Legacy-Systeme: Wie modernisieren?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/15
Sollten IT-Verantwortliche weiterhin Geld in ihre Altsysteme investieren, diese modernisieren oder vielleicht sogar ersetzen? Führungskräfte im IT-Bereich grosser Unternehmen müssen sich diese Frage am Ende jedes Geschäftsjahrs wieder neu stellen. Die Altsysteme haben Zusammenschlüsse überlebt, Übernahmen, Re-Engineering, technische Revolutionen, Neuordnungen in der Branche und den Jahrtausendwechsel. Diese Systeme, die zum Teil aus den 1960er Jahren stammen, bleiben weiterhin der Kern des IT-Portfolios, auch wenn die Unternehmen sich bereits auf Gelegenheiten im E-Commerce konzentrieren.
Pflege, Modernisierung und Ersatz von Altsystemen gehören zu den schwierigsten Herausforderungen, denen sich viele Unternehmen heute stellen müssen. Die Pflege von Altsystemen stellt aufgrund des ständig fortschreitenden technologischen Wandels oft keine Option dar. Der Ersatz des bestehenden durch ein vollkommen neu entwickeltes System ist dagegen mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden. Folgende Faktoren stehen beispielsweise dieser Strategie entgegen:
Altsysteme sind oft inkompatibel mit überlappenden Applikationen oder schwierig zu integrieren. Ein Altsystem lässt sich möglicherweise schwer mit Software für das Customer Relationship Management (CRM) und mit Internet-basierten Geschäftsapplikationen integrieren. Darüber hinaus sind Altsysteme im Gegensatz zu modernen, verteilten und geschichteten Architekturen häufig monolithisch und schlecht unterteilt. Und schliesslich ist die Qualität des Source Code von Altsystemen im allgemeinen schlecht.
Ausserdem gestaltet es sich für IT-Abteilungen zunehmend schwierig, Entwickler zu finden, die die Qualifikation besitzen, in Programmiersprachen an Applikationen zu arbeiten, die in modernen Technologien nicht mehr verwendet werden. Die Notwendigkeit einer Modernisierung wird bedingt durch den Faktor Kosten im Vergleich zum Geschäftswert von Altsystemen. Eine Business-Case-Analyse sollte zeigen, ob die Investitionen für die Modernisierung geringer sind als der erhöhte Geschäftswert.
Bei der Auswahl des besten Modernisierungswegs müssen IT-Verantwortliche die Folgen für die vier Dimensionen im Hinblick auf das Altsystem berücksichtigen. Zusammen stellen diese den entwickelten Wert des Systems für die Organisation dar. Die weiteren Dimensionen neben dem Altsystem selbst sind folgende:
- Die Datenbank des Altsystems. Eine typische Datenbank wurde in jahrelanger Arbeit aufgebaut und verbessert. Mit den Jahren wurden Geschäftsregeln und semantische Abhängigkeiten auf Feld- und Tabellenebene eingebaut, die den Entwicklern und Benutzern bekannt sind.
Bei der Planung einer Modernisierung sollten IT-Verantwortliche sowohl bedenken, wie bestehende Anlagen am besten genutzt werden können, als auch – was von ebenso grosser Bedeutung ist – wie zukünftige Initiativen, über die möglicherweise noch sehr wenig bekannt ist, am besten zu unterstützen sind. Modernisierungsoptionen sind beispielsweise:
- Screen Scraping (oder «Web Facing») ist eine Methode des Web-Enablement, die bei Benutzern sehr beliebt ist, die Applikationen und Daten über eine Benutzeroberfläche zur Verfügung stellen oder Host Screens in eine Web-ähnliche Form bringen wollen, ohne die Applikationen oder Prozesse zu verändern. Diese Technik bietet Internetzugriff auf Altapplikationen, ohne dass Änderungen an der zugrundeliegenden Plattform vorgenommen werden müssen. Aufgrund ihrer Eigenständigkeit können Screen Scrapers in Tagen oder manchmal sogar Stunden installiert werden. Die Skalierbarkeit kann jedoch ein Problem darstellen, da die meisten Altsysteme bei weitem nicht so viele Benutzer bedienen können wie Internet-basierte Plattformen.
In den frühen Stadien des Migrationsprozesses muss die zentrale Geschäftslogik identifiziert und abgebildet werden, um die Wechselbeziehungen im Source Code, mit dem die Geschäftsfunktion der Applikation ausgeführt wird, deutlich zu machen. Eine Programmaffinitätsanalyse kann durchgeführt werden, um Aufrufmuster und Prozessablaufdiagramme zu erstellen, die die Abhängigkeiten zwischen den Programmen in bezug auf Aufrufe und Verlinkung enthalten. Diese Muster und Diagramme ermöglichen, verbundene Programm-Cluster, die gute Indikatoren für verknüpfte Geschäftsaktivitäten darstellen, visuell zu identifizieren.
Nach der Identifikation und Abbildung der zentralen Geschäftslogik lässt sich diese in eigenständige Komponenten unterteilen, die in Client/Server- und Internet-basierten Umgebungen installiert werden können. Durch diesen Prozess werden Programmsammlungen erstellt, die eine bestimmte Geschäftsfunktion ausführen. Darüber hinaus besitzen die Komponenten klar definierte APIs; auf sie kann über moderne Protokolle nach Industrienorm zugegriffen werden.
Die Komponenten können auf einem Mainframe verbleiben oder in modernen verteilten Umgebungen neu installiert werden.
Im Zuge des Umwandlungsprozesses müssen zunächst die üblichen Systemdienstfunktionen wie Fehlerreporting, Transaktionsprotokollierung und Datumsberechnungsroutinen identifiziert werden. Um Verarbeitungsredundanz zu vermeiden und ein konsistentes Systemverhalten zu gewährleisten, müssen diese Komponenten in einer systemweit wiederverwendbaren Dienstprogrammbibliothek standardisiert werden.
Altsystemmodernisierung ist von essentieller Bedeutung für Organisationen, die zu hohe finanzielle Mittel aufwenden müssen, um den Geschäftswert ihrer überholten Datensysteme zu erhalten. Ein zweiter Faktor, der Änderungen notwendig macht, ist der Trend hin zu Internet-basierten Plattformen wie beispielsweise .NET und J2EE in der Industrie. Die Einführung neuer Computersysteme kann die Betriebskosten senken und es erleichtern, eine Applikation an Veränderungen am Markt oder an den Wettbewerbsdruck anzupassen.
Es steht eine Vielzahl verschiedener Optionen zur Verfügung, darunter auch Massnahmen wie Screen Scraping und Code Wrapping. Jede Strategie hat unter bestimmten Umständen ihren Sinn. Die erstgenannte Methode kann Altapplikationen eliminieren, bei denen die Codequalität für eine Migration zu schlecht ist, und die letztgenannte Methode bietet einen schnellen und kostengünstigen Zugriff auf die Altfunktionalität. Doch für solche Unternehmen, die die Funktionalität ihres Altsystems auf einer modernen Plattform bewahren und erweitern möchten, stellt eine Migration mit unterstützenden Tools mit grosser Wahrscheinlichkeit die kostengünstigste Strategie dar.
Hans Sassenburg ist CEO der Software Improvement Group (www.sig-AG.ch). Sie erreichen ihn unter h.sassenburg@sig.eu.