White Paper, FAQ und Netzdossier: Licht in den Textsorten-Dschungel

Mit dem Web haben sich unzählige Textsorten wie White Paper, FAQ, Netzreportage oder Teaser verbreitet. Wir erklären die wichtigsten Begriffe.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/18

     

White Paper, Roadmap, FAQ, E-Newsletter, Netzreportage und Netzdossier – mit solchen Textsorten macht jeder Bekanntschaft, der mit IT und Telekommunikation zu tun hat und im Internet nach berufsspezifischen Informationen sucht. Google zählt alleine das Wort White Paper sieben Millionen Mal auf, der Begriff Roadmap kommt auf drei Millionen Treffer. Wenn man jedoch einen IT-Spezialisten fragt, durch welche Merkmale sich ein White Paper auszeichnet und welche Funktionen es hat, erhält man ein Achselzucken als Antwort. Dies gilt auch für die anderen Textsorten. Allen ist gemeinsam, dass sie für ein Fachpublikum geschrieben sind und der Einstieg in aller Regel über die typischste Textsorte des Internet, den Teaser, geschieht. Viele Teaser sind eine Art Hinweis- und Kurzmeldung und spielen auf Start- und Übersichtsseiten von Online-Informationsdiensten, aber auch auf Startseiten von Firmen und Organisationen eine zentrale Rolle. Sie sollen den Leser reizen, sich über den weiterführenden Link zum eigentlichen Artikel weiterzuklicken.


Berufsspezifische Dokumente



White Paper: Einst waren White Paper Dokumente, die Regierungen veröffentlichten, um über ein gesellschaftliches Problem Abklärungen zu treffen und Handlungsoptionen auszuarbeiten. Für die White Paper von IT- und Telekom-Herstellern, Forschungsinitiativen und Beratungsfirmen gilt ähnliches. Mit den Dokumenten, die 4 bis 20 Seiten lang sind, will man IT-Entscheidungsträger, das Fachpublikum und die Presse mit neuen Technologien bekannt machen. Häufig werden dabei Technologien verglichen und Geschäftsvorteile beschrieben – gewürzt mit Prognosezahlen. Je nachdem sind die Schwerpunkte unterschiedlich gesetzt. Nicht wenige Anwender erfahren erstmals über White Paper von neuen Techniken und welches Problem sie besser lösen sollen als alte Techniken. Allerdings scheint es, dass White Paper mehr und mehr zum Marketingmaterial gerinnen, das neben der Bekanntmachung Vertrauen schaffen soll, Schwächen verheimlicht und andere Techniken abwertet – wie etwa White Paper gegen Open Source. Andere nutzen den guten Ruf des Begriffs und adeln eine blosse Marktstudie zum White Paper.



Roadmap: Der Begriff Roadmap, 1883 erstmals nachgewiesen, steht ursprünglich für Verkehrskarte und Strassenplan. Längst spricht man auch von technologischen oder Produkte-Roadmaps. Diese legen für Einzelsysteme (etwa Betriebssystem, Programmierwerkzeug und Router), Produktfamilien und ganze Architekturen einen langfristigen Entwicklungsplan fest. Viele Roadmaps beschreiben, wann welches Produkt über welche Funktionen und Leistungsparameter verfügen wird – eigentlich ein Stufenplan. Allerdings sind die Entwicklungspläne der IT-Hersteller nicht eben selten vage und nur von beschränktem Kundennutzen. Zugegebenermassen ist eine über zwei Jahre hinausgehende Vision problematisch, weil sich in der IT schnell alles ändern kann. Es scheint aber, dass ein klarer Fahrplan vor allem für den Hersteller selber wichtig ist, da er den Rahmen für die internen Abteilungen vorgibt. Eine Roadmap kann auch beschreiben, welche Produkte bei einer Fusion eingestellt und welche wie und wann mit anderen integriert werden.



Keynote: Keynote ist ein Wort, das in der IT- und Telekomszene regelmässig auftaucht. Darunter wird eine Eröffnungsrede an einer wichtigen Konferenz, Tagung oder Messe verstanden. Häufig werden Keynotes von Firmenbossen gehalten, die mehr an repräsentativen Auftritten und der Selbstdarstellung ihres Unternehmens interessiert sind. Besser wären wohl Anwender oder ehrliche Analysten, die sich tatsächlich durch ein Problem gekämpft oder eine Betaversion getestet haben. Nicht selten bleiben die Vorträge der Firmenbosse im vagen – vor allem, wenn die Reden Titel tragen wie «Die Strasse vor uns» und «Die Zukunft». Statt dessen sollten die Themen «Wie löst man das Problem?» oder «Pro und Contra» heissen.



