Videokonferenz-Tools: Guck mal, wer da spricht

Videokonferenzen sind nicht mehr nur Unternehmen vorbehalten. Mit Webcam und Shareware-Programm ist heute jedermann dabei.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/12

     

Grossleinwandige Videokonferenzen gehören zum Standardinventar beinahe eines jeden Science-Fiction-Films. Nun stellen Videokonferenzen in solchen Auflösungen und über oft sehr weite Distanzen freilich immer noch eine technische Herausforderung dar. Wer sich aber mit weniger zufriedengeben kann, braucht nicht mehr auf die Zukunft zu warten.



Wir stellen Ihnen in diesem Vergleichstest vier Programme vor, mit denen Sie an Videokonferenzen teilnehmen können. Die Programme sind entweder gratis oder als Shareware für wenig Geld zu erstehen.




Neben der Software wird ausserdem eine Webcam gebraucht. Aber auch hier gibt es unterdessen preisgünstige Modelle, die eine akzeptable Qualität liefern. Immerhin sind Videokonferenzen echte Bandbreitenschlucker, so dass auch ADSL-Verbindungen der Videoauflösung natürliche Grenzen setzen. Obwohl die meisten Programme Komprimierverfahren eingebaut haben, die den Gebrauch von analogen Modemanschlüssen ermöglichen, empfiehlt es sich trotzdem, mit Übertragungsraten von ISDN und ADSL zu arbeiten. Hat man darüber hinaus noch einen Flat-Rate-Anschluss, macht das Videokonferieren erst richtig Spass. Nicht zu vergessen sind Lautsprecher und Mikrofon, wobei einige Kameras bereits mit einem Mikrofon ausgestattet sind.


Standards gewähren Interoperabilität

Zur Übertragung von Audio und Video gibt es eine Reihe von Standards, aber auch proprietäre Lösungen. Der am weitaus meist verbreitete Standard ist H.323, eine Version des H.320 Multimedia-over-ISDN-Standard, der für paketbasierte Netzwerke optimiert ist.



Zur Architektur von H.323-basierten Verbindungen können Multipoint Control Units (MCU), Gateways und Gatekeepers gehören. Die MCU sind eigentliche Konferenzserver, mit deren Hilfe sich mehrere Clients zu Gruppenkonferenzen verbinden können. Gateways werden dort gebraucht, wo Videokonferenzen über verschiedenartige Netzwerke verbunden werden, also z.B. von H.323 zu H.320 oder sogar zum Telefonfestnetz. Ein Gatekeeper wiederum ist ein Dienst, welcher H.323-Clients, Gateways und MCU registriert und Anschlüsse verwalten kann.




Sowohl NetMeeting als auch CUseeMe sind H.323-kompatibel. Dies bringt unter anderem den Vorteil, dass die beiden Clients miteinander kommunizieren können. Ausserdem sind Standardsysteme oft einfacher in die übrige IT-Infrastruktur mit Firewalls und ähnlichem integrierbar.



Die beiden anderen Programme in diesem Test, FlyConference Suite und iSpQ Video Chat, verwenden proprietäre Systeme. In beiden Fällen vertreiben die Produzenten neben den Clients auch Serversoftware, so dass grössere Unternehmen durchaus mit Vorteil einen eigenen Konferenzserver einrichten können. Die Nachteile proprietärer Systeme liegen auf der Hand: Oft sind technische Beschreibungen gar nicht oder nur schwer zugänglich, vor allem aber sind die Clients nicht kompatibel mit konkurrierenden Produkten. Wer aber andersherum ein unternehmensinternes Videokonferenznetzwerk etablieren und auf einfache Weise Missbrauch eindämmen will, für den kann sich die fehlende Kompatibilität zu den verbreiteten Systemen unter Umständen als Vorteil entpuppen.




CUseeMe 5.0

Das Shareware-Programm CUseeMe ist mit einem vorbildlichen Installationsguide versehen. Die Kamera wird automatisch erkannt, ebenso Audio-Geräte. Nach vollendeter Installation ist CUseeMe einsatzbereit. Eine Verbindung wird erstellt, indem die Schaltfläche Manual Dial betätigt wird, wonach die Adresse des anderen Gesprächteilnehmers oder eines Konferenzservers eingetastet werden kann.



Wer ausser Videokonferenzen mit Bekannten auch in Videochatrooms teilnehmen will, kann sich bei CUseeMeWorld.com anmelden. Die Registrierung ist gratis, und erforderlich sind nur Angabe von Name und E-Mail-Adresse. CUseeMe Networks verkauft aber auch Serversoftware, so dass Organisationen und Unternehmen ihren eigenen Konferenzserver betreiben können.




Ausserdem unterstützt CUseeMe auch MSN Messenger. Wer also Microsofts Messenger-Software benutzt, kann mit CUseeMe nun auch Kamerabilder an MSN-Buddies senden.



