Soziale Netze - Die Masse denkt

Bei IBM werden Social Networking und andere Web-2.0-typische Konzepte im Intranet bereits intensiv für die Kommunikation eingesetzt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/09

     

Das Internet hat die Art, wie wir zusammen leben und arbeiten, schon lange mehr verändert, als wir glauben mögen: Standen am Beginn des Internets Informationsversorgung und Nachrichten von zentralen Redaktionen, so kam dann der E-Commerce mit dem Aufstieg von Amazon, Ricardo und Ebay gross in Mode. Da verwundert es nicht, dass Versandhäuser heute mehr Umsatz über das Netz machen als mit klassischen, gedruckten Katalogen. Dominant waren in dieser Phase zentrale Anbieter von Informationen und Produkten und die breite Masse als Leser oder Käufer.


Nun kehrt sich dieser Ansatz immer mehr um. Aufgrund neuer Verhaltensmuster sowie Arbeitsweisen der neuen Generation und dank neuer Technologien rückt der einzelne als Informationsvermittler immer mehr in den Mittelpunkt. Zum Beispiel im grössten heute existierenden sozialen Netzwerk, der 2003 gegründeten Web-2.0-Community MySpace. Dort beteiligen sich über 120 Millionen Menschen an Diskussionsrunden, schreiben persönliche Blogs und stellen ihre Fotos sowie selbst gemachte Musik und Videos öffentlich zur Verfügung. Damit verfügt MySpace über 15mal so viele Mitglieder, wie die Schweiz Einwohner hat. Weltweit kann man mittlerweile von insgesamt 500 Millionen Menschen ausgehen, die in solchen Netzwerken aktiv sind.



Mit Web 2.0 wird ein altes Problem des Internets nochmals erheblich verstärkt: die Informationsflut. Aber auch da findet Social Networking eine elegante Lösung. Es macht sich einen Effekt zunutze, den der Journalist und Autor James Surowiecki beschrieben hat. In seinem Buch «Die Weisheit der Vielen» zeigt er, dass viele Menschen klüger sind als ein einzelner. Sogenannte Tag Clouds, wie sie unter anderem beim Bookmarking-Dienst Deli.cio.us zu finden sind, bilden die technische Basis dazu. Das Grundprinzip: Jeder Besucher versieht seine erfassten Informationen mit Schlagwörtern, sogenannten Tags. Diese werden dann in Clouds angezeigt, wobei die einzelnen Tags gemäss ihrer Wichtigkeit optisch hervorgehoben werden. Tags spielen auch bei der Suche eine grosse Rolle: Sucht man nach einem bestimmten Stichwort, findet man genau die Seiten, die von anderen am häufigsten mit dem passenden Schlagwort versehen wurden.


Next Step: Business Social Networking

Der Nutzen für Unternehmen dieser «Social Networks» wurde lange nicht erkannt. Dabei spiegeln diese Netzwerke einen wesentlichen Trend unseres Wirtschafts- und Arbeitslebens. Heute zählt weniger das Wissen, das man exklusiv für sich behält. Das Gegenteil ist der Fall: Es zählt das Wissen, das man teilen kann. Das gilt genauso für Firmen. Nicht mehr der Mitarbeiter ist für das Unternehmen wertvoll, der sein Wissen wie einen Schatz im Schreibtisch versteckt, sondern derjenige, der sein Wissen mit anderen teilt. Web-2.0-Technologien bieten dafür die Plattform.



Nun beginnen immer mehr Unternehmen diesen Nutzen für sich zu erkennen. Neben dem öffentlichen Social Networking, wie es im Moment bekannt ist, entsteht ein vielfältiges, nicht-öffentliches Business Social Networking in Organisationen, Unternehmen und Verbünden. Es wird die Art, wie Werte in Unternehmen erzeugt werden, dramatisch verändern. Bis vor kurzem kam die effektivste Zusammenarbeit in der Regel aus Personengruppen, die physisch zusammensitzen oder organisatorisch verbunden sind. Das ändert sich durch Business Social Networking in einer absehbar rasanten Parallelentwicklung von Technologie und Geschäfts- und Gemeinschaftsmodellen.