Memorandum of Understanding: Ein Memorandum of Understanding lässt sich als freiwillige Vereinbarung unter Partnern (Netzbetreibern, IT-Firmen, Organisationen, Firmen jeglicher Art) zur Zusammenarbeit beschreiben. Dies kann etwa die gemeinsame Entwicklung neuer Technologien oder Einführung bestimmter Dienste zu einem festgelegten Zeitpunkt betreffen. Häufig handelt es sich um Entwicklungen, die eine Firma, Organisationen oder Gruppe nicht leisten kann. Ein schriftliches Dokument hält die gemeinsamen Ziele, Prinzipien und Verantwortlichkeiten fest. Es ist kein bindender Vertrag. Jedoch besteht eine «Art verpflichtender Charakter», weil sich die Partner zumeist an einer Pressekonferenz öffentlich auf ein MoU festlegen.



Frequently Asked Questions: Ein Kürzel, dem IT-Spezialisten im Cyberspace immer wieder begegnen, ist Frequently Asked Questions (FAQ). FAQ sind Textdokumente mit häufig gestellten Fragen zu einem Thema und den dazugehörigen Antworten. Die erste FAQ-Liste hat 1982 ein NASA-Mitarbeiter geschrieben, weil er sich geärgert hatte, dass in einer technischen Newsgroup Neulinge unentwegt dasselbe fragten. Mittlerweile stellen sich viele Organisationen, Vereinigungen und Firmen im Frage-Antwort-Spiel vor oder präsentieren so die wichtigsten Fragen zu ihren Produkten. Für Interessierte sind FAQs ein probates Mittel, sich schnell zu orientieren. Der Frage-Antwort-Weg wird auch in Handbüchern genutzt – so haben die Anwender schnell einen Überblick über grundlegende Fragen, während andere im normalen Text verpackt sind. Vereinzelt nutzen auch Zeitungen das Frage-Antwort-Spiel: Grössere Beiträge werden um einen FAQ-Kasten ergänzt, in dem wichtige Fragen zum Thema gestellt und beantwortet werden.



E-Newsletter: Eine wichtige Textsorte im Internet ist der elektronische Newsletter (E-Newsletter), der per E-Mail die Anwender erreicht. Er kommt als redaktioneller Newsletter, Angebots-Newsletter oder Spezialinformations-Newsletter daher. Er ist auch für Organisationen und Verbände aller Art ein billiges und effizientes Kommunikationsmittel. Manchmal entwickelt eine Berufs-Community selber einen Newsletter, weil Fachzeitungen zu wenig und zu oberflächlich über ihr Thema berichten. Die Vorteile dieses Mediums liegen auf der Hand: Damit lässt sich aktuell, zielgruppenorientiert und ohne grossen Aufwand kommunizieren. Inhaltlich sind dem E-Newsletter keine Grenzen gesetzt. Aus der Sicht der Abonnenten sind Newsletter in aller Regel gratis, beruhen auf ihrer Freiwilligkeit und erlauben ein umgehendes Feedback.





Die wichtigsten Textsorten im Überblick


Journalistische Textsorten

Während die bislang genannten Textsorten vor allem Darstellungsmittel von Herstellern und Organisationen sind, lassen sich Netzdossier, Netzreportage, Fachartikel und Anwenderbericht als journalistische Textsorten definieren – das Netzdossier und die Netzreportage sogar als neuartige journalistische Darstellungsformen.


• Netzreportage: Die Netzreportage ist ein Text, der den User darüber aufklärt, welche Informations- und Kommunikationsangebote – etwa White Paper – es zu einem bestimmten Thema im Netz gibt. Direkt in den Text integriert sind Links zu den beschriebenen Angeboten. Der Text selbst erläutert, was den User auf den jeweiligen Sites erwartet. Die Vorteile der Netzreportage liegen darin, dass das Web weit mehr Platz für weiterführende Informationen bietet als ein Printmedium. Der User erreicht Hintergrundberichte und weitere Informationen zum Thema über externe und interne Links.


