Editorial

Informatikland Schweiz


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/22

     

Seit einigen Monaten mehren sich in der Fachpresse und auch in allgemeinen Medien die Meldungen über Informatikermangel in der Schweiz und über abnehmende Zahlen bei den Studienanfängern in Informatik. Vor zwei Wochen führten die Informatikverbände sogar Medienkonferenzen in Zürich und Lausanne durch, einerseits zu diesem Thema und anderseits zum «Jahr der Informatik 2008» (www.informatica08.ch), das die Nachwuchsförderung zum Ziel hat. Hauptaussage: Es braucht dringend mehr gute Informatiker und Informatikerinnen in der Schweiz – bald!





Gleichzeitig äussern aber Wirtschaftsauguren und Zivilisationspessimisten wachsende Besorgnis über die Abwanderung qualifizierter Informatikarbeitsplätze in Billiglohnländer wie Indien und Osteuropa (Offshoring), wo es viele, gut ausgebildete und arbeitsfreudige Informatiker gibt – schon heute! Und Leserbriefschreiber beklagen das Schicksal von älteren Informatikern in der Schweiz, die erfolglos hierzulande eine Stelle suchen. Die Globalisierung scheint offenbar bereits die Informatik aus der Schweiz zu vertreiben.



Was gilt jetzt? Darf oder soll man jungen Leuten zu einer Karriere in der Informatik raten? Oder ist für die Schweiz dieser Zug bereits abgefahren? Es ist schon erstaunlich, wie ahnungslos die Öffentlichkeit und auch viele Wirtschaftskaderleute diesen Fragen gegenüberstehen.
Zuerst zum Informatikland Schweiz: Praktisch alle Industrie- und Dienstleistungsprodukte der Schweiz – Werkplatz und Finanzplatz – basieren zu wesentlichen Teilen auf Informatik-anwendungen aller Art. Die Schweiz war und ist hier an der Weltspitze dabei.



Dann zum Offshoring: Hier liegen inzwischen genügend Erfahrungen vor. Sie zeigen, dass für qualifizierte Leistungen auch in Indien nicht Hungerlöhne bezahlt werden und dass die Auslagerung auch mit Mehraufwendungen für Koordination und anderes verbunden ist. Daher schätzen Fachleute die Bruttoeinsparungen gegenüber Entwicklungen in der Schweiz auf etwa 25 Prozent. Das ist für gewisse Informatikprojekte interessant, selten aber matchentscheidend. Der Hauptgrund für das Offshoring ist daher aus Schweizer Sicht nicht die Kostenreduktion, sondern unser Fachkräftemangel. Händeringend werden gute Informatiker aus dem Ausland in die Schweiz geholt, so lange man solche noch findet. Aber man findet nicht genug.



Und zu den «arbeitslosen Schweizer Informatikern»: In der Schweiz üben heute zirka 120’000 Personen einen Informatikberuf aus, viele davon bereits seit Jahrzehnten. Und Zehntausende davon sind als Quereinsteiger aus einem anderen Erstberuf gekommen; in der Informatik haben sie oft nur punktuelle Spezialkenntnisse in jenen Teilbereichen erworben, wo sie in die Informatik eingestiegen sind. Das mag zehn oder vielleicht sogar zwanzig Jahre hinhalten – ein Leben lang hält das nicht. Weiterbildung sollte deshalb berufsbegleitend ständig betrieben werden, nicht erst bei Arbeitslosigkeit. Dann ist es eben auch in der Informatik gelegentlich zu spät.


Fazit: Wenn die Schweiz ihr bisher höchst erfolgreiches Infrastrukturgebiet Informatik weiter betreiben will, müssen hier vermehrt gute junge Leute für Informatikberufe gewonnen und ältere Informatiker immer wieder zur Weiterbildung motiviert werden. Dazu soll auch das «Jahr der Informatik 2008» beitragen.




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