Kontrolliertes Chaos im Unternehmen

Weil überraschend schnell eine aktive, extrem granulare Nutzung der Erfahrung, des Wissens und der Kreativität von Mitarbeitern, Partnern, Communities und Mitbürgern (Kunden) möglich ist – und das sogar weltumspannend –, wird es zu einer Beschleunigung von Innovationen in allen Bereichen kommen. Selbst die Akzeptanz und Annahme von Innovationen wird beschleunigt und folgt oft neuen Wegen. Unternehmen, die sich dieser neuen Form der «Collaborative Innovation» verschliessen, dürften im globalen Wettbewerb erhebliche Nachteile haben. Rein hierarchische IT- und Geschäftsmodelle werden Innovationen nicht mehr schnell genug hervorbringen können.
Business Social Networking heisst für Unternehmen aber auch, sich daran gewöhnen zu müssen, einen höheren Grad an kontrolliertem Chaos zuzulassen. Ansonsten riskieren sie, auf der Innovationsspur vom Wettbewerb überholt zu werden.


Web-2.0-Technologien bei Big Blue

Bei IBM wird deswegen seit einigen Jahren Business Social Networking im eigenen Unternehmen eingesetzt. Im Intranet der Firma finden sich viele der Web-2.0-Technologien in für Business-Zwecke angepasster Art wieder. IBM ist davon überzeugt, dass es den Mitarbeitern damit leichter fällt, von diesem geteilten Wissen zu profitieren. Mit 700 themenbezogenen Communities, 30’000 Blogs und über 8000 Wikis mit 8500 Usern pro Tag ist IBM auf gutem Wege, die interne Firmenkommunikation im Sinne der «Schwarmintelligenz» zu beschleunigen. Mit dem «Think Place» steht den Mitarbeitern eine Community-basierte Vorschlagsplattform zur Verfügung. Dort hat sich IBM auf das «kontrollierte Chaos» eingelassen. Mit Erfolg: Aus den Postings kamen über 6000 Vorschläge für neue Projekte und Produkte, von denen IBM mittlerweile 430 realisiert hat.


Auch Social Bookmarking hat bei IBM seinen festen Platz in der Unternehmenskommunikation. Wo Web-Nutzer im Internet deli.cio.us nutzen, heisst das Angebot bei IBM «Dogear». Damit lassen sich per Klick Bookmarks speichern, mit Tags versehen und anderen Kollegen weltweit zur Verfügung stellen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Web-2.0-Anwendungen bei IBM ist das Online-Adressverzeichnis «BluePages». Es integriert neben einfachen Kontaktinformationen (Name, Funktion, Mailadresse, Telefon) auch Netzwerkfunktionen. So kann man Kollegen zu seinem persönlichen Netzwerk einladen – ähnlich wie bei der bekannten Business-Community-Plattform Xing. Man kann Kollegen Tags zu ihren Spezialgebieten geben oder Informationen zu besonderen Projekten integrieren. Schreibt der Mitarbeiter einen eigenen Blog oder hat Beiträge in einem Forum veröffentlicht, werden sie ebenfalls auf seiner Kontaktseite angezeigt.



Instant Messaging (IM) ist mittlerweile neben der E-Mail zum wichtigsten Kommunikationskanal innerhalb von IBM geworden. Die hauseigene Instant-Messaging-Lösung SameTime ist über offene Schnittstellen sowohl mit dem Adressverzeichnis als auch mit jeder Art von Office-Dokumenten verknüpft. Sobald das System einen Namen im Adressverzeichnis findet, kann man durch einfaches Anklicken des Namens über IM direkt Kontakt aufnehmen. Es integriert in der neusten Version IP-Telefonie und ermöglicht Video-Konferenzen per Web-Kamera.