• Netzdossier: Eine «zunehmende Informationstiefe» und umfassende Zusammenhänge zeichnen auch das Netzdossier aus, manchmal auch Webdossier oder Webspecial genannt. Es lässt sich als Materialsammlung aus Bericht, Chronik, Interview, Bildergalerie, O-Ton, Kurzfilm oder Linksammlung verstehen. Beispiele findet man auf den Online-Auftritten aller grossen Zeitungen. Jedes Netzdossier hat eine Startseite, auf der sämtliche Bestandteile aufgeführt werden. In aller Regel ist auf jeder tiefergehenden Seite ein Link zur Startseite gesetzt. Eine Variante des Netzdossiers ist das Big Picture von Online-Informationsdiensten. Unter dem aktuellen Artikel finden sich Links auf zuletzt zum Thema veröffentlichte Artikel. Hier und da finden sich «gesponserte» Links auf White Papers (will heissen, dass die Hersteller des White Papers für den Link bezahlen).


• Blog: Die persönlichen Weblog-Seiten (Blog), von denen es inzwischen Hunderttausende gibt, erfüllen eine ähnliche Selektionsfunktion wie Zeitschriften. Sie enthalten persönliche Kurzmitteilungen, Tips, Erfahrungen und kommentierte Links zu anderen Websites, aber auch News von herkömmlichen Informationsdiensten, mitunter gefiltert und witzig kommentiert. Inhaltlich sind einem Weblog keine Grenzen gesetzt. Blogs können auch Technologien wie Open Source, MySQL und PHP zum Thema haben. Viele Weblogs sind vergleichbar mit einem unendlichen Kurzmeldungsblock, neue Einträge finden sich in aller Regel chronologisch gereiht an oberster Stelle. Die Autoren können Bezug aufeinander nehmen, so dass eine Art Gesprächsprotokoll entstehen kann. Viele Blogs beschränken sich auf «Nano-Audiences» mit nur wenigen Teilnehmern. Davon werden wiederum viele nach einiger Zeit kaum noch oder überhaupt nicht mehr nachgeführt. Längst nutzen auch traditionelle Onlinemedien das Mittel der Weblogs. Vereinzelt finden sich Weblogs auf Websites von IT-Herstellern, in denen sich dann etwa Kunden über Produkte austauschen können.


• Fachartikel: Nicht nur in Fachzeitschriften finden sich Fachartikel, auch Branchenvereinigungen und Firmen bestücken damit gerne ihre Websites. Fachartikel sind Texte mit einer Länge von mehreren A4-Seiten, die sich ausführlich, auf hohem fachlichen Niveau mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen und von einem Fachmann (Experte, Fachjournalist) verfasst werden. Ein Fachartikel behandelt ein Fachthema und eine begrenzte Fragestellung idealerweise aus neutraler, problemorientierter Perspektive, ohne dabei eine einzelne, an einen Hersteller gebundene Technologie oder ein herstellergebundenes Produkt zu favorisieren. Beispiele für solche Fachthemen sind etwa die Vorteile von Voice over IP. Wenn der Autor – etwa bei einem technischen Thema – überhaupt auf Problemlösungen eingeht, dann nur in einem groben Vergleich. Statt dessen gehören in einen Fachartikel Informationen, welche Nachteile mit einer Technologie verbunden sind und welche Ergebnisse erste Projekte gebracht haben.


• Anwenderbericht: Während ein Fachartikel eine Fachthematik, eine Problemstellung ins Zentrum rückt, nicht aber einzelne Anwender, geht ein Anwenderbericht von einer bestimmten Implementierung, von einem konkreten Beispiel aus. Idealerweise enthält ein Anwenderbericht die Punkte Ausgangslage und Vorüberlegungen des Anwenders, Installation, Probleme und Resümee – was nicht unbedingt eine Success Story für die genutzten Produkte sein muss. PR-Agenturen machen gerne darauf aufmerksam, dass ein Anwenderbericht potentielle Kunden überzeugen kann, ebenfalls zu dieser Lösung zu greifen. Als Grund wird dabei angeführt, dass ein Anwenderbericht mehr Gewicht habe als werbliche Aussagen. Anwenderberichte werden häufig von Firmen oder PR-Agenturen initiiert, eher selten kommt die Initiative vom Anwender.


