Editorial

Die Macht des Eingebetteten


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/01

     

Von Link zu Link, von Site zu Blog – wer heute durchs Web surft, trifft immer häufiger auf Videos. Oft funktioniert dies immer noch so, dass ein Bild den Link zu einer Datei herstellt, die vor der Betrachtung heruntergeladen werden muss. Immer häufiger aber steht vor dem Video­genuss bloss noch der Klick auf «Play».
Einige solcher Videos habe ich in meinem Blog, und im Web existieren Millionen davon. Der Trick dabei: Die Videos erscheinen als integraler Bestandteil meines Blogs. Und das, obwohl sie weder auf meinem Server gehostet werden noch von mir hochgeladen wurden. Ich habe sie noch nicht mal selber gefilmt, produziert oder bearbeitet. Und sie müssen weder heruntergeladen werden noch führt die Vorschau auf eine andere Website. Alles, was man tun muss, ist auf «Play» zu klicken.




Die Technik dahinter nennt sich «Embedding» – und das ist laut Wörterbuch die Möglichkeit, etwas in etwas anderes so einzubetten, dass das erste als integraler Bestandteil des zweiten erscheint. Bei den Videos bedeutet das, dass sie zwar als Bestandteil meines Blogs erscheinen und nahtlos darin ablaufen, tatsächlich aber von komplett anderen Servern kommen. Alles, was ich dafür tun musste, ist eine Codezeile zu kopieren. Einfacher geht‘s nun wirklich kaum noch.
Was im Moment im Web abgeht (und was oft unter dem Label «Web 2.0» oder «Social Web» beschrieben wird), hat hauptsächlich zum Ziel, das volle Potential einzelner Elemente (von Webseiten über Datensätze und Features bis zu kompletten Services) auszuschöpfen, indem sie zu kohärenten Gemeinschaften zusammengefügt werden. Das Einbetten eines Elements in ein anderes ist dabei bloss einer von vielen möglichen Lösungswegen, die sogenannten Mash-ups sind ein anderer.





Nehmen wir zum Beispiel die beliebte Video-Sharing-Site YouTube, die jüngst von Google übernommen wurde. Auf YouTube lassen sich von den Anwendern generierte Videos betrachten, aber auch Filmtrailer oder mitgeschnittene TV-Sendungen. Und neben jedem einzelnen Video finden sich zwei Codefelder mit den Namen «URL» und «Embed». Über den Code im ersten Feld kann man problemlos auf die Seite verlinken, die genau dieses Video auf den YouTube-Servern hostet. Interessanter ist aber der zweite Code: Kopiert man ihn auf die eigene Site, wird das Video ebenfalls in diesem Umfeld abgespielt – als hätte man es selber aufgenommen. In Tat und Wahrheit läuft es natürlich vom YouTube-Server, behält sein Ursprungsformat und kommt auch mit dem Brand der Original-Quelle.
Ich bin absolut überzeugt, dass genau diese «Embed»-Funktion einen der Schlüsselfaktoren zum Erfolg von YouTube darstellt. Links, die auf Inhalte verweisen, sind heute relativ altmodisch, einbetten dagegen ist angesagt. Blogger, MySpace-Anwender – letztlich eigentlich jeder, der über eine Website verfügt, kann nun auf einfachste Weise Videos in seine Seiten einfügen.




Man lädt schlicht einen Clip hoch, bettet ihn in sein Blog ein, und jeder andere kann ihn in sein eigenes Blog einbetten, was natürlich die Reichweite enorm erhöht. Umgekehrt findet man ein tolles Video auf YouTube und bettet es in seine eigene Seite ein: Sobald es eingebettet ist, wird es quasi auch zu etwas eigenem – nämlich einem Teil des eigenen Blogs und damit einem Teil der eigenen Online-Persönlichkeit, auch wenn es eigentlich jemand anderem gehört – und erweitert damit die Reichweite in den eigenen Bekanntenkreis, der noch nicht einmal wissen muss, was YouTube (oder die vielen ähnlichen Sites) überhaupt ist.




Leser kommen auf Ihr Blog, weil sie entweder Sie mögen oder die Themen, über die Sie schreiben, spannend finden – und plötzlich finden sie relevante Inhalte von YouTube auf Ihrem Blog, ohne überhaupt auf die YouTube-Site surfen zu müssen... Wie immer man es dreht und wendet – «Embedding» ist so oder so extrem mächtig.
Ähnliche Stories kann man natürlich auch darüber erzählen, wie MySpace-Anwender Musik in ihre Profile einbetten: Musikdaten lassen sich hier in Online-Player integrieren, worauf sie von der persönlichen Seite aus gesendet werden – ein hervorragender Weg für unbekannte Interpreten, um ihre Musik unters Volk zu bringen. Weitere Beispiele sind etwa die Werbelinks von Google oder Ads-Click oder auch die Buchumschläge von Amazon mitsamt Link, die in zahllosen Webseiten eingebettet werden.
Das Potential des «Einbett»-Verfahrens ist praktisch unbegrenzt. Und es bringt uns die Vision zurück, die World-Wide-Web-Erfinder Tim Berners-Lee ursprünglich hatte: Alles soll mit allem verbunden sein.




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