Mein Chef, die Niete!
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/11
Mein Chef ist eine Niete! Er hat weder fachliche noch menschliche Fähigkeiten. Dies sagen 34 Prozent der 2100 Teilnehmer einer deutschen Online-Umfrage, die vom Job- und Wirtschaftsmagazin «Junge Karriere» in Zusammenarbeit mit der Internet-Stellenbörse Monster durchgeführt wurde. 30 Prozent sagen, ihr Chef habe wohl sachliche, aber keinerlei menschliche Fähigkeiten. Das wären dann schon 64 Prozent, die der Meinung sind, dass ihre Chefs keinerlei menschliche Fähigkeiten besitzen. 9 Prozent finden ihren Vorgesetzten nett, unterstellen ihm aber, dass er vom Fach keine Ahnung hat. 25 Prozent der Befragten sind mit ihrem Vorgesetzen rundum zufrieden. Sie finden ihn kompetent und menschlich angenehm.
Für den Basler Rechtsanwalt Roland Rasi kommt das Umfrageresultat nicht völlig überraschend. Erschreckend ist für den ehemaligen Topmanager des Bankvereins, der heute als Coach und Mediator ehemalige CEOs berät, allerdings die hohe Anzahl derjenigen Vorgesetzten, die sowohl in der Disziplin Menschlichkeit als auch in fachlicher Hinsicht versagen. «Das kostet die Wirtschaft viel Geld», analysiert er die Konsequenzen.
Wir wollten von Rasi wissen, woran es liegt, dass heute überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer über ihren Arbeitgeber oder über ihren direkten Vorgesetzten in irgendeiner Art und Weise klagen. «Das ist ein spezielles Phänomen unserer Gesellschaft, in der generell eine grosse Unzufriedenheit festzustellen ist. Es geht uns immer noch zu gut», bringt es Rasi auf den Punkt, der ausserdem anfügt, dass in unserem Land grundsätzlich mehr gejammert als gejubelt wird.
Die Studie wurde zwar in Deutschland durchgeführt, und für die Schweiz gibt es dazu vorläufig keine aktuellen Zahlen. Trotzdem ist die Situation bei uns ähnlich. «Es ist vielleicht eine Spur besser in der Schweiz, weil unser Land kleiner und übersichtlicher ist», sagt Rasi. Ausserdem hätten wir keine DDR-Integration zu verkraften, die Milliarden verschluckt, die gar nicht vorhanden sind. In Deutschland müssen sich die Leute einschränken und um ihre Renten fürchten. Das alles seien keine Aufsteller. Folgerichtig sei es in Deutschland aufgrund der miserablen wirtschaftlichen Bedingungen eher verständlich, dass die Angestellten unzufrieden sind. Und all diese Faktoren übertragen sich schlussendlich auch auf ein Unternehmen, so Rasi.
Gemäss Rasi haben wir in der Schweiz ausserdem den Vorteil, dass die Unternehmensstrukturen weniger hierarchiebetont seien. Und unsere Managements seien zudem viel internationaler als in Deutschland. Die ausländischen Chefs hätten eine andere Kultur und eine andere Einstellung. «Die freuen sich und sind gerne da», sagt Rasi. Das hat natürlich wiederum Auswirkungen auf die allgemeine Stimmung in einem Betrieb.
Was halten Sie von Ihrem Vorgesetzten?
Trotzdem weht auch hier ein kälterer Wind als früher. Auf den CEOs lastet heute ein viel grösserer Druck als noch vor zehn Jahren. Eine aktuelle Studie des Management- und Technologieberaters Booz Allen Hamilton hat ergeben, dass jeder zehnte CEO eines grossen Unternehmens im letzten Jahr seinen Job wegen «Nichterfüllen der gesetzten Erwartungen» verloren hat. Die Studie untersuchte in den 2500 weltweit grössten Unternehmen das Sesselrücken in den Führungsetagen. Die Fluktuationsrate lag gemäss Studie in den Chefetagen der Grossunternehmen global bei 9,5 Prozent. In Europa sieht das Bild noch trüber aus. So wurde jeder zweite Konzernchef wegen mangelhafter Leistungen abgesetzt.