• Success Story: Ebenfalls von einer konkreten Implementierung geht die Success Story aus. Möglicherweise besteht der Unterschied zwischen Anwenderbericht und Success Story darin, dass ersterer aus der Perspektive des Anwenders berichtet und zweitere die Sicht des Anbieters oder des Herstellers betont. In der Success Story geht es um die erfolgreiche Installation eines Produktes bei einem Kunden und die Frage, warum man gerade diesen Hersteller ausgewählt hat. Gerne wird von «innovativen Produkten» und «hohem Preis/Nutzenverhältnis» schwadroniert. Häufig wird eine Success Story von vornherein dafür produziert, dass sie als Sonderdruck (am besten nachdem sie in einer Fachzeitschrift erschienen ist), als PDF-Datei, als Artikel im elektronischen Firmen-Newsletter oder auf der Firmen-Website Interessenten und potentiellen Kunden zugänglich gemacht wird. Eine Folgeverwertung, die auch bei Anwenderberichten keineswegs ungewöhnlich ist.


Und ausserdem…

Das Internet hält noch eine Menge weiterer Textsorten bereit. Für die IT-Szene von Wichtigkeit sind ferner das Datenblatt, die Request-Dokumente RFP, RFI, RFO und die berühmten RFC.


• Datenblatt: Ein technisches Datenblatt ist die Kurzbeschreibung eines Produktes und enthält dessen technische Daten (wie Masse, Gewicht, Stromverbrauch und unterstützte Standards). Häufig werden die übersichtlichen Daten um ein Foto, ein Diagramm oder eine Illustration ergänzt. Ferner streicht das Datenblatt auf einfache Art und Weise die Anwendungsgebiete und den Nutzen für die Anwender heraus. Dies kann auch einen Vergleich mit ähnlichen Technologien oder Produkten beinhalten. Kein Thema des Datenblattes, als Synonym wird häufig der Begriff Produktblatt gebraucht, ist die Bedienung eines technischen Produktes. Dies ist Aufgabe des Handbuches. Schliesslich soll ein Datenblatt den Namen des Geräts oder eine klare Modellbezeichnung sowie die Adresse des Herstellers enthalten.


• RFP, RFI und RFQ: Mit einem RFP (Request for Proposal) fordern Kunden bisherige und potentielle Lieferanten auf, für Hardware, Software und Dienste Angebote abzugeben. Ein solches Beschaffungsdokument enthält klar definierte Anforderungen. Ein RFI ist eine weniger offizielle Version von RFP, es ist weniger formal als ein RFP, während Antworten auf ein RFP die vollständige Konfiguration und sämtliche Kosten enthalten müssen und im allgemeinen bindend sind. Mit einem RFI werden während der Konzeptionsphase Informationen von Anbietern über ihre Produkte und Dienstleistungen identifiziert und eingeholt, um Annahmen zu verifizieren und eigene Konzepte anzupassen. Ein RFQ (Request for Quotation) wiederum steht für eine Aufforderung zu einem Kostenvoranschlag für eine vordefinierte Lösung. Die Anforderungen sind in diesem Fall sehr viel mehr strukturiert und detailliert vorgegeben als in einem RFP. Häufig sind bereits Liefertermine vorgegeben.


• RFC: Die berühmtesten Request-Texte sind die RFC-Dokumente (Request for Comments). Vielfach wird auf die RFC als Standards für das Internet verwiesen. Das ist richtig und falsch zugleich. Alle Internet-Standards sind als RFC veröffentlicht. Darüber entscheidet die Internet Engineering Task Force, die Vorschlägen nach einem komplizierten Vernehmlassungsverfahren den Stempel Internet-Standard aufdrückt. Viele RFC behandeln dabei technische Festsetzungen zum Datenaustausch, auch Protokolle genannt. Nicht alle RFC schaffen aber den Sprung zum Standard. Manche RFC, vor allem aus den Anfangszeiten, sind blosse Sitzungsprotokolle. Jedes Dokument bekommt eine ganz bestimmte Nummer und darf danach nicht mehr verändert werden. Falls trotzdem eine inhaltliche Bearbeitung notwendig sein sollte – etwa im Fall eines Protokolls, das weiterentwickelt wird – müssen die erweiterten Spezifikationen mit einer neuen RFC-Nummer versehen werden. Momentan ist man bei Nummer 3847 angelangt.


Der Autor

Manfred Weise ist freier Journalist, Sie erreichen ihn unter manfred.weise@bluewin.ch




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