Editorial

Auf dem Weg zum Open-Source-Auto


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/05

     

Geht es um die grössten Open-Source-Erfolge, werden im allgemeinen das Betriebssystem Linux, der Web-Server Apache und der Browser Firefox genannt. All diese Produkte sind Software – sie sind aus Bits gemacht und es ist relativ einfach, verteilt an ihnen zu arbeiten, sie aufzudatieren, zu verbessern und neu zu veröffentlichen.
Die eigentliche Frage aber ist: Ist es möglich, mit den Praktiken und Ansätzen von Open Source auch Hardware zu bauen, physisch greifbare Objekte? Beispielsweise ein Auto?
Markus Merz ist sich sicher, dass es klappen kann. Der junge Deutsche ist Gründer und «Maintainer» des OScar-Projekts (http://theoscarproject.org), dessen Ziel es ist, ein Auto nach Open-Source-Grundsätzen zu entwickeln. Die Teilnehmer streben danach, einen einfachen, funktional aber voll ausgestatteten Wagen zu designen und – quasi nebenbei – unsere Mobilität neu zu erfinden.




Merz und einige Freunde haben bereits 1999 von OScar geträumt, als Merz noch als Internet-Consultant arbeitete. «Ich war damals ein sehr idealistischer junger Mann», erklärte er mir vor kurzem an der European Futurists Conference (http://european-futurists.org), einem jährlichen Treffen von Visionären in Luzern, «und deshalb schrieb ich ein Manifest». In diesem erklärt er die Ziele des Projekts: «Ein Auto bauen, ohne Fabrik, ohne Chefs, ohne Geld, ohne Grenzen – dafür mit der Hilfe der vielen kreativen Menschen in Internet. (...). Drei bis vier Monate brauchen wir für unser Konzept. (...). Dann geben wir uns ein Jahr für den ersten Prototypen. (...) Ich verlass mich da mal auf die vielen klugen Köpfe dieser Welt».
Die Timeline erwies sich als deutlich über­optimistisch. Merz‘ Manifest beinhaltete einige Grundregeln, wie die Leute zusammenarbeiten sollten, aber diese waren zu allgemein formuliert. Und die Tools, die für die Arbeit an einem so ambitionierten Projekt nötig waren, gab es schlicht noch nicht (konsequenterweise wollten Merz und seine Kollegen nur mit Open-Source-Software arbeiten). «Und natürlich», so Merz, «hatten wir keine Ahnung, was wir überhaupt taten. Wir hatten weder einen Masterplan noch eine klare Richtung».






Zu Beginn arbeitete die Gruppe im Stillen, aber nach einigen Monaten erhielt das Projekt plötzlich eine Menge Aufmerksamkeit – zu viel, wie sich zeigte. Ein populärer deutscher Techie-Newsletter verlinkte zum OScar-Manifest, das deutsche Fernsehen berichtete – und die Dinge liefen aus dem Ruder. Hunderte wollten an dem Projekt mitarbeiten, das für eine solche Menge von Mitarbeitern gar nicht ausgelegt war. Der Druck dieses unvorhergesehenen Interesses hat die Arbeit extrem verlangsamt.
Es brauchte drei Jahre, um das Projekt wieder auf Spur zu bringen. 2004 wurden neue Strukturen und klare Spielregeln eingeführt, technische Anforderungen für den Wagen festgelegt (beispielsweise die Grösse und die angepeilte Leistung) und ein übersichtliches Set von Modulen für die Weiterarbeit definiert: Karrosserie, Motoren, elektrisches System, Sicherheitssysteme und Energiesysteme.
Letzteres ist dabei das Schlüsselmodul: Das OScar-Projekt will auch alternative Designs für die individuelle und kollektive Mobilität finden, was unter anderem auch den Informationsaustausch beinhaltet, um beispielsweise die Flexibilität beim Gebrauch von Fahrzeugen oder eine sinnvolle Routenwahl zu ermöglichen. Der OScar wird von Beginn an ein «vernetzter» Wagen sein.





Derzeit sind gut 110 Leute aus aller Herren Länder im OScar-Projekt involviert. Im Mittelpunkt steht ein Kernteam von drei Entwicklern, und weitere rund 1000 Leute sind zwar registriert, spielen im Projekt aber (noch) keine aktive Rolle. Alle Teilnehmer betrachten die Mitarbeit als Hobby.
Die Profile der involvierten Mitarbeiter variieren stark. Aber während heutzutage der Bau eines Autos «eh bis zu einem gewissen Punkt hauptsächlich eine Software-Sache» ist, tendieren die Leute an einem Hardware-Projekt eher dazu, «echte» Techniker statt «bloss» Software-Ingenieure zu sein. Sie wissen zwar, wie man Software entwickelt, kennen aber auch den Geruch von Karrenschmiere.
Sechs Jahre nach der Initialzündung erklärt die Website von OScar, dass das Projekt derzeit den Release 0.2 erreicht habe. Laut Merz bedeutet das, dass ein «frühes konzeptuelles Stadium» erreicht sei. «Wir versuchen nun nicht mehr, das Projekt zu beschleunigen, wir lassen es je nach verfügbaren Ressourcen einfach wachsen.» Und dann fügt er noch eine Lektion hinzu, die er gelernt hat: Die Art, wie man gewisse Sachen tut, ist wichtiger als die Deadline – besonders, wenn es um derart bahnbrechende Sachen wie die Entwicklung eines Open-Source-Autos geht.




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