CUseeMe ist recht intuitiv aufgebaut. Links befinden sich Schaltflächen für die verschiedenen Modi des Programms. Unter Home befinden sich Links zur Bedienungsanleitung, dem Support sowie zur Registrierung bzw. zum Kauf des Programms. Unter Channels werden die Chatkanale angezeigt, die unter CUseeMeWorld.com errichtet sind. Wer sich bei dieser Community angemeldet hat, kann in diesen Foren teilnehmen oder selber Konferenzräume errichten. Allerdings ist die Übersicht dieser Foren fehlerhaft respektive schlecht aufdatiert. So ist beispielsweise auf die Anzeige der Anzahl Teilnehmer kein Verlass.



Im Contacts-Modus werden die Kontakte des MSN Messengers integriert, falls dieser auf dem System installiert ist. Und unter Favorites kann man selbst Lesezeichen zu seinen Gesprächspartnern und oft frequentierten Konferenzräumen anlegen.



Alle Einstellungen, die man während der Installation definiert hat, können natürlich später angepasst werden. Dabei erweist sich CUseeMe in vieler Hinsicht als flexibel und einfach zu bedienen. Besonders erwähnenswert ist die Konfiguration des Programms zur Zusammenarbeit mit einer Firewall. Mit Hilfe eines Online-Tests wird die Firewall untersucht, wobei das Resultat weitere Tipps zur Einstellung von CUseeMe enthält.




Microsoft NetMeeting 3.01

NetMeeting ist ein echter Dauerbrenner und wohl das populärste Videokonferenz-Programm. Das lässt sich einerseits auf das Bundling mit Windows 2000 respektive dem Internet Explorer zurückführen, andererseits ist NetMeeting auch sehr einfach zu handhaben und funktioniert meist einwandfrei.



Die Installation bietet keinen Anlass zu Problemen, aber eine kleine Einführung für Neueinsteiger wäre trotz der generell einfachen Bedienung nicht zu verachten. NetMeeting erinnert von der Gestaltung her an einen Instant Messenger. Im oberen Teil der Applikation befindet sich der Videoschirm, der nach Wunsch das eigene Bild in einer Ecke einblenden kann. Im unteren Teil befinden sich eine Liste der Gesprächsteilnehmer und vier Schaltflächen für Funktionen wie Chat, Dateitransfer und Whiteboard.




Die früher offenen Internet Locator Services (ILS) von Microsoft wurden nun durch das MSN-Verzeichnis ersetzt, so dass man also auch bei NetMeeting aufgefordert wird, MSN Instant Messenger herunterzuladen. ILS-Server von Drittanbietern können aber immer noch als Verzeichnis benutzt werden, indem der Drop-Down-Wähler im Verzeichnisfenster einfach überschrieben wird. Diese Option ist allerdings nicht unbedingt ersichtlich, wenn man dies nicht weiss.



Eine Verbindung wird eröffnet, indem aus einem der öffentlichen oder dem eigenen Adressenverzeichnis ein Teilnehmer gewählt wird. Falls die Adresse des Teilnehmers bekannt ist, kann die Adresse auch direkt in das entsprechende Eingabefeld eingetastet werden.



Neben gewöhnlichen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen bietet NetMeeting die Möglichkeit, private Konferenzen zu führen. Einer der Teilnehmer eröffnet die Konferenz, für die bei Bedarf ein Password gesetzt werden kann. Ausserdem kann man den anderen Teilnehmern auch verschiedene Rechte einräumen. Sobald die Konferenz eingerichtet ist, können die anderen Teilnehmer den Konferenzleiter anrufen und treten auf diese Weise bei.



Neben der Möglichkeit, Dateien zu übertragen, lässt NetMeeting auch die Freigabe von Applikationen und sogar des Desktops zu. Die anderen Konferenzteilnehmer haben damit die Gelegenheit, die Bildschirmanzeige eines Teilnehmers zu betrachten oder - mit entsprechenden Rechten - den fremden PC sogar fernzusteuern.




iSpQ Video Chat 5.0.2

iSpQ Video Chat (lies: "eye speak") basiert auf einem proprietären System und kann somit nicht mit NetMeeting- oder CUseeMe-Clients kommunizieren. Der Client ist grundsätzlich immer mit einem Konferenzserver des Herstellers verbunden. Andere öffentliche Konferenzserver haben wir keine entdeckt, aber ein Unternehmen kann natürlich einen eigenen Server kaufen und betreiben.
Der Konferenzserver von nanoCom beinhaltet eine Reihe Chaträume für verschiedene Interessen und in allerlei Hinsichten. Einer dieser Räume wird als Default für den Programmstart gewählt.
Der wesentlichste Unterschied von iSpQ im Vergleich zu anderen Video-Chat-Programmen ist die Möglichkeit, umfassende Bildprofile zu erstellen. Die Profile sind freiwillig, und der User kann das Anzeigen der Profile auch temporär unterdrücken. Betritt man einen Raum, kann man daher schnell und einfach sehen, wer sonst noch da ist. Allerdings sind es nur User mit der Version 5.x, die Profile haben können. Für die anderen Benutzer wird ähnlich wie bei ILS-Verzeichnissen nur der Kenn-Name, die Herkunft und ein Kommentar angezeigt.



