Fachhochschulen rüsten für Europa

Das revidierte Fachhochschulgesetz verlangt ein zweistufiges Modell. Wir zeigen, wie die Hochschule Winterthur die Einführung plant.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/20

     

Die Fachhochschulen befinden sich in einer Restrukturierungsphase. Die Umsetzung des Bundesbeschlusses zur Teilrevision des Fachhochschulgesetzes (FHSG) stellt eine grosse Herausforderung dar und verändert die Studienlandschaft nachhaltig. "Die Schweiz ist zur Umsetzung der Bologna-Deklaration zwar völkerrechtlich nicht gebunden, trotzdem hat sie sich bereit erklärt, das zweistufige Ausbildungssystem auf Hochschulstufe einzuführen. Dementsprechend wird auch das Fachhochschulgesetz revidiert", sagt Beat Weber, Verantwortlicher für die Revision des FHSG beim Leistungsbereich Fachhochschulen BBT (Bundesamt für Berufsbildung und Technologie). Die Revisionsarbeiten sollen bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein und das Gesetz per 1. Januar 2005 in Kraft treten können.




Kernpunkte der Revision sind die Erweiterung des Geltungsbereichs des Gesetzes um die Fachbereiche Soziales, Gesundheit und Kunst (GSK), die Grundlagenschaffung für ein Akkreditierungs- und Qualitätssicherungssystem und als besondere Herausforderung die Umsetzung der europäischen Studienreform nach dem sogenannten Bologna-Modell. Diese sieht als grösste Änderung die Unterteilung der Ausbildung in zwei Stufen vor. Nach drei Jahren erhalten Studierende den Bachelor. Nach weiteren eineinhalb bis zwei Jahren schliessen sie das Master ab. Das Modell soll die Mobilität fördern und den Abgängern in ganz Europa gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt garantieren.


Strukturbereinigungen sind in vollem Gang

Was die Einführung des Zweistufen-Modells für die einzelnen Teilschulen bedeutet, erklären wir am Beispiel der Zürcher Hochschule Winterthur. "Die gesamte Ausbildung im technischen Bereich muss während den nächsten ein bis zwei Jahren neu organisiert werden", erklärt Martin Künzli, Leiter des Departements Technik, Informatik und Naturwissenschaften. An den eigentlichen (soeben umgebauten) Strukturen werde sich dabei in den einzelnen Departementen nicht viel ändern.



Einerseits wird man die Zahl der Studiengänge von heute neun auf fünf reduzieren. Das hat damit zu tun, dass Bachelor eher generalistischer ausgelegt werden wird. Das heisst, dass gewisse Unterteilungen (z.B. Elektrotechniker/Mechatroniker) sich kaum mehr unterscheiden. Die Spezialisierung auf ein Fachgebiet wird mit dem Masterstudium geschehen. Künzli rechnet damit, dass es in der ganzen Schweiz acht oder neun Masterstudiengänge für Informatiker geben wird. Diese sollen ab zirka 2008 eingeführt werden.





ECTS als Massstab

Die technischen Aspekte wurden bereits mit der Modularisierung der Studiengänge abgedeckt. Diese basiert auf der Einführung des ECT-Systems (European Credit Transfer System). Dabei handelt es sich um ein Punkte-informationssystem, das die Anerkennung der Studienleistung für Austauschstudierende erleichtern soll. Ein volles akademisches Jahr entspricht 60 ECTS-Punkten, ein Credit entspricht etwa 25 bis 30 Arbeitsstunden. "Für die Studierenden ändert sich nicht viel, ausser dass sich die Ausbildung eher etwas verkürzt", sagt Künzli. Und ein Unternehmen, das einen Bachelor-Abgänger einstellt, werde auch keinen grossen Unterschied zum heutigen Dipl. Ing. FH merken, ausser, dass sich die Einarbeitungszeit unter Umständen etwas verlängern könnte, da die eigentliche Spezialisierung auf ein Fachgebiet fehle.



Der Bachelor-Studiengang benötigt insgesamt 180 Credits im ECTS-System. Darin eingeschlossen ist eine grössere Abschlussarbeit. Basierend auf internationalen Vergleichen geht man davon aus, dass 30 bis 40 Prozent der Bachelor-Abgänger ein Master-Studium machen werden.




Das Master-Studium wird an der Zürcher Hochschule Winterthur zwei Semester und eine Diplomarbeit umfassen, wobei es sich um eine grössere Forschungsarbeit handelt, die ungefähr ein halbes Jahr beanspruchen wird.




Zweiklassen-Ausbildung?

Mit der Ankündigung, ein zweistufiges Ausbildungskonzept anzubieten, kamen mitunter Bedenken auf, dass das Master-Studium den Reichen vorbehalten sein könnte, weil der Unterricht so dicht gedrängt ist, dass kaum Zeit bleibe, um nebenbei noch zu arbeiten. Beat Weber misst diesen Bedenken einen gewissen Wahrheitskern bei: "Im Master-Studiengang wird an den Universitäten vermehrt in Blockkursen gearbeitet. Dies ermöglicht einem Berufstätigen weniger, nebenbei zu arbeiten, da zum Beispiel drei Wochen in Folge durch Module besetz sein können." Man müsse hier aber zwischen Unis und Fachhochschulen unterscheiden. So hätten etwa die Fachhochschulen ein viel gedrängteres Programm.



Die Zürcher Hochschule Winterthur beugt dieser Problematik vor, indem für den Master-Abschluss keine zeitlichen Vorgaben gemacht werden. Vorgeschrieben werden die 60 Credits, die in einem Studienjahr verdient werden müssen. Ausserdem wird der Master-Studiengang weniger Unterrichtsstunden enthalten. Voraussichtlich werden diese bei ungefähr 20 Lektionen pro Woche liegen. Der Rest ist Arbeit, die die Studierenden auch zu Hause machen können. "Wir haben bereits jetzt ein VPN, über das alle auf unser Netz zugreifen können", erklärt Künzli. Erwartet wird dabei aber auch, dass die Studenten mit einem eigenen Notebook ausgerüstet sind.




Mit dem System der Zürcher Hochschule Winterthur dürfte also einer Zweiklassen-Ausbildung wenigstens teilweise vorgebeugt werden. Studenten, die nebenbei arbeiten müssen, um das Studium zu finanzieren, werden für den Master-Abschluss wohl oder übel etwas länger brauchen.



Winterthur wird mit den Bachelor-Ausbildungen voraussichtlich 2006 starten. Somit wird es frühestens 2009 die ersten Master-Lehrgänge geben. Bis dahin wird der Abschluss weiter Dipl. Ing. FH heissen, der gemäss Martin Künzli als etwas höher als der des Bachelor und etwas tiefer als der des Master eingestuft werden kann, aber in seiner Form bestehen bleibt. Das heisst, dass es keine "geschenkten" Master-Titel geben wird.



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