10 Jahre Informatiklehre – eine lohnende Investition

Seit zehn Jahren kann der Beruf des Informatikers gelernt werden. Noch stellen viel zu wenig Betriebe Ausbildungsplätze bereit.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/04

     

Das Gebiet der Informatik wird heute noch weitgehend durch Quereinsteiger geprägt. Von den rund 120'000 Personen, die sich in der Wirtschaft mit Informatikaufgaben auseinandersetzen, haben die meisten ursprünglich einen anderen Beruf erlernt. Aus diesem Grund beruhte bis vor einigen Jahren auch der überwiegende Teil an Weiterbildungsangeboten (Berufs- und Fachprüfungen sowie Technikerschulen) auf dem Basiswissen beziehungsweise den Grundlagen der Informatik, was für die Absolventen einer Informatiklehre ein unbefriedigender Zustand ist. Auf Initiative des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT) wurde darum die Genossenschaft Informatik Berufsbildung Schweiz (I-CH) gegründet, welche die Aufgabe erhalten hat, das ganze Berufsfeld der Informatik auf eine neue Basis zu stellen. Entstanden ist ein System, welches die Grundausbildung (Berufslehre) bis zu den Abschlüssen mit eidgenössischem Diplom modularisierte. Der Modulbauplan der I-CH beschreibt alle Kompetenzen, die ein Informatiker erlangen kann, in übersichtlichen Einheiten. Daraus lassen sich nun eine Vielzahl von Bildungsgängen zusammenstellen. Dies geht von der Berufslehre bis zu eidgenössischen Abschlüssen mit Diplomen, aber auch Spezialistenabschlüssen oder berufsergänzenden Zertifikaten (zum Beispiel SIZ).


Applikationsentwicklung, Systemtechnik, Support

Die Gestalter der neuen Informatiklehre hatten richtigerweise erkannt, dass der Umfang der Informatik eine Unterteilung in verschiedene Schwerpunktrichtungen notwenig machte. Die Betriebe können Lehrstellen in drei Richtungen anbieten. Je nachdem, ob sie ihre Kernkompetenzen eher in der Erstellung von Software haben, Systeme von Kunden betreuen oder im Bereich des Unterhaltens von Hardware und Infrastruktur tätig sind.
Diese Vertiefungsrichtungen haben auch für die Jugendlichen einen grossen Vorteil: Sie haben während der Ausbildung genügend Zeit, sich entsprechende Routine anzueignen und sich gleichzeitig mit den Anwendungen ihrer Lösungen in der Praxis auseinanderzusetzen. Die Erfahrungen aus den letzten Jahren zeigen, dass die Absolventen in den vier Jahren einen hohen Bildungsstand erreichen, der auch den Ansprüchen der Wirtschaft zu genügen vermag und einen wichtigen Beitrag zur Qualitätsverbesserung in der Informatikbranche leistet.
In einigen wenigen Kantonen besteht die Möglichkeit, eine Generalistenausbildung zu absolvieren. Dabei muss der Nachteil in Kauf genommen werden, dass zwar jedes Thema in der Schule behandelt wird, in keinem aber wirklich in die Tiefe gegangen werden kann.


Die unterschiedlichen Formen der Ausbildung

In der Informatik gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sich Betriebe an der Ausbildung des Nachwuchses beteiligen können. Je nach Grösse und Struktur der Firma kann aus verschiedenen Formen gewählt werden:



Duale Lehre: Diese entspricht der klassischen Berufslehre, wie wir sie auch aus vielen anderen Berufsfeldern kennen. Dabei teilen sich die kantonalen Berufsschulen und die Betriebe, zusammen mit den Berufsverbänden, die Ausbildung. Neben seiner Arbeit im Betrieb verbringt der Lernende einen bis zwei Tage pro Woche an der Berufsschule oder in einem Ausbildungszentrum eines Berufsverbandes. Alternativ kann er verschiedene Ausbildungsblöcke, die auf die ganze Lehrzeit verteilt werden, besuchen.




Basislehrjahre: Verschiedene öffentliche und private Anbieter erleichtern den Unternehmen den Einstieg in die Ausbildung, indem die Lernenden in einem ein- bis zweijährigen Basislehrjahr auf ihre Aufgabe im Betrieb vorbereitet werden. In dieser Zeit werden den Jugendlichen die wichtigsten Kenntnisse vermittelt, was einen deutlich schnelleren praktischen Einsatz der Jugendlichen im Unternehmen ermöglicht. Im Anschluss an das Basislehrjahr wird die Ausbildung in einem normalen Lehrbetrieb fortgeführt.



