Trotz Informatikermangel IT-Experten finden
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/14
Finanzinstitute, Telekom- und Pharmaunternehmen, aber auch Detailhandels- und Industrieunternehmen suchen fieberhaft nach Informatikern. Zum Teil thematisieren die Banken ihre Personalengpässe in den Tageszeitungen, um so auf Karrieremöglichkeiten aufmerksam zu machen. Oder sie bieten ihren Mitarbeitern Prämien in fünfstelliger Höhe für die Vermittlung von neuen Kräften. Doch das gegenseitige Abjagen von ICT-Spezialisten bleibt letztlich ein Nullsummenspiel. Die Anzahl der IT-Experten wächst nur durch Ausbildung oder Einwanderung.
Allerdings gibt die Zahl der Informatikabsolventen an der ETH kaum Grund zur Hoffnung – magere 70 sind es pro Jahr. «Aufgrund der rückläufigen Studienzahlen wird mittelfristig die Rekrutierung von hochqualifiziertem ICT-Personal für die hiesigen Unternehmen eine Herausforderung darstellen», sagt Stefan Arn, Präsident von ICTswitzerland, gegenüber der im Mai erstmals erschienenen Fachzeitschrift «ICT in Finance». Heute sind in der gesamten Schweiz zwischen 12’000 und 15’000 IT-Stellen unbesetzt – doppelt so viele wie 2003. Eine im April publizierte IDC-Studie mit dem Titel «Networking Skills in Europe» besagt, dass im kommenden Jahr in der Schweiz allein über 7000 Experten mit fortgeschrittenen Netzwerkkenntnissen fehlen werden.
Einen Ausweg bieten Unternehmen, die Spezialisten im gesamten deutschsprachigen Raum rekrutieren. Sie vermitteln hochqualifizierte Fachleute, die nicht selten ein, zwei Jahre oder auch länger bei einem Kunden arbeiten. Auch Festanstellungen werden vermehrt von Recruiting-Spezialisten vermittelt. Specialist Recruitment grenzt sich damit von der klassischen Temporärarbeit ab, die ursprünglich auf die Überbrückung von kurzfristigen Personalengpässen im gewerblichen Bereich angelegt war.
Peter Kosel, Managing Director Schweiz des mit 4 Milliarden Franken Umsatz marktführenden Spezialistenrekrutierers Hays, beschreibt den Prozess: «Unser Expertenpool umfasst über 75’000 Spezialisten, darunter mehr als zwei Drittel Akademiker. Benötigt ein Projektleiter kurzfristig einen SAP-R3-Entwickler, einen Netweaver-Experten oder einen Java-Programmierer, so können aus unserer Datenbank Kandidaten mit den entsprechenden Profilanforderungen einschliesslich Verfügbarkeitszeitraum und geografischem Einsatzbereich herausgefiltert werden.»
InfoWeek: Welches Fachwissen wird zurzeit in der IT besonders gesucht?
Kosel: Zurzeit gibt es in der Schweiz etwa 25’000 unbesetzte Stellen für Spezialisten, wovon rund 12’000 bis 15’000 auf die IT entfallen. Besonders auffällig ist die Nachfrage nach Projektleitern und Projektmanagern. Aber auch Testing ist ein grosses Thema. In einer Zeit, in der aggregierte Informationen immer wichtiger werden, beschäftigt uns alles, was mit Datawarehousing zusammenhängt. Dazu zähle ich Business-Intelligence-Anwendungen im allgemeinen wie auch Analysen mit SAS, SAP und Oracle. In diesem Bereich ist der Personalmarkt geradezu leergefegt. In den Life Sciences werden in erster Linie die klassischen SAS-Spezialisten gesucht, die auch Erfahrung und Kenntnisse in klinischer Forschung mitbringen. Ganz allgemein wird verstärkt eine Kombination aus IT-Spezialwissen und Verständnis der jeweiligen Fachthemen gefordert. Ein schweigsamer C/C++-Codierer, der sich nicht mit seinem Umfeld austauscht, ist heute nirgendwo mehr gefragt. Die Anspruchshaltung der Kunden hat sich diesbezüglich extrem gewandelt. Gerade die BI-Experten dienen als Bindeglieder: Von ihnen wird verlangt, dass sie die Anforderungen des Business in IT-Lösungen übersetzen und umgekehrt die Möglichkeiten der IT-Lösungen dem Business vor Augen führen. Sie ermitteln den Workflow und erstellen Ablaufpläne. Im Hinblick auf die Sozialkompetenz haben sie die schwierigste Aufgabe.
Welche Auswirkungen hat Outsourcing auf den Jobmarkt?
Die Offshoring- und Nearshoring-Aufgaben werden von den Unternehmen weitgehend selbständig angegangen. Die resultierenden globalen Projekte wirken sich natürlich auch auf die Nachfrage für Spezialisten aus. Wir müssen heute den Java-Entwickler finden, der nicht nur dasitzt und codiert, sondern der eine Software auch unter Aspekten der Architektur anpassen kann, sich mit den Ansprechpartnern im Offshoring-Unternehmen austauscht und auch über die Distanz eine performante Software liefert. Wenn ausserdem mehr Projekte ins Ausland gegeben werden, sind im Mutterkonzern Schnittstellen erforderlich, also Projektleiter, die das Vorhaben managen, und vor allem auch Testexperten, die die Software hier vor Ort auf unsere Qualitätsstandards hin testen, um sie letztlich ins System integrieren zu können.
Wie sieht der Markt für Temporärkräfte aus?
In der Schweiz befinden sich im Lauf eines Jahres 245’000 Spezialisten in temporären Anstellungen; an jedem Tag sind es etwa 58’000. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2006, wobei der Markt für Temporärkräfte stark wächst. Zurzeit deckt er 1,6 Prozent des gesamten Erwerbseinkommens in der Schweiz ab, was etwa 3 Milliarden Franken entspricht.
Wie gehen Sie bei einer Anfrage vor?
In der Region Deutschland, Österreich, Schweiz verfügen wir über ein strukturiertes Netzwerk mit 75’000 Spezialisten, davon sind 60’000 bis 65’000 aus der IT – also rund 80 Prozent. Dieses Netzwerk bietet eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass wir einen passenden Spezialisten aus dem richtigen Umfeld vermitteln können. Der Kunde kann Spezialisten in der ganzen Breite und Tiefe des IT-Umfelds wünschen, egal ob es sich um SAP handelt oder um einen IT-Architekten oder einen Front-end-Entwickler mit Banking-Know-how. Unter Umständen kann man jemanden, der solche Projekte gerade bei der Deutschen Bank umgesetzt hat, jetzt an eine Schweizer Bank vermitteln.
Welche Firmen beanspruchen solche Vermittlungen?
Zu den wichtigsten Kunden zählen die IT-Abteilungen der Gross- und Privatbanken, aber natürlich auch die der Pharmakonzerne in Basel, wo wir im September eine Niederlassung eröffnen werden. Auch die grossen IT-Anbieter spielen eine immer wichtigere Rolle. Mit ihnen machen wir zurzeit etwa 10 Prozent des Geschäfts. Im Contracting und Personalverleih kommen die Anfragen direkt vom Projektleiter, bei Festanstellungen laufen die Wege meist über die Personalabteilung.
Das Interview mit Peter Kosel führte David Lübke.