Headhunting im IT-Sektor

Headhunting kennt man hauptsächlich aus der Teppichetage. Doch der akute Mangel an IT-Fachkräften lässt die Spezialistenjäger hellhörig werden. So ist Headhunting in der IT heute keine Seltenheit mehr, und immer mehr Firmen ergreifen gar die Eigeninitiative.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/17

     

Sie kennen in Ihrem Umfeld einen erfahrenen Java-Entwickler? Bewegen Sie ihn dazu, sich bei MySign zu bewerben und vielleicht gehören die 5000 Franken «Kopfgeld» schon bald Ihnen. So oder ähnlich könnte es in naher Zukunft nicht bloss bei MySign, sondern in weiten Teilen der IT zu und her gehen. Denn der IT-Sektor ist in solchem Masse unterbesetzt, dass sich Unternehmen immer ausgefallenere Aktionen einfallen lassen müssen, um überhaupt noch Response auf Inserate zu erhalten.



Zum erwähnten Angebot: Die Firma MySign bietet ein «Kopfgeld» für die Vermittlung eines erfahrenen Java-Entwicklers. Wird dieser unter Vertrag genommen, erhält der «Finder» eine Belohnung von 5000 Franken. Neben dem Verweis auf der firmeneigenen Homepage wurde ausserdem ein kleines Video auf Youtube geladen. Auf die Aktion angesprochen, erläutert Reto Baumgartner von MySign: «Unsere Aktion zielt ganz bewusst auf das Umfeld der gesuchten Personen ab. Jeder kennt in seinem Freundeskreis oder seiner Familie einen Informatiker. Vielleicht sogar einen Unzufriedenen, der sich aber mit seiner Situation mehr schlecht als recht abfindet und noch nicht nach einer neuen Stelle sucht. In diesem Fall können gerade ein Freund, eine Freundin, die Eltern oder andere nahestehenden Personen der Zünder sein, um sich neu zu orientieren. Darauf setzen wir.»


Zu wenig Ausbildung, zu wenig Fachkraft

Wie sehr die IT-Branche neues Personal benötigt, erläutert Alfred Breu, Präsident der Zürcher Lehrmeistervereinigung Informatik (ZLI): «Pro Jahr werden ungefähr zwei Prozent der in der IT beschäftigten Personen pensioniert. Rechnet man mit gut 200’000 Stellen gesamtschweizerisch, so sind das 4000 pensionierte Fachkräfte pro Jahr. Allerdings bringen die Schweizer Wirtschaft und das Bildungswesen jährlich nicht mehr als geschätzte 2500 neue Spezialisten hervor. Das grösste Problem dabei ist, dass viele Grossfirmen ihre IT nicht mehr selbst betreuen.

Denn durch das Outsourcing gehen viele Lehrstellen verloren. Oder aber es werden schlicht zu wenige geschaffen: So beschäftigt die Swisscom nach eigenen Angaben rund 15’000 Personen im Bereich der Informatik. Lehrstellen gibt es allerdings bloss 21. Das steht in keinem Verhältnis zum Bedarf an neuen Fachkräften.» Angesichts solch düsterer Aussichten für die nächsten Jahre, in welchen uns jährlich gut 1500 neue Fachkräfte fehlen werden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass Firmen zu unkonventionellen Massnahmen greifen.


Guerilla-Aktionen sind notwendig...

Wie Baumgartner erklärt, müsse man sich in einer Situation wie der heutigen auf solche Aktionen einlassen. Auf gewöhnliche Stellenangebote erhalte er mittlerweilen nicht einmal mehr Bewerbungsunterlagen, so unterbesetzt sei der Markt zurzeit: «Solche Aktionen werden dann angewendet, wenn man sich sonst nicht mehr Gehör verschaffen kann. In einer Phase, in welcher es genügend Informatiker auf dem Markt gibt, welche Jobs suchen, sind vermutlich traditionelle Kanäle wie Online-Inserate effizienter. Aber in der jetzigen Phase, wo in der Schweiz mehrere Tausend Informatikerstellen offen sind, da bringen die traditionellen Methoden nicht mehr den gewünschten Erfolg.»


