Die Tücken des Quereinstiegs
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/06
Rund 70 Prozent der in der Informatik beschäftigten Personen sind ursprünglich Quereinsteiger. Zwar hat sich der Anteil des von Beginn an qualifizierten Personals in den letzten Jahren stetig erhöht, dennoch repräsentiert er eine Minderheit in der IT. Allerdings ist Quereinsteiger sein nicht immer einfach. Und seit dem Ende des Hypes vor einigen Jahren auch längst nicht mehr so lukrativ wie früher.
So kommt es, dass bei Stellenausschreibungen heute viel Wert auf Titel und Fachausweise gelegt wird, welche Quereinsteiger neben dem Job ebenfalls erwerben sollten, um wettbewerbsfähig zu sein. Und richtig: Es zeichnet sich ein gewisser Widerspruch zu der Tatsache ab, dass dem IT-Sektor momentan viele Arbeitskräfte fehlen. Dennoch scheint sich die Devise «Man nimmt, was man kriegt» nicht durchsetzen zu können.
Der Kostenfaktor ist ein Punkt auf der Liste der Personalentscheider von Unternehmen. Aber auch Titeln und Diplomen wird heute eine grosse Aufmerksamkeit geschenkt: «Speziell in der Schweiz hat sich für mich oft das Problem ergeben, dass ich keinerlei Nachweise in Form von Zertifikaten habe. Prinzipiell legen aber viele Firmen Wert auf ein Zertifikat, auch wenn dies nur bestätigt, dass man etwas auswendiggelernt hat. Man möchte lieber Know-how von Mitarbeitern einkaufen, als dieses selbst zu fördern. Ein echter Nutzen für die Firma ist dies aber nicht, denn Kreativität und Innovationen entstehen durch viele neugierige Fragen und nicht nur eine auswendiggelernte Antwort. Das ist es auch, was ein Quereinsteiger an Mehrwert mitbringen kann», so Jung weiter. Und der geringe Anflug von Ärger ist insofern verständlich, als dass sich Quereinsteiger in der Regel intensiv mit dem Erlernen von neuen Anwendungen und Produkten beschäftigen. Und dennoch werden sie häufig von jungen Lehr- oder Uni-Abgängern überflügelt.
Um in der Informatik mitzukommen, reicht es also nicht, sich ständig über die neusten Produkte auf dem Laufenden zu halten. Auch Alfred Breu, Präsident der Zürcher Lehrmeistervereinigung für Informatik, sieht das so: «Die künftige Informatik kann nicht mehr nur durch Anbieter-Kurse und damit produktspezifischer Bildung mit sehr kurzfristiger Halbwertszeit leben. Da braucht es das langlebige Konzeptwissen über Betriebs- und Datenbanksysteme und ihre Funktionen, Programmiertechniken und Methoden, Sicherheitskonzepte und so weiter. Um eine fundierte Grundbildung sowie eine solide Weiterbildung kommt man heute nicht herum.»
Was theoretisch zwar plausibel klingt, ist in der Praxis aber eher schwierig umzusetzen. Als Quereinsteiger steht man schliesslich permanent unter Druck, den Anschluss an die Technologie nicht zu verlieren. Und gerade deshalb muss Konzeptwissen oft zu Gunsten von Anwendungswissen einstecken. Für den Grundlagenteil der IT sind nach wie vor das Studium oder die Schule zuständig.
Ein vielgehörtes Argument von Quereinsteigern ist jenes der Erfahrung und dass man diese nicht lernen könne. Weder konzeptuelles Wissen noch universitäre Ausbildungen könnten zwanzig Jahre Erfahrung in der IT wettmachen. Und da ist sicherlich was dran. Dies haben nun auch die zuständigen Behörden eingesehen und ein neues Anerkennungsverfahren geschaffen: Wer mindestens 25 Jahre alt ist und über mehr als fünf Jahre Erfahrung in der IT aufweisen kann, hat nun die Möglichkeit, sich seine Fähigkeiten eidgenössisch anerkennen zu lassen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Wer bis anhin keine Zeit fand oder keine Möglichkeit hatte, sich neben dem Beruf weiterzubilden, kann sich nun immerhin ohne grossen Aufwand das eidgenössische Fähigkeitszeugnis abholen.
Sich Konzeptwissen zu erarbeiten ist allerdings bloss ein Teil des dauerhaften Informatiker-Daseins. Auf der anderen Seite der Angelegenheit stehen die Unternehmen und deren Bereitschaft, von der Leidenschaft und den Vorzügen von Quereinsteigern zu profitieren.
Die meisten Unternehmen sehen es in der Regel nicht gern, wenn Arbeitszeit für etwas anderes als für Arbeit aufgeopfert wird. Obwohl die meisten Betriebe heute ihre Mitarbeiter zur Weiterbildung animieren, geht ihnen laut Reinhard Jung dennoch ein beträchtlicher Teil an Mehrwert durch eine sture Haltung gegenüber «weicher» Bildung verloren:
«Der Austausch von IT-Angestellten in Usergroups beispielsweise kann für Unternehmen durchaus positive Nebeneffekte bereithalten. Aber selbst diese Usergroups sind bei den Firmen nicht gerne gesehen, weil es sich angeblich nur um eine Freizeitbeschäftigung handelt. Ähnlich sieht es beim Lesen von Blogs aus.» Allerdings ist diese Haltung laut Jung für Unternehmen kein Hindernis, nicht von den marktwirtschaftlichen Vorteilen dieser Möglichkeiten zu profitieren:
«Allgemein, ist es bei Blogs und Usergoups so, dass die Firmen diese zwar nicht gutheissen, aber für ihre Zwecke dann doch gerne nutzen. Wie zum Beispiel zur Gewinnung von neuen Mitarbeitern bei Usergroup-Treffen oder über Banner auf Blogs.»
Es stellt sich also die Frage, inwiefern Firmen ihre Position in Sachen Quereinsteigern überdenken sollten. Nicht bloss, weil Informatiker nach wie vor Mangelware sind, sondern weil unter Umständen beide Seiten davon profitieren können.