Editorial

Feilschen um den Werkvertrag

Ob ein Vertrag dem Werkvertrags- oder Auftragsrecht untersteht, hängt nicht davon ab, ob er als Werkvertrag oder Auftrag betitelt wurde.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/22

     

Dass Anbieter und Kunden in Vertragsverhandlungen nicht dieselben Interessen haben, ist normal. Der Anbieter will für seine Aufwendungen und seine Haftung umfassend bezahlt werden, während der Kunde wissen will, was ihn das Projekt an Zeit und Geld kostet. In den Vertragsverhandlungen schlägt sich dies typischerweise so nieder: Die Auftraggeberseite will den Vertrag unter allen Umständen dem "Werkvertragsrecht" unterstellen, einem im Obligationenrecht (OR) definierten Vertragstyp. Der Grund: Bei dieser Art von Verträgen muss der Anbieter nicht nur tätig werden, sondern ist verantwortlich, dass seine Arbeit auch Erfolg hat, sprich, dass er das vereinbarte "Werk" - z.B. eine Software - vertragsgemäss abliefert.



IT-Beratungs- und Softwarehäuser versuchen den Werkvertrag in den Vertragsverhandlungen ihrerseits zu vermeiden. Sie wollen ihre Arbeit leisten und dafür bezahlt werden, für das Ergebnis aber nicht verantwortlich sein. Das erhoffen sie sich vom "Auftrag", dem im OR ebenfalls definierten Gegenstück zum Werkvertrag. Gilt ein Vertrag als Auftrag, kann er ungeachtet anderer Abrede jederzeit gekündigt werden. Ein Erfolg des Wirkens des Auftragnehmers ist nicht geschuldet - auch keine Garantiefrist für Mängel.




Die Realität ist freilich etwas komplizierter. Ob ein Vertrag dem Werkvertrags- oder Auftragsrecht untersteht, hängt zunächst nicht davon ab, ob er als Werkvertrag oder Auftrag betitelt wurde. Ist ein Vertrag seinem Charakter nach ein Werkvertrag, ändert daran auch der falsche Titel "Auftrag" nichts. Oft ist die klare Einordnung eines Vertrags ohnehin nicht möglich: Hilft ein Berater einem Unternehmen zum Beispiel bei der Implementation einer ERP-Lösung, sind meist sowohl Auftrags- als auch werkvertragliche Leistungen vereinbart. In solchen Situationen ist es meist verlorene Zeit, Diskussionen über die auf solche gemischten Verträge allenfalls anwendbaren Gesetzesnormen des Werkvertrags- oder Auftragsrechts zu führen. Ein klares Ergebnis wird es erfahrungsgemäss ohnehin nicht geben.



Das Problem muss anders angepackt werden. Am wichtigsten ist die genaue Umschreibung der Leistungen. Aus ihr ergibt sich vieles von selbst. Doch auch wenn eine klar werkvertragliche Leistung vorliegt, ist der Kunde nicht unbedingt sicher. Was etwa nutzt bei einer ERP-Implementation ein Werkvertrag, wenn es sich bei den abzuliefernden Werken nur um Einzelteile handelt, der Berater aber nicht für deren Zusammenwirken und die Endlösung einstehen muss? Und was nutzt eine Garantiefrist, wenn diese abgelaufen ist, bevor die Leistung im praktischen Einsatz ist? Manchmal ist das Auftragsrecht sogar die für den Kunden bessere Lösung. Es kennt zum Beispiel keine Garantiefrist: Hat ein Auftragnehmer unsorgfältig gearbeitet, kann er dafür unter Umständen noch nach Jahren zur Verantwortung gezogen werden.



Ein kritischer Punkt sind zudem die Mitwirkungspflichten des Kunden. Gerade in ERP-Projekten sind sie oft so umfassend definiert, dass der Kunde sie in der Praxis nicht vollumfänglich einhaltet und so dem Lieferanten genügend Gründe gibt, eigene Leistungen nicht richtig zu erbringen oder höhere Kosten zu verursachen. Es ist ohnehin ein weiterer Irrglaube, dass das Werkvertragsrecht vor zu hohen Kosten schützt. Auch werkvertragliche Leistungen können nach Aufwand abgerechnet werden - z.B. wenn Kunden nachträgliche Änderungen an vereinbarten Spezifikationen vornehmen und Mehraufwendungen verursachen. Um spätere Überraschungen zu vermeiden, sollten daher solche heiklen Punkte in den Verhandlungen von Anfang an offen ausgesprochen und geregelt werden.




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