Vor- und Nachteile des Fernstudiums

Obwohl in der Schweiz noch wenig verbreitet, bieten Fernstudien einige Annehmlichkeiten. Ein reines Fernstudium ist jedoch nicht zu empfehlen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/06

     

Lebenslanges Lernen und kontinuierliche Weiterbildung gehören heute für viele zur Realität. Ein Fernstudium kann dabei einige Annehmlichkeiten bieten: Es kann zeit- und ortsunabhängig gestaltet werden und erlaubt es, Familie, Beruf, Freizeit und Weiterbildung unter einen Hut zu bringen. Fernstudiengänge bieten auch andere Vorteile. So stehen dem Studierenden beispielsweise die Lehrmittel uneingeschränkt zur Verfügung, und die Realisierung ist nicht von einer einzelnen Lehrperson abhängig. Ausserdem lässt ein Fernstudium dem Studierenden die Zeit, die er dafür braucht. Er kann sein Lerntempo selbst bestimmen und somit flexibler planen. Und das Problem des Numerus Clausus an Universitäten, also von beschränkten Studienplätzen infolge Überbuchung, entfällt bei einem Fernstudium gänzlich.




Doch Fernstudien sind auch mit einigen Nachteilen gegenüber herkömmlicher Aus- und Weiterbildung verbunden. Dazu zählen etwa das Fehlen von direkten Ansprechpersonen und beschränkte Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten, was wiederum dazu führt, dass nur ein beschränktes Beziehungsnetz zu Mitstudierenden aufgebaut werden kann. Und schliesslich dauert der Fernunterricht in den meisten Fällen länger als ein Vollzeitstudium.


Fernstudium ja - aber nicht für alles

Welche Vorteile das Lernen aus der Ferne auch immer bietet, von einem reinen Fernstudium rät Peter Petrin, Geschäftsführer und Rektor der Bildungsinstitution Akad, deshalb ab: "Ideal ist eine Kombination von Fernstudium und Präsenzunterricht." Petrin gesteht ein, dass die Individualisierung wohl sehr hoch ist, dass aber nicht alles im Fernstudium lernbar ist. "Je höher man sich taxonomisch bewegt, umso wichtiger wird auch die Präsenzkomponente", so der Spezialist, der unter Taxonomie eine Klassifizierung von Wissen versteht. Gemeint ist damit, dass man in den meisten Fällen problemlos eine Textverarbeitung wie Word im Fernunterricht lernen kann, aber bei höheren Fertigkeiten, wo es beispielsweise um Analysen geht, kommt man nicht um den Präsenzunterricht herum.
Für das Erarbeiten von Grundlagenwissen eignet sich der Fernunterricht also hervorragend. Als Beispiel zieht Petrin das Erlernen einer Sprache bei: "Ein Vokabular lässt sich sicher im Fernunterricht erlernen, will man jedoch ganze Sätze bilden, macht es Sinn, dies im Präsenzunterricht zu tun." Es kommt also weniger auf das Fach an, das man lernen will, sondern vielmehr, was und wie viel man lernen will. Dabei unterscheidet der Fachmann zwischen drei Arten von Wissen: Wissen, Verstehen und Anwenden. Wissen ist im Fernunterricht einfach zu vermitteln, für das Verstehen und Anwenden hingegen bedarf es der Präsenz. "Projektmanagement kann nicht im reinen Fernunterricht gelehrt werden - die Methoden schon, aber der Praxisteil nicht", so Petrin.


Fehlende Sozialkomponente

Im klassischen Präsenzunterricht können überdies auch soziale Formen des Lernens angewendet werden und man hat ein unmittelbares Feedback zu einer Lernleistung. "Als Lehrer hat man beim Fernstudium mit einer extremen Heterogenität zu tun", erklärt Petrin die Probleme, die sich beim Fernstudium aus Dozentensicht ergeben können. Im Präsenzstudium sei der Wissenstand hingegen weitgehend der gleiche.
Die Unterschiede, die sich in qualitativer Hinsicht ergeben, basieren darauf, dass der Fernunterricht auf Print- oder Webmaterial basiert. Dies mache es viel objektiver und transparenter, aber auch heikler, sagt Petrin. Klar könne bei der Abgabe eines Lehrmittels schwarz auf weiss vorgeschrieben werden, was effektiv damit zu tun ist. Der Dozent habe jedoch beim Präsenzunterricht den Vorteil, sofort eingreifen und auch die nonverbalen Elemente berücksichtigen zu können. Nachteilig wirkt sich hingegen aus, dass der Lehrer dabei nie auf das einzelne Individuum eingehen kann. Beim Fernunterricht ist das anders. "Man hat eine flexible One-to-One-Learning-Situation. Das Präsenzstudium ist dagegen viel starrer. Man muss sich an einen Stundenplan halten, und je nachdem, wo ein Student wohnt, muss er viele Leerzeiten überbrücken", so Petrin.