Praktikum/Berufsfachschulen: Viele Jugendliche wählen heute auch den Weg über eine schulische Ausbildung. Das bedeutet, dass sie eine Schule besuchen, an der die beruflichen Kenntnisse vermittelt werden. Diese Ausbildungsform erfordert nach Abschluss der Schule die Absolvierung eines ein- bis zweijährigen Praktikums. Danach wird man an die Lehrabschlussprüfung zugelassen.



Praktikum/IMS: Als weitere Alternative, und nicht zuletzt als Vorbereitung für den Besuch einer Fachhochschule, haben verschiedene Kantone eine Informatikmittelschule ins Leben gerufen. Im Anschluss an die dreijährige Schulzeit, an welcher der Stoff einer Berufsmittelschule ergänzt um die Inhalte der Lehre als Applikationsentwickler vermittelt wird, muss ebenfalls ein Praktikum von einem Jahr Dauer absolviert werden. Danach wird die Ausbildung mi????T?t der gleichen Abschlussprüfung abgeschlossen.



Umsteiger/Berufsbegleitend: Erwachsene, die bereits eine Berufslehre absolviert haben, können eine verkürzte, berufsbegleitende Ausbildung absolvieren. Bedingung ist ein Arbeitsplatz, an dem sie das an der Schule erlernte Wissen in die Praxis umsetzen können. Auch sie erhalten nach erfolgreich absolvierter Abschlussprüfung das eidgenössische Fähigkeitszeugnis.



Die unterschiedlichen Vertiefungsrichtungen der Informatikausbildung


Aufgaben des Ausbildungsbetriebs

Viele Betriebe haben Angst davor, Lehr- oder Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen. Die Bezeichnung «Ausbildungsbetrieb» impliziert, dass der Betrieb den Lernenden auszubilden hat. Gelehrt wird jedoch an der Berufsschule, während der Betrieb in erster Linie geeignete Arbeit bereitstellen und die Arbeit des Lehrlings begleiten und rückmelden sollte. Jugendliche Auszubildende müssen weiter lernen, wie man sich in der Geschäftswelt bewegt und miteinander umgeht. Oft ist auch eine gewisse «Nacherziehung» notwendig. Erfahrungen zeigen, dass ein Lernender rund einen halben Tag pro Woche durch eine Fachperson betreut werden muss. In Anbetracht dessen, dass ein Auszubildender dafür drei bis vier Tage pro Woche arbeitet, zahlt sich dieser Einsatz für das Unternehmen sicher aus.


Voraussetzungen für die Eignung als Lehrbetrieb

Natürlich können nicht nur Betriebe mit der Bezeichnung «Informatik» im Firmennamen mitwirken. Jeder Betrieb mit einer kleineren oder grösseren Informatikabteilung kann Lehrlinge ausbilden. Eine der Voraussetzungen ist, dass das Unternehmend genügend qualifizierte Arbeit mit einer gewissen Vielfalt anbieten kann. Selbstverständlich muss auch eine Fachkraft vorhanden sein, die den Lernenden kompetent betreut. Dafür in Frage kommen Informatiker mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis, Personen mit einem Hochschul- oder Fachhochschulabschluss, Techniker TS sowie Inhaber einschlägiger Diplome oder Fachausweise, sofern sie mindestens zwei Jahre Berufspraxis im entsprechenden Fachgebiet vorweisen können. Auch gelernte Fachkräfte anderer Berufe mit mindestens fünfjähriger Berufs-praxis im Fachgebiet dürfen Lernende begleiten. In vielen Kantonen gibt es Lehrmeistervereinigungen, die ausbildungswillige Betriebe beraten, und oft helfen auch die örtlichen Berufsbildungsämter weiter. Beratung gibt es aber auch an den Berufsfach- oder Informatikmittelschulen.


Lehrbetrieb werden

Gerade in der heutigen Situation ist es nicht besonders schwer, Lehr- oder Praktikumsbetrieb zu werden. Die verantwortlichen Ämter begrüssen es, wenn sich geeignete Unternehmen engagieren. Meist ist ein schriftlicher Antrag an das betreffende Amt zu stellen. Oft wird ein Berufsinspektor den Betrieb besuchen und prüfen, ob die Bedingungen für eine Ausbildungsbewilligung gegeben sind. Zudem muss mindestens ein Mitarbeiter den Lehrmeisterkurs besucht haben. Praktikumsbetriebe haben es da noch etwas einfacher: Bei ihnen übernimmt die Berufsfachschule die Verantwortung auch während der Praktikumszeit. Der grösste Teil der Berufsschulen legt auf eine gute Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbetrieben Wert und besucht diese in regelmässigen Abständen.


