Pinguin-Kolonie unter einem Dach
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/04
In grösseren Unternehmen umfasst die Informatik-Infrastruktur meist auch eine entsprechende Anzahl Server. Die Betreuung der vielen Einzelrechner ist mit Aufwand verbunden, und die verfügbare Rechenleistung wird oft nicht optimal genutzt: Während beispielsweise der DNS-Server Warteschlaufen dreht, leidet die Leistung des Dateiservers unter der hohen Zahl an Zugriffen. Um die Dateiablage aber auf mehrere Rechner zu verteilen, müssen diese beschafft, installiert, ans Netzwerk angeschlossen und konfiguriert werden - ein Prozess, der sich über mehrere Tage erstrecken kann. Und als besonders flexibel zeichnet sich eine solche Infrastruktur auch nicht aus.
Diese Faktoren sind ein Grund, weshalb die Konsolidierung mehrerer Server auf einem einzigen Grossrechner auf steigenden Anklang stösst. Der andere liegt im freien Betriebssystem Linux. Da sich dieses auf der unterschiedlichsten Hardware heimisch fühlt, lässt es sich sozusagen Plattform-unabhängig einsetzen. So kann beispielsweise ein Java-Applikationsserver unter Linux nicht nur auf einem Intel-Server betrieben werden, sondern auch auf leistungsfähigerer Hardware mit Hilfe eines virtuellen Servers.
Bei der Server-Virtualisierung teilen sich die virtuellen Rechner die Ressourcen eines einzigen Grossrechners. Mittels dynamischer Zuteilung können die Ressourcen dann nach Bedarf verteilt und somit besser genutzt werden. Die bessere Auslastung und ein allenfalls geringerer Betreuungsaufwand senken die Betriebskosten.
IBM-Hosts steigt der zSeries sind darauf ausgelegt, nebst eigentlichen Host-Anwendungen zusätzlich virtuelle Linux-Server zu beherbergen. Der übliche Weg besteht darin, die einzelnen Linux-Server nicht direkt auf der Host-Hardware zu betreiben, sondern über eine sogenannte "Virtual Machine" namens z/VM. Dabei handelt es sich um Systemsoftware, welche dem Linux-Betriebssystem das Vorhandensein von eigener Hardware vorspielt. So können auf einem Host mehrere virtuelle Linux-Server betrieben werden, parallel zu vorhandenen Host-Anwendungen. Zudem lassen sich auch virtuelle Netze aufbauen, die vom schnelleren Datenaustausch innerhalb der Host-Umgebung profitieren.
Anwendungen, welche intensiven Gebrauch von Speicher und Netzwerk machen, also mit hohem Input und Output aufwarten, eignen am besten für den Betrieb auf virtuellen Servern. "Die zSeries sind auf I/O-intensive Anwendungen ausgelegt", erklärt Peter Mühlemann, Spezialist für Linux und zSeries bei IBM Schweiz. "Für Prozessor-lastige Applikationen ist die Virtualisierung dagegen weniger geeignet." So stösst das freie Betriebssystem im Zusammenhang mit der Konsolidierung von Server-Hardware bei Host-Benutzern in jüngster Zeit auf vermehrtes Interesse: "Rund 20 Prozent der Betriebslast", schätzt Mühlemann, "sind heute bei neu verkauften Hosts auf virtuelle Linux-Server zurückzuführen." Zwar dominieren immer noch die klassischen Host-Anwendungen, doch Mühlemann beobachtet: "Heute ist Linux bei jedem Host-Kunden ein Thema, und sei es auch erst für ein Pilotprojekt."
Zu den Unternehmen, die virtuelle Linux-Server bereits produktiv einsetzen, gehört Swisscom IT Services. Sie betreibt heute mit Suse Linux Enterprise Server insgesamt 79 solcher Rechner auf einem Host, davon 53 im produktiven Einsatz. Zum einen nutzt Swisscom IT Services diese Infrastruktur für klassische Einsatzgebiete wie Fileserver und DNS-Dienste. Zum anderen betreibt sie die Applikationsserver für das gesamte Bestellwesen der Swisscom und für das Online-Billingsystem von Swisscom Fixnet sowie für Kundenanwendungen. Auf die Frage nach den Vorteilen muss Bertrand Dafflon, Leiter Linux Engineering und Middleware Services bei Swisscom IT Services, nicht lange nachdenken: "Virtuelle Linux-Server erlauben es uns, die Ressourcen nach Bedarf zu verteilen und gleichzeitig die Unterhaltskosten zu senken." Nach eigenen Angaben konnte die Telco die Kosten für das Billingsystem von Swisscom Fixnet innert 12 Monaten um 11 Prozent senken, während die Betriebskosten für die Applikationsserver sogar halbiert wurden.
Bertrand Dafflon ortet heute keine technischen Probleme mehr mit virtuellen Linux-Servern, doch "an der Akzeptanz solcher Lösungen müssen wir noch arbeiten." Und da virtuell auch bedeutet, Ressourcen zu teilen, sei es wichtig, im Betrieb allfällige Leistungsengpässe frühzeitig zu orten, um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten.
Derzeit arbeitet Swisscom IT Services daran, weitere Anwendungen auf virtuelle Linux-Server zu migrieren. Dazu zählt unter anderem die elektronische Rechnungsstellung, das sogenannte Electronic Bill Presentment. Geplant ist zudem, die Applikations-Server für die Kunden-Datenbank zu migrieren. Doch der erwarteten Kostenersparnis stehen hohe Umsetzungskosten gegenüber. Denn während sich Java-basierte Anwendungen relativ einfach auf eine andere Hardware-Plattform übertragen lassen, bauen die Applikations-Server für die Kundendaten auf maschinennahem C/C++-Code auf. Das zeigt, dass sich virtuelle Linux-Server vor allem für Anwendungen lohnen, die sich ohne grossen Programmieraufwand auf eine andere Plattform migrieren lassen. Für Betriebssystem-spezifische Applikationen, die in Hardware-nahen Programmiersprachen entwickelt wurden, übersteigt unter Umständen der Aufwand den Nutzen. Das ändert jedoch nichts daran, dass Linux der langlebigen Host-Welt eine weitere Zukunftsperspektive verspricht.