In der Schweiz noch wenig bekannt

Wer im Fernstudium lernt, ist - dem Internet sei dank - längst nicht mehr auf sich alleine gestellt. Mittlerweile gibt es verschiedene Arten der Betreuung, die das Fernstudium wesentlich von autodidaktischem Lernen unterscheiden: Moderierte Newsgroups oder Chats sind die häufigsten. Auch die Lehrmittel unterscheiden sich von herkömmlichen Schulbüchern. Bei der Akad werden zum Beispiel Verbundmethoden angeboten, die bewusst auf Redundanzen eingehen. Die nach Ansicht Petrins lernpsychologisch optimal aufbereitete Infrastruktur sei logistisch und didaktisch anspruchsvoll und in der Schweiz noch nicht so verbreitet. Überhaupt scheint die Verbreitung des Fernstudiums bei uns noch nicht sehr fortgeschritten zu sein. So rechnet beispielsweise Christina Merschnigg von der IT-Personalberatung IT-Resource vor: "Von den rund fünftausend Kandidaten, die in unserer Datenbank eingeschrieben sind, haben nur gerade vierzig ein Fernstudium absolviert, und davon kommen die meisten aus Deutschland." Merschnigg führt die grössere Verbreitung in unserem Nachbarland auf die weiteren Distanzen zurück, die Lernwillige zurücklegen müssen.


Komplexer als man denkt

Vielfach herrscht die Meinung vor, dass ein Fernstudium kostengünstiger sei als herkömmliche Studiengänge. Dem ist nicht zwingend so: "Dadurch, dass eine andere Logistik gebraucht und zum Teil andere Lehrmittel verwendet werden, kann ein Fernstudium sogar teurer werden", sagt der Akad-Geschäftsführer. Kostenintensiv werden Fernstudien dadurch, dass viele Elemente zusammenspielen müssen. "Fernunterricht heisst nicht, einfach ein Buch abzugeben, das auch im Präsenzunterricht behandelt wird. Es braucht eine ganz andere Lernmethode und eine viel exaktere Logistik", erklärt Petrin.



Eine wichtige Frage, die sich schliesslich stellt, ist die, ob sich die Erfolgsquote eines Fernstudienlehrgangs von einem Studium an einer Präsenzuniversität unterscheidet. "Es gibt keine Korrelation zwischen dem Anteil Präsenzunterricht und der Erfolgsquote an Prüfungen", erklärt Petrin. Ausserdem sei der Massstab sehr objektiv, da alle Absolventen an eine eidgenössische Prüfung gehen. "Letzlich erhalten alle dieselben Diplome, aus denen nicht ersichtlich ist, wie dafür gelernt wurde", so der Akad-Mann.




Merschnigg weiss aus Erfahrung, dass es wichtig ist, wo der Fernstudiengang gemacht wurde. Arbeitgeber unterscheiden zwischen einem akkreditierten Lehrinstitut in der Schweiz oder einer Universität im Ausland. "Vor allem ist es wichtig, dass man nicht nur einen organisationsinternen Abschluss macht, sondern einen eidgenössisch anerkannten", bringt es die Personalfachfrau auf den Punkt.


Probelektion verlangen

Da man nicht alle Lernziele erreichen kann und ein Fernstudium ein enormes Mass an Selbstdisziplin erfordert, gilt es einige Punkte zu beachten. Petrin rät davon ab, ein reines Fernstudium zu machen. Vielmehr sei dieses als Methodenkomponente sinnvoll. "Der Student sollte das Lernen wie ein Projekt anschauen. Er sollte sich Arbeitsmappen, Meilensteine und Stundenplan definieren", empfiehlt der Fachmann, der von einer Schule, die Fernunterricht anbietet, auch erwartet, dass diese spezielle Lernmethodik-Seminare offeriert. Christina Merschnigg rät den Interessierten, dass sie sich von Bekannten Erfahrungswerte geben lassen sollen. Ausserdem empfiehlt sie, zur Auswahl eines Instituts eine Probelektion anzufordern und anschliessend eine Analyse durchzuführen.




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