Will man sich mit einem User in Verbindung setzen, kann man die entsprechende Person entweder direkt anrufen oder ihr eine Quick Message zukommen lassen. Die Quick Message kann ausser Text auch ein Kamera-Stillbild und eine Audiosequenz enthalten. Falls der Teilnehmer offline ist, bietet iSpQ ausserdem die Möglichkeit, Videomails zu versenden.




Neben der Kontaktaufnahme zu Personen in Gruppenräumen, können potentielle Gesprächsteilnehmer auch direkt durch Eingabe der IP-Nummer angerufen werden. Dies geht allerdings nicht, wenn sich die entsprechende Person hinter einer Firewall befindet.



iSpQ ist bezüglich Firewalls generell nicht sehr flexibel. Obwohl mehrere Clients durchaus im lokalen Netzwerk miteinander kommunizieren können, lassen sich Anwender über eine Firewall hinweg nur mit NAT bedienen. Inwieweit sich iSpQ damit für den gewerblichen Einsatz eignet, sei dem Leser überlassen.




FlyConference Suite 1.0

Ein recht neues Produkt ist FlyConference Suite, das trotz der tiefen Versionsnummer aber einen recht reifen Eindruck macht. Die Suite besteht aus mehreren kleinen Programmfenstern, die leider nicht zusammengedockt werden können. FlyConference Suite lässt sich im Peer-to-Peer-Modus verwenden, wo der Konferenzteilnehmer direkt mit Hilfe einer IP- oder E-Mail-Adresse angerufen wird. Die Suite unterstützt jedoch auch Konferenzserver, ist allerdings nicht ILS-kompatibel. Der öffentliche Konferenzserver des Herstellers ist abgesehen von ein paar Testkonti meist leer. Laut der spärlichen Dokumentation kann der Konferenzserver in der registrierten Version frei gewählt werden.



Nachdem eine Verbindung aufgebaut ist, können Chat- und Whiteboard-Funktionen benützt werden. Ausserdem unterstützt FlyConference Suite Dateitransfer. Files werden versandt, indem sie per Drag&Drop auf das Kamerafenster verschoben werden. Schliesslich kann man mit dem Programm auch Videosequenzen aufnehmen, und zwar sowohl im lokalen Fenster als auch im Fenster des Teilnehmers. Diese Sequenzen können wiederum als Videomail mit Hilfe eines MAPI-kompatiblen Mailprogramms verschickt werden.




Der Aufbau einer Gruppenkonferenz ist ebenso einfach wie das Anrufen eines einzelnen Teilnehmers. Alle im folgenden aufgerufenen Teilnehmer werden nämlich automatisch in die bestehende Konferenz aufgenommen. Leider ist dieses Feature auch nur als Tipp auf der Homepage des Herstellers, nicht aber in der Dokumentation zu finden.



Die spärliche Programmhilfe ist einer der gravierendsten Kritikpunkte von FlyConference Suite. Auch wenn die Suite eigentlich recht intuitiv zu bedienen ist, bedarf die eine oder andere Funktion einer Erklärung. Leider steht aber in der Dokumentation oft nur das, was man ohnehin selbst herausgefunden hat.




Fazit

Wie bereits oben angetönt wurde, ist die Konformität zu einem anerkannten Standard oft lohnenswert. Dies bedeutet nicht automatisch, dass nicht-konforme Produkte schlechter sind. Aber im Falle dieses Vergleichstests verhält es sich so, dass die beiden H.323-kompatiblen Programme nicht nur aufgrund ihrer Einhaltung eines offenen Standards marktführend sind. Sowohl bei NetMeeting als auch bei CUseeMe handelt es sich um erprobte Lösungen, die über längere Zeit gereift sind.
Falls Interoperabilität nicht ausschlaggebend ist, ist FlyConference Suite bestimmt ein Programm, dessen weitere Entwicklung es sich zu verfolgen lohnt. Noch kann sich aber der Newcomer nicht gegen die alteingesessenen Programme behaupten.



Da NetMeeting gratis und in vielen Fällen bereits vorinstalliert ist, kann man die ersten Erfahrungen mit Videokonferenzen getrost mit Hilfe von NetMeeting sammeln. Nur bei denjenigen, die zusätzliche Anforderungen an Videokonferenz-Software haben, kann sich ein späterer Umstieg auf ein anderes Programm lohnen.




Zudem in der Print-Ausgabe: Vier professionelle Videokonferenzsysteme im direkten Vergleich



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