse Verbreitung massive Auswirkungen haben: Sie wird der Beginn vom Ende des traditionellen, kabelgebundenen Telefons sein (das Mobiltelefon wird automatisch zum «Heimtelefon», wenn es in Reichweite der Femtocell ist, und die Anbieter werden ihre Tarife entsprechend anpassen), und gleichzeitig wird die Femtocell der Grundstein für alle möglichen Mobilbreitband-Services der nächsten Generation.


Aber da ist noch mehr: Wir können heute schon darüber spekulieren, wie Femtocells mittelfristig das Design von kabellosen Netzwerken ändern werden, indem sie eine zentrale Rolle übernehmen und mehr als blosse «Add-ons» darstellen. Bisher haben die Anbieter die Anwender gezwungen, zum Netzwerk zu kommen: Man geht mitunter aus einem Gebäude auf den Parkplatz, um ein Signal zu erwischen. Mit Femtocells kommt das Netz zum Anwender – und das ist ein grosser Fortschritt.
Der offensichtliche Vorteil für den Anwender ist die bessere kabellose Abdeckung (plus neue Services). Der offensichtliche Vorteil für den Anbieter ist die optimierte Nutzung der Netzwerk-Ressourcen (plus die Möglichkeit, tatsächlich «lokalisierte» Services anzubieten).


Aber noch sind viele Fragen offen. Im Vordergrund steht natürlich das Problem, dass viele Menschen den Eindruck haben werden, die Mobilfunkantennen würden nun in ihre Häuser verfrachtet (was ja auch tatsächlich der Fall ist). Über die Auswirkungen von elektromagnetischen Wellen und Strahlungen wird ja heute schon kontrovers diskutiert, was sich mit Femtocells noch verstärken dürfte. Andererseits werden Femtocells durchaus innerhalb der Grenzwerte funken und kaum mehr abstrahlen als ähnliche Geräte wie WiFi-Router oder Babyphones.




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