Und je jünger ein Vorgesetzter bei Amtsantritt ist, desto schneller fliegt er wieder aus dem Amt.
Weitere Faktoren, die für mehr Druck sorgen, sind die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen. Während es früher über viele Jahre hinweg faktisch keine Arbeitslosigkeit gab, müssen wir seit einigen Jahren mit Hunderttausenden von Arbeitslosen leben. «Das erzeugt mehr Druck», sagt Rasi, und «viele Leute haben Angst. Das führt unter anderem zu mehr Mobbing. Ausserdem sind Computer nicht gerade förderlich. Sie bewirken viel weniger zwischenmenschliche Begegnungen. Führen heisst nicht Computer bedienen, sondern Menschen begegnen», so der Mediator.
Auf die Frage, was denn einen guten Chef auszeichnet, antwortet Rasi: «Nebst fachlicher Kompetenz sollte er in der Regel alles, was er von seinen Leuten verlangt, auch selber machen oder vorzeigen können. Ausserdem muss er eine hohe soziale Kompetenz haben. Er sollte seine Leute sehr gut kennen, um sie auch beurteilen zu können. Zudem muss er immer Zeit für sie haben.» Ein Fehler sei häufig auch, dass die Vorgesetzten gar nicht wissen, was die Untergebenen machen. Ein Chef müsse ganz genau wissen, was seine Schäfchen machen und sie dabei erwischen, wenn sie ihre Aufgabe gut machen. «Die Leute müssen gelobt werden, wenn sie ihre Sachen gut machen», sagt Rasi. Das sei vergleichbar mit einem Hund, der gelobt werden will, wenn er den Knochen holt. «Das alles kostet nichts und schlägt sich sofort in der Kasse nieder», so der Spezialist. Das Resultat vom «guten Chef sein» ist ausserdem Beliebtheit. Das wichtigste dabei sei, dass man die Sachen, die man an seinem Chef kritisiert, selber richtig macht. Denn die Welt sei in Ordnung, wenn man so ist, wie man seinen Chef gerne hat.
Roland Rasi hat aber auch einige Tips für Arbeitnehmer, die ihren Chef bemängeln: «Wenn der Chef die Frustrationsquelle ist, muss man die Frustrationsquelle bearbeiten.» Damit meint er, dass man ganz intensiv immer wieder das Gespräch suchen und Ideen bringen soll, was man am Arbeitsplatz und in der Umgebung besser machen kann. Man sollte sich selber motivieren und seiner eigenen Arbeit einen Sinn geben. Es sei falsch, nur die Chefs für die Motivation verantwortlich zu machen.
Darüber hinaus sei es sehr wichtig, dass man auch neben der Arbeit Werte findet. «Man soll sich ablenken vom Arbeitsfrust, etwas für die Gesundheit machen. Dann kann man Frust auch besser erdulden», so Rasi. Und wenn man anfange, gesundheitliche Schwierigkeiten zu haben, müsse man als letzte Massnahme den Job wechseln.
Auf jeden Fall ist es falsch, sich in einer Unzufriedenheit einzugraben, die aus Existenzangst oder aus Angst vor dem Chef entstanden ist. «Man muss kommunizieren, seinem Chef erklären, dass man seine Arbeit gar nicht besser machen kann, wenn man die entsprechenden Mittel nicht hat. Das gibt in der Regel gute Gespräche», rät Rasi, der davon überzeugt ist, dass dies einen positiven Teufelskreis erzeugt.
Und man sollte immer bei sich selber anfangen und immer das, was man kritisiert, selber richtig machen. Und die Chefs, die wiederum eigene Chefs haben, müssen ihren Chefposten so positiv ausführen, dass sie ihre eigenen Vorgesetzten nur bemängeln können, wenn sie es selber besser machen.
Und ohne Arbeit geht nun mal nichts. Denn die Arbeit gehört zum integrierenden Bestandteil des Lebens, und die wenigen, die nicht arbeiten müssen, sind auch nicht glücklicher. «Das wichtigste ist, dass man einen positiven Sinn sieht in dem, was man macht», sagt Rasi. Und damit hat er Recht, denn schon ein altes chinesisches Sprichwort sagt: «Wenn Du ein Leben lang glücklich sein willst, liebe deine Arbeit.»