Streitigkeiten um Prüfungsabnahmen

Die Forderung der Informatik-Schulen, Modulprüfungen durchzuführen, sorgt für rote Köpfe!

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/01

     

Mit der Modularisierung der Informatik-Weiterbildung wurde auch das Prüfungswesen modularisiert. Sowohl auf Fachausweis- wie auch auf Diplomstufe werden in einem zweisemestrigen Lehrgang jeweils elf Modultests und eine auf einen Tag verkürzte Schlussprüfung durchgeführt. Die elf Modulprüfungen sind dabei Voraussetzung für die Zulassung zur Schlussprüfung. Mit dem System sollte ein Qualitätsverfahren geschaffen werden, das den Auszubildenden mehr zeitliche Flexibilität und eine dem jeweiligen Bedürfnis angepasste individuelle Vorbereitung erlaubt.



Der Konflikt entzündet sich jetzt um den Grundsatz «wer lehrt, der prüft», denn alleinige Prüfungsträgerschaft ist zur Zeit die Genossenschaft I-CH. Die Ausbildungsinstitutionen in der Weiterbildung wollen aber auf der Basis einer Akkreditierung durch I-CH die Modultests selber durchführen können. Der Verwaltungsrat der Genossenschaft I-CH hat darum anlässlich seiner Sitzung vom 1. Juli 2004 und im Zusammenhang mit dem Antrag des Verbandes der Informatikschulen Schweiz (VIS) beschlossen, dass den Schulen auf Gesuch hin ab 2005 eine Akkreditierung erteilt werden soll. Diese gilt erstmals für Vorbereitungskurse zu den Schlussprüfungen 2006. Den Schulen genügt das jedoch noch nicht, denn der Verwaltungsrat behält sich in seinem Beschluss das Recht vor, den Entscheid zu ändern, falls sich im Zusammenhang mit laufenden Rechtsbegehren oder veränderten Rahmenbedingungen Änderungen ergeben. Eines der offenen Rechtsbegehren ist, dass die Schulen den BBT-Entscheid (Bundesamt für Berufsbildung und Technologie) anfechten, wonach dieses keine den Modulprüfungen adäquate Zertifikate der Schulen für die Zulassung zur Schlussprüfung akzeptiert.






Die Fronten haben sich mittlerweile verhärtet und beide Parteien führen stichhaltige Argumente ins Feld. Wir haben René Keller, Geschäftsleiter Modularisierung I-CH, und Rolf Böhm, Geschäftsleiter IFA, mit den wichtigsten Fragen konfrontiert.





InfoWeek: Was spricht dafür und was dagegen, dass Schulen und Institutionen die Modultests selbst entwickeln, durchführen und bewerten können?


René Keller: In der Diskussion rund um Ausbildungs- und Qualifikationsverfahren gibt es zwei gegensätzliche Überzeugungen, die beide aus guten Gründen Anhänger und Gegner finden: «wer lehrt, prüft» versus «wer lehrt, prüft nicht». Für die erste Regel werden in erster Linie didaktische Gründe angeführt; es soll geprüft werden, was tatsächlich vermittelt worden ist. Das zweite Prinzip verficht die Unabhängigkeit von Ausbildung und Prüfung. An alle Kandidatinnen und Kandidaten sollen inhaltlich und formal die gleichen Ansprüche gestellt werden.
Bei I-CH vertreten wir die Haltung, dass Modultests künftig nach beiden Regeln abgelegt werden können: Für Institute, die Modultests selbst entwickeln, durchführen und bewerten wollen, gilt «wer lehrt, prüft und wird überprüft». Diese Ausbildungsinstitute müssen zwingend von I-CH akkreditiert sein. Für alle Kandidatinnen und Kandidaten, die sich entweder im Selbststudium vorbereiten oder an Schulen ausbilden lassen, die auf eine Akkreditierung verzichten, bietet
I-CH ergänzend weiterhin eigene Modultests an. An der zentralen Schlussprüfung hält I-CH hingegen fest: Sie ist die für alle Absolvierenden gemeinsame abschliessende Qualifikation der höheren Berufsbildung in Informatik auf den Stufen Fachausweis respektive Diplom.





Rolf Böhm:
Die Schulen erhalten damit die Möglichkeit, die Prüfungen optimal auf ihre spezifischen Lehrpläne abstimmen zu können. Zudem wird es den Schulen möglich sein, Module zu Zwischenprüfungen zu bündeln, die ganze Kompetenzfelder abdecken und diese so anzusetzen, dass sie eine echte Standortbestimmung ermöglichen. Der Grundsatz «wer lehrt, prüft und wird geprüft» wurde im Zusammenhang mit der Lancierung der Modularisierung durch das BBT betont und kann mit der Durchführung der Modulprüfungen durch die Schulen am besten realisiert werden.





