Stipendien - der Kantönligeist lebt
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/12
Die gesetzliche Literatur zum Stipendienrecht ist lang, sehr lang sogar. Und es gibt sie ganze 26 Mal. Denn jeder Kanton in der Schweiz regelt seine Stipendienpolitik selbst, was nebst einiger Verwirrung auch durchaus relevante Unterschiede für Interessierte mit sich bringt.
Den kantonalen Bestimmungen übergeordnet steht allerdings das Bildungsgesetz. Den Grundsatz und Zweck von Stipendien teilen sich also auch die Kantone: «Der Kanton unterstützt in Ausbildung stehende Personen mit Beiträgen, sofern ihre eigenen Mittel und diejenigen ihrer nächsten Angehörigen oder anderer Leistungspflichtiger nicht ausreichen», so das Schweizerische Bildungsgesetz. Das Prinzip der theoretischen Chancengleichheit für alle sozialen Schichten soll zur Geltung kommen.
Anspruch auf Stipendien haben laut Gesetz Schweizer Staatsangehörige, Ausländerinnen und Aus-
länder nach einem fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt in der Schweiz und anerkannte Flüchtlinge mit stipendienrechtlichem Wohnsitz im jeweiligen Kanton.
Der stipendienrechtliche Wohnsitz ist ausschlaggebend für die jeweils geltenden Bestimmungen. Es ist jedoch nicht garantiert, dass der aktuelle Wohnsitz auch der stipendienrechtliche Wohnsitz ist. Für den Kanton Zürich beispielsweise gilt in der Regel, dass Personen mit abgeschlossener Erstausbildung erst stipendienrechtlichen Wohnsitz beantragen können, wenn sie während zweier Jahre ununterbrochen im Kanton Zürich gewohnt und gearbeitet haben, ohne dabei eine Ausbildung absolviert zu haben. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt der vorangegangene Wohnsitz (für Lehrabgänger beispielsweise derjenige der Eltern).
Selbstverständlich kann ein stipendienrechtlicher Wohnsitz jeweils nur in einem Kanton beantragt werden, Doppelstipendien sind also nicht möglich.
Die meisten Kantone haben gesetzlich eine bestimmte Alterslimite festgelegt. Wurde das maximale Alter für Stipendien erreicht, lohnt sich ein Antrag kaum mehr, da diesem nur äusserst selten und in Extremfällen stattgegeben würde. Damit die Chancengleichheit trotzdem bewahrt wird, vergibt
die öffentliche Hand statt Stipendien auch Darlehen.
Auch für Personen in einer Zweitausbildung können Darlehen vergeben werden. Je nach Einkommen wird eine Mischung aus Stipendien und Darlehen gewährt: Im Kanton Wallis zum Beispiel erhält eine Person in Zweitausbildung mit einem Einkommen von bis zu 44’999 Franken eine finanzielle Unterstützung, welche zu zwei Dritteln aus Stipendien und nur zu einem Drittel aus einem Darlehen besteht. Je höher das Einkommen ausfällt, desto höher ist auch der Anteil der Darlehen beziehungsweise niedriger der Anteil an Stipendien der Unterstützung. Jedoch sollte man dabei immer bedenken, dass man diese Darlehen früher oder später zurückzahlen muss.
Was die Altersgrenze nach oben betrifft, so existieren markante Unterschiede zwischen den einzelnen Kantonen. In Uri kann man beispielsweise noch bis und mit fünfzig ein Stipendium beantragen, während man in Appenzell Innerrhoden oder dem Wallis bereits ab dreissig keinen Anspruch mehr erheben kann und sich mit Darlehen begnügen muss. In Zug ist ab vierzig sogar mit Darlehen in der Regel Schluss.
Auch die Höhe der finanziellen Unterstützung hängt vom Kanton ab. Durchschnittlich erhielten die 52’000 Stipendienbezüger im Jahre 2005 rund 5400 Franken. Auch hier fallen die Unterschiede teilweise hoch aus: Im Kanton Zürich betrug die Unterstützung rund 7300 Franken pro Person, im Kanton Neuenburg im Schnitt 3100 Franken pro Person.
Grosse Unterschiede entstehen auch durch die Berücksichtigung verschiedener Lebenslagen. Je nach Einkommen, Familienverhältnissen, Vermögenswerten und so weiter werden individuelle Stipendienbeiträge errechnet, wobei die Kantone auch hier mehrheitlich eigens ausgearbeitete Berechnungsschlüssel verwenden.
So bekommt jemand als Unterstützung für die Sekundarstufe I im Kanton Zürich pauschal 7500 Franken an Stipendien pro Jahr. Als finanzielle Stütze während der Sekundarstufe II können bereits 9300 Franken bezogen werden, wobei noch allerlei zusätzliche Unterstützung für Fahrkosten, Wohnkosten, Schulgeld und anderes folgen kann. Für den zweiten Bildungsweg kann man vom Staat pauschal bis zu 12’600 Franken jährlich bekommen.
Wiederum für das Jahr 2005 galt: Je höher die Bildungsstufe, desto höher fiel die Unterstützung aus. So erhielten die Stipendiennehmer auf der Sekundärstufe II durchschnittlich 4000 Franken, diejenigen auf der Tertiärstufe im Mittel bereits 7000 Franken.
Das Stipendienrecht des Kantons Zürich sieht vor, dass eine Einzelperson insgesamt nicht mehr als 50’000 Franken Unterstützung pro Jahr erhalten kann. Selbstverständlich wird aber nicht jedem Antragssteller dieses Maximum ausbezahlt: Anrechenbares Einkommen des Antragstellers und seiner nächsten Angehörigen wird den Ausgaben während der Ausbildung gegenüber gestellt. Fällt die Waage ins Ungleichgewicht, übernimmt der Staat lediglich den Fehlbetrag.
Insgesamt wurden 2005 rund 279 Millionen Franken in Form von Stipendien und 27 Millionen Franken in Form von Darlehen vergeben. Dies entspricht in etwa dem langjährigen Mittelwert. Den Löwenanteil der Kosten übernehmen dabei die Kantone. Gemessen am Jahr 1990 erreichten die bewilligten Stipendien und Darlehen Mitte der 90er-Jahre ihren absoluten Höhepunkt (siehe Statistik). Laut Bundesamt für Statistik nehmen die Vergaben von Stipendien und Darlehen jedoch seit zehn Jahren kontinuierlich ab.
- Sekundarstufe I: Obligatorische Ausbildung vom 6. bis zum 9. Schuljahr.
- Sekundarstufe II: Anschlussausbildung wie Gymnasium, Fachmittelschule, Berufslehre oder Berufsmatura.
- Tertiärstufe: Nachobligatorische Ausbildung wie Studium, Fachhochschule, Weiterbildung oder Zweitausbildung.