Ebenfalls ein mittlerweile grosses Problem bei der Rekrutierung von neuen Fachkräften sei, dass Grossfirmen wie die Schweizer Banken oder Versicherungen junge IT-Spezialisten mit extrem hohen Einstiegslöhnen ködern: «Zielt jemand nur auf einen möglichst hohen gesicherten Monatslohn ab, dann kann ein KMU nie mithalten.»



Doch nicht alle sehen das Problem ausschliesslich in der Grösse einer Firma. Laut Stefan Hürlimann, Personalberater und Partner bei der A&U Kaderberatung in Zürich, muss man die Angelegenheit in Sachen Löhne etwas differenzierter sehen: «Das kann man so allgemein nicht sagen. Es gibt auch Kleinfirmen, welche sehr gute Löhne zahlen. Es ist eher branchen- als grössenabhängig, wie hoch die Löhne ausfallen. Beratung und Finanzdienstleistungsfirmen bezahlen eher gut bis sehr gut, während Industrie­firmen hier eher hinterherhinken. Ob es sich dabei um einen Grossbetrieb oder ein KMU handelt, ist eher zweitrangig.»


...können jedoch problematisch werden

Aktionen wie diejenige von MySign mit Belohnungen für die Vermittler können heutzutage durchaus sinnvoll sein. Dieser Ansicht ist auch Hürlimann: «Prämien für vermittelte Personen sind heute eher der Standard als der Ausnahmefall.» Allerdings sieht er auch eine gewisse, mehr oder minder versteckte Gefahr bei grossflächigen und öffentlichen Aktionen: «Dass Werbung über Kanäle wie Youtube betrieben wird, könnte sich als problematisch herausstellen. Denn Mitarbeitende der eigenen Firma wissen meistens, welche Anforderungen eine neue Fachkraft mit sich bringen muss, um sich gut in der Firma zu integrieren. Dies ist bei solch ‹offenen› Belohnungsangeboten nicht der Fall, und es besteht die Gefahr, dass sich Leute bloss der ‹Belohnung› wegen melden, obwohl sie überhaupt nicht ins bestehende Firmenprofil oder die vorhanden Firmenkultur hineinpassen.»



Doch auch Hürlimann betont, dass heutzutage die gewöhnlichen Rekrutierungsmethoden wie Inserate und andere nicht mehr zum gewünschten Erfolg führen. Für ihn ist klar, dass Networking die Methode der Stunde ist, um geeignetes Personal zu finden.


Man hofft noch

Auf der Entwicklungsebene der IT sind herkömmliche Rekrutierungsmethoden momentan also ziemlich nutzlos. Dass für diese Aufgabe zurzeit deutlich mehr Headhunter angeheuert werden, spüren auch die Jäger der A&U Kaderberatung laut eigenen Angaben deutlich.


Was den Fall von MySign betrifft, so konnten bislang allerdings noch keine konkreten Erfolge verbucht werden. Baumgartner: «Für ein Fazit ist es noch zu früh. Gemeldet haben sich bisher einzelne Bewerber, aber auch Vermittler. Aber die Aktion läuft ja noch, und wir erhoffen uns in den nächsten ein bis zwei Wochen eine weitere Verbreitung unserer Aktion.»



Ob die Strategie des Headhuntings Marke Eigenbau sich auch bei anderen Firmen durchsetzen wird, ist abzuwarten. Bereits fest steht allerdings, dass diese Art der Rekrutierung kostengünstiger ist als die Beauftragung einer Vermittlungsagentur. Ausserdem erhält Ungewöhnliches in der Regel eine höhere Aufmerksamkeit: Nicht zuletzt deshalb können Unternehmen mit Youtube-Guerilla-Aktionen und hübschen «Reward»-Plakaten ihre PR-Maschinerie neu schmieren und somit gleich doppelt von dieser Strategie profitieren.




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