Lizenzfreie CRM-Systeme

Im Open-Source-Markt haben sich CRM-Systeme etabliert. Sie bieten aber nicht den Funktionsumfang von kommerziellen Paketen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/20

     

In den letzten Jahren hat die Akzeptanz für Open Source Software (OSS) in vielen Unternehmen sprunghaft zugenommen. Mit dem Betriebssystem Linux, dem Webserver Apache, der Datenbank MySQL und der Skriptingsprache PHP werden Produkte, die den gemeinsamen Anstrengungen Tausender von Programmierer weltweit entsprungen sind, heute immer häufiger in geschäftskritischen Bereichen eingesetzt.





Während die OSS-Diskussion früher vom Aspekt dominiert wurde, dass Open-Source-Produkte lizenzfrei abgegeben werden, spielt dieser Punkt heute nur noch eine untergeordnete Rolle: Zentral ist vielmehr, dass die OSS-Initiativen und -Projekte inzwischen als ernstzunehmende Kräfte im Markt betrachtet werden, die stark auf das Design von IT-Architekturen und die Entwicklung von Lösungen einwirken. Forrester Research hat untersucht, welche Softwarebereiche als nächste das Augenmerk der weltweiten Entwicklergemeinde auf sich ziehen dürften. Die Studie hat gezeigt, dass erst ab 2010 mit ersten ernstzunehmenden Open-Source-Versionen von geschäftskritischen, betrieblichen Anwendungen aus den Bereichen Enterprise Resource Planning (ERP), Supply Chain Management (SCM) und Customer Relationship Management (CRM) gerechnet werden kann. Als Ausnahme gelten Systeme für das Content Management (CMS), denn in diesem Bereich ist die Community sehr erfolgreich.






Open-Source-Anwendungen im Bereich des CRM stellen also heute noch keine echte Alternative zu den Paketen von Siebel, SAP, Peoplesoft, Amdocs/Clarify und Ephiphany dar. Dennoch bieten die heute sichtbaren CRM-Projekte eine Alternative für gewisse Anwender und Situationen: Der Einsatz einer Free-Software-Variante empfiehlt sich etwa dann, wenn ein guter Ausgangspunkt für eine Eigenentwicklung gesucht wird – und wenn gleichzeitig konkrete Vorstellungen von den zu automatisierenden betrieblichen Prozessen und den genauen Anforderungen an das System vorhanden sind.


Vorteile einer OSS-Lösung

Wenn auch die Kluft zwischen Open-Source-Anwendungen und etablierten CRM-Suiten noch gross ist, gibt es doch eine Reihe von Gründen, die – nebst einer grundsätzlichen Eignung und Bereitschaft des Unternehmens – für die Implementierung eines lizenzfreien und quellcodeoffenen Pakets sprechen. An erster Stelle ist sicher die Herstellerunabhängigkeit zu erwähnen. Beim kommerziellen Anbieter begibt sich der Anwender in ein oft kompliziertes Abhängigkeitsverhältnis zum Hersteller, das sich vom Beizug spezialisierter und teurer Berater bis zum Update-Diktat durch neue Produkt-Releases spannt. Das produktive Know-how für den Betrieb muss oft teuer gekauft werden, während die technischen Kompetenzen in der Open-Source-Community für jeden Interessierten frei verfügbar sind. Hinzu kommt, dass die Offenheit des Quellcodes dem versierten Anwender eine bei kommerziellen Anwendungen ungekannte Flexibilität für Änderungen und Weiterentwicklungen bietet. Wenn auch die wegfallenden Lizenzkosten in der OSS-Diskussion oft obenaus geschwungen haben, so ist festzuhalten, dass die Lizenzkosten im allgemeinen den geringsten Teil der Gesamtkosten bei der Einführung eines kommerziellen CRM-Produktes ausmachen. Der rein finanzielle Aspekt sollte deshalb als letzter erwogen werden.





Während im kommerziellen CRM-Markt die Produkte einiger weniger Hersteller durch eine hohe Verbreitung und einen hohen Bekanntheitsgrad hervorstechen, ist der OSS-Markt für betriebliche Anwendungen sehr dynamisch. Produkte oder Initiativen, die heute beliebt sind, werden vielleicht schon morgen von anderen übertroffen und punkto Architektur oder Funktionalität in den Schatten gestellt. Dennoch ist es nützlich, einen genaueren Blick auf die momentan aktivsten OSS-Initiativen zu werfen. Aus diesem Grund haben wir die Communities abgetastet und die wichtigsten OSS-CRM-Initiativen, die heute entwickelt und verwendet werden, einem objektiven Vergleich unterzogen: Dabei handelt es sich um Compiere, XRMS, Hipergate, SugarCRM und OpenCRX, die in der Folge kurz beschrieben werden.





Für welche Anwender macht eine Open-Source-CRM-Lösung Sinn?


Compiere

Compiere wurde im Jahr 1999 vom Deutschen Jörg Janke initiiert und entwickelt. Es erreichte seine Bekanntheit allerdings erst später, als es über Sourceforge unter der Mozilla Public License veröffentlicht wurde. Bis im Mai 2004 wurde die Suite laut Angaben der Entwickler schon über 600'000 Mal heruntergeladen und wird vom Reifenhersteller Goodyear in Deutschland produktiv eingesetzt. Compiere kombiniert viele typische CRM-Applikationen in einem Java-Swing-Client. Das Produkt wird gut unterstützt und erfreut sich grosser Beliebtheit, obschon es bezüglich Funktionalität und vor allem Skalierbarkeit nicht mit kommerziellen Paketen mithalten kann. Ferner ist es nicht möglich, Compiere Server-seitig zu optimieren, weil kein professioneller Applikationsserver vorliegt. Die technische Implementierung wirft zudem Probleme in Sachen Performance und Skalierbarkeit auf – und die Reduktion auf Oracle und Java-Swing-Klassen schränkt die architektonische Freiheit unnötig ein.