Sollen auch den Modulprüfungen gleichwertige Zertifikate zur Schlussprüfung zugelassen werden?


René Keller: In der Regel ja, allerdings nur da, wo der Grundsatz der Reziprozität eingehalten wird. Das heisst, ein entsprechender Kompetenznachweis von I-CH ist in solchen Fällen ebenfalls alternativ zum betreffenden Zertifikat als Zugang zu anderen Abschlüssen anerkannt. Absprachen mit anderen Organisationen über solche Gleichwertigkeiten sind in Diskussion. Entscheidungen sind bisher aber noch keine getroffen.

Rolf Böhm: Die ursprüngliche Absicht der Modularisierung war, mittels Standardisierung eine höhere Transparenz und Durchlässigkeit in der beruflichen Grund- und Weiterbildung zu erzielen. Im Rahmen der Globalisierung vieler Schweizer Unternehmen werden in der Ausbildung vermehrt international anerkannte Zertifikate verlangt (beispielsweise Certified Software Tester von iSQI). Es ist daher unlogisch, dass Absolventen, die solche Zertifikate mit gleichem Inhalt auf derselben Anforderungsstufe erfolgreich bestanden haben, die I-CH-Modulprüfungen auch noch absolvieren müssen.





Was bedeutet es für die Auszubildenden, wenn die Schulen die Modultests selbständig durchführen können?


René Keller: I-CH hat über das Verfahren der Akkreditierung sicherzustellen, dass Absolvierende von Modultests akkreditierter Schulen gegenüber Kandidatinnen und Kandidaten zentraler I-CH-Modultests weder Vor- noch Nachteile in Kauf zu nehmen haben. Damit können alle, die sich auf Modultests vorbereiten, den Bildungsweg einschlagen, der ihren persönlichen Präferenzen am besten entspricht.

Rolf Böhm:
Die Schulen werden die Prüfungen durch ihre Dozenten erstellen lassen (wer lehrt, der prüft). Wenn ausgewählte Dozenten die Prüfungen erstellen, ist gewährleistet, dass die Prüfungsinhalte viel besser auf die Lehrinhalte abgestimmt werden. Für die Auszubildenden hat dies den positiven Effekt, dass sie sich darauf verlassen können, dass das, was gelehrt wurde, auch tatsächlich geprüft wird. Der Auszubildende wird an der Prüfung nicht mit unerwarteten Inhalten oder ungewöhnlichen Fragestellungen konfrontiert. Das Resultat dieser Prüfung wird damit weniger ein Zufallsergebnis sein.





Weshalb zögert sich die definitive Entscheidung bezüglich des Akkreditierungssystems, das ja in einem Entwurf seit Juli vorliegt, solange hinaus?


René Keller: I-CH muss sich aus eigener Kraft finanzieren und daraus sowohl den Verpflichtungen in der beruflichen Grund- wie auch in der Weiterbildung nachkommen. Das Akkreditierungssystem kann im Interesse aller erst dann eingeführt werden, wenn die Modalitäten zwischen den beteiligten Partnern – den ausbildenden Schulen und der Genossenschaft I-CH – so geregelt sind, dass für alle Beteiligten eine tragfähige und damit dauerhaft gesunde Ertragssituation geschaffen wird.
Hauptgrund für die Verzögerung der Freigabe sind die bis dato vom BBT und allenfalls der Rekurskommission des Departements nicht entschiedenen Rechtsfälle zur Gleichwertigkeit von Modultests der I-CH und von schulintern durchgeführten Tests. Die I-CH geht davon aus, dass frühestens im Frühjahr 2005 definitive Entscheide vorliegen. Solange die Rechtssituation nicht geklärt ist, kann die Akkreditierung nicht freigeben werden.

Rolf Böhm: Das Budget der Geschäftsstelle I-CH basiert darauf, dass wesentliche Einnahmen über die Gebühren der Modulprüfungen erfolgen. Bei einer Akkreditierung der Schulen würde ein grosser Teil dieser Einnahmen wegfallen. Die Schulen sind der Meinung, dass dann durch I-CH auch nicht mehr die gleichen Leistungen zu erbringen seien und sind daher nicht bereit, über das durch I-CH vorgeschlagene Lizenzmodell die ausgefallenen Einnahmen vollumfänglich zu kompensieren. Sie wären bei derart hohen Lizenzen selber gar nicht mehr in der Lage, die Prüfungen qualitativ zufriedenstellend durchzuführen.




Zur Zeit sind elf Modultests für die Zulassung zur Schlussprüfung vorgesehen. Könnte man auch mit weniger als elf Modulprüfungen auskommen?