Tags als Wegweiser für Wissen

Diese Kommunikationsmittel und Plattformen sind mittlerweile fester Bestandteil des Arbeitsalltags. So gibt es bei IBM derzeit über 4000 aktive Blogger, die mindestens zweimal pro Woche neue Einträge in ihre Blogs stellen. Über 221’000 Nutzer arbeiten in ihren Projekten mit Wikis und nutzen sie unter anderem, um gemeinsam komplexe Dokumente wie Angebote zu erstellen und ihr Erfahrungswissen zu dokumentieren. Jeder Intranetartikel ist zudem auch über RSS respektive Atom-Feed abrufbar. Dank dieser Technologie können Mitarbeiter Informationen aus dem Intranet sehr feingliedrig abonnieren.
Hat man einen besonders nützlichen Text gefunden, kann man ihm einen für alle Mitarbeiter sichtbaren Tag geben. Diese Schlagwortsammlung hilft anderen Kollegen dann, schnell die richtige Information oder den besten Ansprechpartner zu finden. Es hat sich gezeigt, dass innerhalb der der IBM mit den Tag Clouds eine wertvolle Wissensdatenbank entstanden ist. Viele nutzen die Tag-Wolken auch als eine Art Trend-Barometer, indem sie beobachten, welche Schlagwörter in der Wolke grösser oder kleiner werden. Ein wichtiger Aspekt der Tags ist dabei, dass sie von Kollegen vergeben werden. Das verleiht ihnen mehr Glaubwürdigkeit, als neutrale Ergebnisse einer herkömmlichen Intranetsuche es haben. Interne Umfragen zeigen, dass die IBM-Mitarbeiter dank der Web-2.0-Technologien deutlich besser informiert sind.


Mashups: Mehrwert fürs Intranet

Dabei entfalten diese Tools den grössten Nutzen, wenn sie nicht nur ihre Nutzer vernetzen, sondern auch untereinander verbunden sind. Sogenannte Mashups bieten diese Möglichkeit. Ein Mashup ist die dynamische und Kontext-abhängige Verbindung von verschiedenen Web Services. Mit ihrer Hilfe kann man relativ einfach verschiedene Web-2.0-Angebote miteinander verknüpfen. Auf der Schweizer Suchplattform map.search.ch kann man sich zum Beispiel direkt in einer Landkarte anzeigen lassen, wann ein Bus an einer bestimmten Haltestelle abfährt. Man braucht nicht erst auf die Seite des örtlichen Nahverkehrs zu gehen. Der Besucher der Seite merkt von der Verbindung nichts. Und genau diese Verbindungen fördern den heutigen Business-Mehrwert.


Auf das Zusammenspiel kommt es an

Diese Integration der verschiedenen Werkzeuge und Plattformen ist auch bei IBM ein wichtiger Erfolgsfaktor für den Einsatz von Web-2.0-Technologien. Ein gutes Beispiel ist die Suchfunktion im Intranet. Sie verbindet traditionelle Suche mit der Suche in den neuen Informationsquellen. Die Suchresultate listen neben herkömmlichen Trefferlisten auch Seiten auf, die von anderen Mitarbeitern mit dem entsprechenden Suchwort «getagt» wurden. Daneben finden sich Experten zum Thema, die von sich oder anderen Mitarbeitern das entsprechende Tag bekommen haben.
Zusätzlich zeigt die Suche die neuesten Intranetartikel zum Thema und Einträge aus Foren, Blogs und Wikis in separaten Bereichen an. Der Mitarbeiter erhält so einen kompletten Überblick über den aktuellen Wissensstand des Unternehmens zu seinem Suchthema.


Einbinden von Kunden und Partner

IBMs Ziel ist sicherlich nicht, das neue Flickr, YouTube, MySpace oder Amazon im Unternehmen zu erfinden. Die Firma möchte vielmehr die Chancen nutzen, die Social Networking Unternehmen bietet. Durch die Integration von Web-2.0-Technologien ermöglicht IBM ihren Mitarbeitern, produktiver zu sein. Aus den guten Erfahrungen, die das Unternehmen damit gemacht hat, sind mittlerweile Produkte geworden, die dasselbe auch für Kunden ermöglichen. Sie erleichtern es den Mitarbeitern, effektiv zusammen zuarbeiten, und helfen ihnen, die Arbeit von Kollegen zu entdecken und zu nutzen. Aber nicht nur innerhalb des Unternehmens wird diese Zusammenarbeit wichtiger. Diese neuen Technologien ermöglichen es IBM auch, mit Kunden, Partnern und ehemaligen Mitarbeitern in Kontakt zu bleiben. Innovationen entstehen heute nicht mehr hinter geschlossenen Labortüren in Hochsicherheitsgebäuden. Sie entstehen in der lebendigen Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Partnern.


Die Autoren

Urs Schollenberger ist Manager of Lotus Sales & PLM Switzerland bei IBM Switzerland.

Dr. Peter Schütt ist Leader Knowledge Management Germany bei IBM Deutschland.




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