XRMS

XRMS ist eine reine PHP-Implementierung und befindet sich gegenwärtig in der vierten Betaphase. Das Produkt untersteht der GPL-Lizenz. Für die seit August 2003 erhältliche Anwendung sind keine Referenzinstallationen bekannt. Die Wahl von PHP bringt Vorteile mit sich: So ist die Suite plattformunabhängig und verhältnismässig schlank. Das Front-end wird auch in anderen Browsern als im MS Internet Explorer gut dargestellt und verfügt über ein intuitives und angenehmes «look and feel». Von der Funktionalität her ist XRMS weitgehend auf die Sales Force Automation (SFA) und Marketing-Support beschränkt. Es bietet aber auch Kernfunktionen, mit denen sich Kundenkonten verwalten lassen.


Hipergate

Hipergate entspringt einer Spanisch sprechenden Entwicklergemeinschaft, die Benutzeroberfläche wird aber laufend in andere Sprachen übersetzt. Auf Hipergate.com finden sich einige Namen von Referenzinstallationen, worunter allerdings keine grösseren oder bekannten Unternehmen anzutreffen sind. Implementiert ist das ebenfalls der GPL-Lizenz unterstehende Hipergate in Java Server Pages (JSP). Es überrascht durch eine ungewöhnliche Funktionsvielfalt in den Bereichen E-Business, SFA und Kontaktverwaltung. Wenn auch keine typischen CRM-Funktionalitäten vorhanden sind, so verfügt das Produkt doch über Kernfunktionen, die es zur attraktiven Wahl machen – insbesondere als Basis für die eigene Weiterentwicklung. Auf der Applikationsserver-Seite gelangt Tomcat oder WLS 8.1 mit JSP-Implementierung zum Einsatz, als Datenbank figuriert Oracle, MSSQL oder PostgreSQL.


SugarCRM

Das einer Modifikation der MPL-Lizenz unterstehende SugarCRM ist relativ neu im Markt, es beeindruckt aber mit einer durchaus interessanten ersten Implementierung. SugarCRM deckt mehrheitlich den Bereich der SFA ab, beinhaltet aber auch viele andere, generellere CRM-Funktionalitäten. SugarCRM ist ebenfalls eine PHP-Implementierung, die vornehmlich für das Zusammenspiel mit MySQL unter Linux oder Windows geschaffen wurde. Diese Wahl spricht allerdings nicht unbedingt dafür, dass sich damit hohe Volumen verarbeiten lassen. SugarCRM bietet als kommerzieller Anbieter Training und Support für die Lösung an.


OpenCRX

Das von der im Zürcher Technopark beheimateten Firma CRIXP entwickelte OpenCRX untersteht ebenfalls einer modifizierten MPL-Lizenz und stellt das jüngste Produkt in der OSS-CRM-Arena dar. Dabei handelt es sich um ein gut dokumentiertes System, von dem überdies eine komplette UML-Beschreibung vorliegt. Die Hersteller bieten Integrationsdienste an. Die Funktionsvielfalt ist noch ziemlich beschränkt und fokussiert sich vor allem auf den Verkaufsteil des gesamten CRM-Zyklus. Gemäss Sourcefourge wird OpenCRX bereits rund 2000 Mal pro Monat heruntergeladen, über Referenzinstallationen ist bislang nichts bekannt. OpenCRX ist allerdings auch erst seit August 2004 verfügbar.


Was dagegen spricht

Wie aus dem Vergleich im nebenstehenden Kasten ersichtlich wird, erreicht im CRM-Bereich noch kein OSS-Produkt nur annähernd die Bestnoten. Dies hängt damit zusammen, dass sich in diesem Umfeld die bei anderen Initiativen wie Linux oder MySQL etablierte «magische Kraft» des offenen Austausches von Code noch nicht wirklich entfalten konnte. Auch muss festgehalten werden, dass die funktionale Tiefe und Breite der betrachteten Applikationen es heute in keiner Weise mit den kommerziellen Anbietern aufnehmen kann. Hinzu kommt, dass keines der Systeme von der Architektur her für die bei intensiver CRM-Nutzung anfallenden Datenmengen geschaffen ist.
Dennoch: Wer die Unabhängigkeit von grossen Herstellern und Plattformen sowie die hohe Flexibilität, die OSS-Produkte bieten, schätzt und mit den erwähnten Nachteilen leben kann, sollte durchaus einen Versuch wagen





Open-Source-CRM-Systeme im Test


Die Autoren

Hans Waarle, Reiner Reschke, Andreas Zahnert sind von Cambridge Technology Partners in Zürich und haben in ihren Funktionen als Senior Consultant, Principal Architect und Project Manager Erfahrung in zahlreichen CRM-Implementierungen in der Schweiz und im Ausland sam-
meln können. Die Studie kann unter willkommen@ctp.com als PDF-Dokument bezogen werden.




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