Die richtige Auswahl

Betriebe, welche beschlossen haben, einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz anzubieten, stehen vor der nicht ganz einfachen Aufgabe, einen geeigneten Kandidaten auszuwählen. Die meisten Kantone führen einen Lehrstellennachweis, auf dem Firmen freie Lehrstellen ausschreiben können. Die meisten Betriebe verzichten allerdings auf eine Ausschreibung, weil sie sonst mit Bewerbungen überhäuft werden. Das Auswahlverfahren will gut geplant sein. Im Vordergrund stehen Überlegungen zum geplanten Einsatz, des Schwerpunktes, aber auch der Qualifikation und Motivation des Jugendlichen. Viele Schüler bringen bereits ein grosses Vorwissen mit, oft ein Vorteil, manchmal aber auch ein Nachteil. Andere verwechseln die Informatik mit Spielen – ein Hobby, welches vielen Jugendlichen oft während der ganzen Ausbildung nicht abzugewöhnen ist. Der zukünftige Lernende sollte aber auch in das Team passen. Manchmal lohnt es sich auch zu überlegen, wie die Kandidatin oder der Kandidat beim Kunden ankommen wird – Piercing und bauchfrei sind nicht jedermanns Sache.
Mit Eignungstests kann die Selektion von Jugendlichen unterstützt werden. Allerdings werden diese oft überbewertet oder auch falsch interpretiert. Schulisch mittelprächtige, dafür handwerklich begabte und engagierte Schüler geben später oftmals die erfreulicheren Lehrlinge ab. Gute Hinweise geben auch die Hobbys der Lehrstellenbewerber. Computerspiele und Musik hören sind nicht wirklich die besten Voraussetzungen für den Beruf des Informatikers. Das Engagement bei einem Verein oder den Pfadfindern ist ein Zeichen für breites Interesse und hohe soziale Kompetenz.




Praktikanten oder Absolventen eines Basislehrjahres haben den grossen Vorteil, dass ihre Eignung bereits durch entsprechende Zeugnisse belegt ist. Die meisten Bewerber verfügen über ein Schulzeugnis mit den Noten der einzelnen Modulprüfungen. In diesem Fall stehen meistens auch die Schulen bei der Auswahl beratend zur Seite.


Stolpersteine

Für die meisten Betriebe wird die Ausbildung von Lehrlingen zu positiven Erfahrungen führen. Die jungen Menschen sind für die Mitarbeitenden wie auch für die Kunden oft eine Bereicherung im Alltag. Für den Betrieb ist dieses Engagement aber nur dann positiv, wenn auch ein Payback stattfinden kann. In der ersten Euphorie wollen viele Betriebe den Jugendlichen viel bieten. Oft ist weniger aber mehr. Es bringt nichts, die Lernenden alle paar Wochen in eine neue Abteilung zu versetzen. Meist ist es auch für die Jugendlichen befriedigender, wenn sie sich in einer Abteilung über einen längeren Zeitraum nützlich machen können. Lernende sollten auch gefordert werden. Letztlich darf man ihnen bezüglich Arbeitshaltung und Verantwortung mit zunehmender Ausbildungsdauer ähnliche Massstäbe setzen wie den übrigen Mitarbeitenden.


Fazit

Es ist absehbar, dass sich die Wirtschaft in wenigen Jahren bereits wieder über einen Mangel an Fachkräften beklagen wird. Die Beschäftigung von Praktikanten oder die Lehrlingsausbildung ist kein Geschäft – aber auch kein Verlustgeschäft. Gerade in Zeiten von knappen Budgets können sinnvoll eingesetzte Lehrlinge auch einen Beitrag zur Entlastung der Mitarbeiter leisten. Die Aufgabe als Ausbildungs- oder Praktikumsbetrieb bringt es aber zwangsläufig mit sich, dass sich die Mitarbeitenden immer wieder mit neuen Technologien auseinandersetzen müssen. Zunehmend wird bei der Vergabe von Aufträgen auch darauf geachtet, ob ein Betrieb seinen Anteil an der gesellschaftlichen Verantwortung übernimmt. Meist befruchten junge Menschen aber auch das Betriebsklima durchaus positiv.




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Der Autor

Jean-Pierre A. Kousz ist einer der ersten Lehrmeister in diesem Beruf, Mitbegründer der Zürcher Lehrmeistervereinigung (ZLI), Präsident der kantonalen Prüfungskommission für die Informatikberufe im Kanton Zürich und Geschäftsleiter der Stiftung Wirtschaftsinformatikschule Schweiz WISS.




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