IT-Nachwuchs: Und was jetzt?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/19
In der Fachpresse konnte man in letzter Zeit häufig lesen, dass es der Schweiz an IT-Fachkräften mangelt. Jedes Jahr fehlen unserer Wirtschaft durch das Ungleichgewicht von Pensionierung und Neuausbildung rund 1500 zusätzliche IT-Professionals, und eine Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht. Unternehmen sehen sich daher gezwungen, auf äusserst ungewöhnliche Rekrutierungsmethoden wie Kopfgeld oder Videos auf Youtube zu setzen, um überhaupt noch Bewerbungen auf Stellenangebote zu erhalten, und die Immatrikulationszahlen der informatikverwandten Studienrichtungen nehmen kontinuierlich ab.
Eine bequeme Variante zur Behebung des Problems sind Fachkräfte aus dem Ausland. Sie leisten bei akutem Mangel schnelle Abhilfe. Das eigentliche Ungleichgewicht wird dadurch allerdings nicht behoben. Dieser Ansicht ist auch Ugo Merkli, Geschäftsführer der Informatik Berufsbildung Schweiz AG: «Ausländische Fachkräfte der Informatik haben gerade in letzter Zeit die akute Mangelsituation in der Schweiz teilweise abgefedert.
Solange diese Zugänge parallel zur wachstumsgetriebenen konjunkturellen Entwicklung laufen, ist meines Erachtens wenig dagegen einzuwenden. Wenn aber ausländische IT-Spezialisten zur Behebung einer strukturellen Schieflage einwandern, muss man sich fragen, ob das wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Meiner Meinung nach machen wir hier zumindest einen Teil unserer Hausaufgaben nicht. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Zahl ausländischer Fachkräfte, die sowohl fachlich als auch kulturell den Sprung schaffen, nicht unbegrenzt ist. Wir beheben hier eine Mangellage und helfen in gewissem Sinne mit, dass sie sich an anderen Orten akzentuiert.»
Das Problem muss vielmehr bereits bei der Wurzel behandelt werden. Und das bedeutet Lehrstellen schaffen, Studenten für das Studium der Informatik gewinnen und Anreize für junge Menschen und Unternehmen bieten.
Doch besonders bei den Anreizen für junge Menschen, sich mit dem Thema Informatik auseinanderzusetzen, scheint es gewaltig zu hapern. «In der Schweiz», so Merkli, «herrschte wohl lange Zeit die Meinung vor, es genüge, die Schulzimmer mit Informatikmitteln auszurüsten, der Rest ergebe sich dann sozusagen von selbst. Die eigentlichen Anreize, um sich mit Informatik zu beschäftigen, liegen aber an anderen Orten.» So sei es von immenser Bedeutung, dass Lehrkräfte zum Beispiel in Mittelschulen sich nicht darauf beschränken, Informatik als die Anwendung von Standardprogrammen zu sehen. Vielmehr sollten während dieser Zeit auch grundlegende Konzepte und Ideen dieses Fachs vermittelt werden. Und zwar unabhängig von der schulischen Grundausrichtung der Ausbildung. Schliesslich ist Informatik mittlerweile ein wichtiger Eckpfeiler unserer Gesellschaft geworden und verdient und verlangt angemessene Beachtung.
Auf der anderen Seite der Problemstellung befinden sich die Unternehmen. Sie müssen die Grundlage für eine ausreichende Versorgung mit Fachkräften sicherstellen, indem sie Lehrstellen schaffen und Querein- respektive Umsteiger fördern. Schliesslich sind es die Unternehmen selbst, welche die IT-Professionals letztlich dringend benötigen.
Doch die Zahlen der angebotenen Lehrstellen sind seit mehreren Jahren auf tiefem Niveau stehengeblieben. Alfred Breu präzisiert: «Im Kanton Zürich stellen jährlich rund 150 Firmen rund 320 Lehrlinge an. Die Menge stagniert seit 2001, damals hatten 189 Betriebe 395 neue Lehrlinge. Auf die geschätzten 60’000 Informatiker in der Region Zürich sind das also ein halbes Prozent.» Im Vergleich zu den zwei Prozent, welche jährlich in Pension gehen, ist das aber deutlich zu wenig.
Für die Zukunft sieht Alfred Breu einen bedeutenden ersten Schritt, der vollzogen werden muss: Die Unternehmen müssen Stellung zum Standort Schweiz beziehen. Ist dies erst einmal erledigt und das Thema Offshore-Outsourcing nicht mehr zentral, kann sich auch die Politik wieder ernsthaft mit diesem Problem befassen. Bislang wurde dies vor allem durch die andauernde Unsicherheit darüber, ob die Wirtschaft die Ausbildung des Nachwuchses ins Ausland abwandern lässt, erschwert. Denn niemand möchte Steuergelder in einen Bereich investieren, der von der Wirtschaft weder unterstützt noch gefördert wird und über kurz oder lang fallengelassen wird.
Verpflichten sich die Unternehmen aber dem Standort Schweiz, «dann müssten die gleichen Führungsleute hinstehen und nicht nur über technische Goodies reden, sondern auch über die Personalbeschaffung und -förderung», so Breu. «Das ist dringend nötig und überdies eine schöne Aufgabe. Geschieht das in der benötigten Anzahl, das heisst, jeder Betrieb sorgt für seinen Nachwuchs selbst, regelt sich das Problem von alleine. Google, Yahoo, Swift, Microsoft usw. haben sich für einen Forschungs- und Betriebsstandort Schweiz entschieden – es wäre toll, wenn die Informatik Schweiz auch an den Standort glauben würde!»
An Ideen scheint es nicht zu mangeln. Ob sich der Markt und das Bildungswesen in die gewünschte Richtung entwickeln, bleibt aber abzuwarten. Denn auch der Bildungsmarkt ist bloss ein Markt und unterliegt somit dem Prinzip von Angebot und Nachfrage: Ist der Preis zu hoch, kauft man halt woanders ein.
Unter dem Namen Informatica08 führt ICTSwitzerland zusammen mit dem SWICO 2008 das Jahr der Informatik durch. Während eines Jahres sollen an nationalen sowie regionalen Informationsveranstaltungen das öffentliche Bewusstsein für Informatik gefördert und das Interesse von Jugendlichen für die Informatik als Wissenschaft und Berufsgebiet geweckt werden. Gestartet wird die Informatica08 mit dem IT-Summit am 28. Januar in Zürich unter dem Motto «Informatik – Standort Schweiz». Info: www.informatica08.ch.