New Learning 2.0

Die neuen Möglichkeiten der IT machen auch vor dem Lernen nicht halt. Im Gegenteil: Wer nicht mitmacht, riskiert, Wissen zu verlieren.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/05

     

Ob mit Wikis, Blogs, Lernmodulen oder virtuellen Vorlesungssälen: Web 2.0 hat unsere Art zu lernen, unsere Verstehensprozesse von Grund auf umgekrempelt. Die augenscheinlichste Veränderung gegenüber dem traditionellen Lernen ist sicherlich der schier unbegrenzte Zugang zu Informationen über das Internet. Wikipedia hat den Brockhaus, was Qualität anbelangt, bereits hinter sich gelassen, von der Anzahl an Artikeln ganz zu schweigen.

Eine viel tiefer gehende Veränderung – obwohl längst nicht so unübersehbar – spielt sich zurzeit im Bereich Social Networking ab. Lernen ist heute keine Privatsache mehr. Man organisiert sich in Arbeitsgruppen, tauscht Gedanken und Dokumente via Foren aus und nutzt Weblogs als Präsentationsmethode. Für die Studenten der Universität Zürich sowie der ETH besteht heute teilweise sogar die Möglichkeit, sich über das Internet live in eine Vorlesung einzuklinken. Oder zumindest den dazugehörigen Podcast anschliessend herunterzuladen. Der Gang zur Uni wird überflüssig, das Nachbereiten von vermitteltem Stoff wird ebenfalls immens vereinfacht.



Im Zusammenhang mit dem Jahr der Informatik, der Informatica08, wurde über ebendiese Thematik Anfang März am Education Forum ausgiebig diskutiert. Dabei wurde aber nicht bloss über die Vorzüge des New Learning 2.0 debattiert. Denn auch wenn man in den letzten Jahren viel erreicht hat in diesem Bereich: Die Technologie
ist bei weitem noch nicht so gut
in den Lernprozess integriert,
wie sie dies bei den Business-Prozessen ist.


Lernen: Bottom-up ...

Es ist vollkommen egal, auf welcher Bildungsstufe sich der Lernende befindet: Solang er lesen, schreiben und mit den Grundfunktionen eines Computers umgehen kann, ist die Chance gross, dass er sich auch via Internet Wissen aneignet, durch Diskussionen mit anderen Usern beispielsweise. Diese Tatsache ist eines der zentralen Elemente im New-Learning-2.0-Konzept.

Man lernt nicht mehr nur Top-Down, also nach strikt vorgegebenen Formen und Wissenskatalogen, sondern vor allem Bottom-up. Das bedeutet, dass sich Wissen aus Kommunikation und Interaktion selbst generiert und nicht einfach mehr oder weniger passiv aufgenommen wird. Wenn überhaupt. Und es bedeutet, dass der Begriff «Schule» eine neue Dimension erhält: Man darf sie heute nicht mehr als wissensübermittelnde Organisation ansehen. Vielmehr ist sie zu einer wissensgenerierenden Institution mutiert. Lehrer und Lernende erarbeiten im Diskurs neues Wissen. Was durch die Web-2.0-Technologien mit ihren Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten, zu welchen auch das direkte Feedback gehört, natürlich ungemein einfacher geworden ist.


... und informell

Eng damit verknüpft ist auch der Begriff des informellen Lernens. Im Gegensatz zu den Bottom-up-Ansätzen geht das informelle Lernen aber einen Schritt weiter. Viele Lerninhalte werden auch und vor allem ausserhalb jeglicher Bildungsabsicht erarbeitet. New Learning 2.0 fördert vor allem diese Art zu lernen: Es gibt wohl kaum ein Thema, zu welchem sich im Netz kein Blog, Forum oder eine sich damit befassende Website finden liesse, welche dem interessierten Besucher informell Wissen vermittelt. Natürlich kann man Web 2.0 auch für herkömmliches Lernen benutzen. Man sucht beispielsweise Informationen auf Wikipedia, verarbeitet und präsentiert diese anschliessend in der Schule oder sonstwo.

Der ganze Sinn und Zweck von New Learning 2.0 basiert allerdings auf der Partizipation an der Community. Wer das nicht tut – und sei es bloss mit einem kurzen Blick beispielsweise in Blogs und Wikis von Forschungsinstituten oder ähnlichem –, riskiert, viel Wissen zu verpassen.


Die dritte Dimension

Es sind aber nicht bloss die sozialen Netzwerke und die von den Hochschulen bereitgestellten Tools, welche New Learning 2.0 ausmachen. Zieht man das Ganze weiter, kommt man an den Übergang zu 3D-Lernstätten. Und obwohl (oder vielleicht gerade weil) der Hype um Second Life mittlerweile abgeklungen ist: Für die neue Art zu lernen ist die virtuelle Welt sehr geeignet. Wie Jean Miller, Head of German Market Development bei Linden Labs, dem Erschaffer von Second Life, erklärt, wird das Thema Bildung in Second Life zunehmend präsenter: «In Second Life sind momentan ungefähr 500 Bildungseinrichtungen vertreten und rund 4000 Leute sind in Second Life im Bildungsbereich tätig. Im Jahr 2006 waren es erst 500 – und dieser Bereich wächst immer schneller.» Wie aber soll man sich das vorstellen? Lernen in Second Life? Die Antwort ist ganz einfach:

Ähnlich wie im realen Leben auch. Miller: «Bildung in Second Life ähnelt sehr realen Bildungssystemen. So wie in den realen Schulen gibt es auch in Second Life Klassenräume, wo sich die Schüler, Studenten und Kursteilnehmer treffen können und gemeinsam lernen. Zudem kann man natürlich auch Meetings abhalten. Dabei nutzen die Teilnehmer alle Vorteile der 3D-eLearning-Möglichkeiten. So ist die Interaktion zwischen den Lernenden intensiver und die Teilnehmer selber sind aktiver; bauen gemeinsam Häuser, entwickeln neue Projekte, werden weitergebildet.»


Nachhaltige Entwicklung

Aber ist das überhaupt noch New Learning 2.0? Oder ist das bloss reales Lernen in einer virtuellen Umgebung? Es dürfte ein wenig von beidem sein. Auch in Second Life lassen sich heute Chat, Datenaustausch und PowerPoint-Präsentationen einbauen. Und gerade diese Vielfalt an Möglichkeiten, dieses Hin- und herspringen zwischen verschiedenen Projekten, Bildungsangeboten und mittlerweile auch Vorlesungen (welche virtuell und in Echtzeit in Second Life abgehalten werden) fördert das oben angesprochene Bottom-up-Lernen und die Vernetzbarkeit von Inhalten.



Egal ob es sich um Weblogs, Lern-Tools oder um 3D-Welten wie Second Life handelt: New Learning 2.0 spielt schon heute eine grosse Rolle. Und die Anzeichen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird, häufen sich. Dadurch, dass das unbewusste Lernen gefördert und eigene Leistungen ins Zentrum gestellt werden, unterstützt es den Gedanken des lebenslangen Lernens. Damit ist ihm ein Platz
in unserer Gesellschaft sicher.
Die grösste Herausforderung ist nun die zunehmende Integration und Verzahnung von realen
und virtuellen Lernmethoden und
-Ansätzen.




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