René Keller: Vom Grundsatz der Modularisierung, dass jedes Modul mit einem Kompetenznachweis abgeschlossen werden muss, ist I-CH bisher nicht abgewichen. Damit sind andere Lösungen nicht für alle Zeiten ausgeschlossen. Sie würden aber eine strategische Neuausrichtung des Qualifikationsverfahrens voraussetzen. Vorderhand sind keine solchen Vorschläge im Gespräch.

Rolf Böhm: Es gibt andere Lehrgänge, die mit weniger als 11 Modulprüfungen auskommen. Die Schulen könnten sich beispielsweise ein Modell mit drei gebündelten Modulprüfungen vorstellen. Es hat sich während der etwas mehr als zweijährigen Erfahrung mit dem Modulprüfungssystem von I-CH gezeigt, dass der bei zwei- oder auch dreisemestrigen Ausbildungslehrgängen sehr hohe Prüfungsrhythmus dazu führt, dass für die Auszubildenden vermehrt die Prüfung und nicht mehr der Unterricht im Vordergrund steht. Weniger Prüfungen hätten eine erhöhte Konzentration auf den Lerninhalt zur Folge.




Inwiefern leidet die Qualität der Ausbildung unter dem Interessenkonflikt?


René Keller: Die Resultate an den bisherigen beiden Schlussprüfungen zeigen statistisch signifikant, dass der Interessenkonflikt ohne Auswirkungen auf die Ergebnisse im Qualifikationsverfahren ist. Wie eingangs ausgeführt, sollen künftig bewusst beide Wege offen werden. Von einer wie auch immer gearteten Auswirkung auf die Qualität der Ausbildung gehen wir nicht aus. Damit schliessen wir nicht aus, dass sich aus anderen Gründen – wie überall – das Niveau der Ausbildung von Schule zu Schule unterscheiden kann.

Rolf Böhm: Da viel über die negativen Erfahrungen mit den bestehenden Modulprüfungen in der Informatikerszene berichtet wird, werden zukünftige Absolventen verunsichert. Viele potentielle Auszubildende warten ab, bis sich die Situation geklärt hat. Das führt dazu, dass die Schulen kleinere Volumen bewältigen müssen, was wiederum bei der Aufteilung auf die einzelnen Fachrichtungen problematisch wird, weil es oft vorkommt, dass einzelne Durchführungen aufgrund zu geringer Teilnehmerzahlen nicht gestartet werden können.




Welche Rolle spielt das Geld in dieser Auseinandersetzung?


René Keller: Geld spielt im doppelten Sinn eine Rolle. Aus der Sicht von I-CH geht es um Qualität und Ausmass der zu erbringenden Leistungen und um die operative Aufrechterhaltung des Geschäfts der Genossenschaft als Organisation der Arbeitswelt. Geld ist auch für die ausbildenden Schulen von entscheidender Bedeutung. Letztlich geht es um die Frage, welche finanziellen Aufwendungen nötig sind, um das Qualifikationsverfahren so zu gestalten, dass es die Anforderungen der Arbeitwelt erfüllt. Hier gehen die Meinungen teilweise auseinander.

Rolf Böhm: Aus Sicht der Schulen wäre die Akkreditierung und die gleichzeitige Aufrechterhaltung einer Geschäftsstelle I-CH möglich. Dass dabei bei I-CH aufgebaute Strukturen kritisch hinterfragt werden müssen, liegt auf der Hand und würde Umstellungen zur Folge haben. Durch die Modularisierung entstanden bei den Schulen zusätzliche Kosten in Millionenhöhe, die aufgrund der gleichzeitig rückläufigen Nachfrage nicht ohne Abbau in Kauf genommen werden konnten. Die Schulen verstehen daher nicht, warum sie jetzt noch einmal mit einem überhöhten Lizenzmodell zur Kasse gebeten werden sollen.





Welches sind Ihre nächsten Schritte?


René Keller: Das Thema der Akkreditierung bleibt auf der Traktandenliste des Verwaltungsrats von
I-CH. Sobald sich eine Lösung abzeichnet, die den Ansprüchen beider Seiten gerecht wird, kann der Verwaltungsrat für das System der Akkreditierung grünes Licht geben. Wir hoffen, dass dies möglichst bald der Fall sein kann.

Rolf Böhm: Die Schulen warten gespannt auf den auf Ende letzten Jahres durch I-CH versprochenen definitiven Entscheid zur Akkreditierung. Die Schulen haben bereits Konzepte und Strukturen für den Zeitpunkt vorbereitet, wo ihre Akkreditierungsanträge bewilligt werden und könnten bei einem positiven Entscheid sofort starten. Da aber die Gefahr besteht, dass sich der Entscheid weiter verzögern wird, hat IFA bereits Mitte 2004 beim BBT Antrag auf die gleichwertige Anerkennung der IFA-internen Prüfungen gestellt. Dieser Antrag wird durch einen Anwalt weiter verfolgt.




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