Vertrauen ist gut, ein Gütesiegel ist besser
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/39
Ich gebe doch denen keine persönlichen Daten oder gar meine Kreditkartennummer, weiss Gott, was die damit anstellen können! Dies ist eine der meistgenannten Ausreden für einen Nichtkauf via Internet.
Die Entscheidung für einen Kauf im Web hängt also in erster Linie damit zusammen, wie viel Vertrauen ein Kunde in die vor ihm liegende Site oder besser in deren Anbieter aufbringt. Kennt er dessen Namen gut - sei dies aus eigenen Erfahrungen oder aus der Werbung -, ist die Hemmschwelle für eine elektronische Bestellung schon um ein Vielfaches gesunken. "Die kenne ich, die werden mich ja wohl nicht hintergehen." Diese Aussage unterstreicht auch die stark zunehmende Online-Kundschaft von Banken oder der Post, die ihre Finanzgeschäfte bereits mehrheitlich via Internet ausführen. Auch E-Shopping-Angebote von Grossisten wie beispielsweise der Migros oder Coop laufen durchaus gut an, bringen zwar noch in keiner Weise den gewünschten Deckungsbeitrag, aber ein steigendes Interesse der Konsumenten ist ersichtlich.
Was aber nimmt das Hemmnis, Produkte oder Dienstleistungen via Web von kleinen Unbekannten, sogenannten "Nameless"-Anbietern einzukaufen? Gütesiegel sollen hier für das nötige Vertrauen sorgen.
Ein Gütesiegel soll in erster Linie Auskunft darüber geben, ob ein Anbieter nach bestimmten Kriterien von einer neutralen Stelle geprüft wurde, beispielsweise auf rechtliche Gegebenheiten, Sicherheitsaspekte oder Bonität. Wird dieser Test als erfüllt befunden, erhält der Anbieter als Lohn das Gütesiegel und die Berechtigung, dieses auf seiner Site gegen Gebühr und zeitlich limitiert zu publizieren.
So soll dem Kunden also das Vertrauen in die Online-Anbieter übermittelt werden. Doch der Erfolg lässt auf sich warten. Zu oft sind diese Siegel unbekannt, und es ist schwer nachvollziehbar, nach welchen Prüfkriterien ein Unternehmen getestet wurde. Vielen Siegelanbietern genügt es schon, wenn ein E-Shop-Betreiber unterschreibt, vorgegebene Richtlinien einzuhalten. Die wenigen Siegel, die bis 100 Mannstunden in einen Check investieren, sind dafür kaum mehr zahlbar und nur grosse Unternehmen oder E-Shop-Anbieter können sie sich leisten. Dieser Missstand ist wohl auch die Ursache für den dürftigen Erfolg von Gütesiegeln. In Deutschland beispielsweise gibt es Siegelanbieter zuhauf, die aber meist nur mal gerade einen oder zwei Referenzkunden aufweisen können. Eine Ausnahme nebst anderen bildet hier das Siegel von s@fer-shopping, angeboten vom TÜV und der DBV Winterthur, das sich auf das Gebiet der Online-Reiseanbieter spezialisiert hat. Eine Besonderheit dieses Gütesiegels ist es, dass eine Geld-zurück-Garantie gewährt wird bei unsachgemässen oder ungesetzlichen Handlungen des Online-Anbieters gegenüber dem Kunden. Geld-zurück-Garantie - das schafft doch Vertrauen...
In der Schweiz gab es bis anhin eigentlich nur ein Gütesiegel, das man auf wenigen E-Shop-Sites erblicken konnte. Konkret handelt es sich hierbei um das Siegel "JurisNET" vom gleichnamigen Herausgeber. Das Siegel gibt Auskunft darüber, ob ein Unternehmen diverse rechtliche Prüfverfahren bestanden hat und somit die Ansprüche, die an einen Online-Anbieter gestellt werden, gemäss gültigem Recht erfüllt.
Eine schöne Monopolstellung hat man da anscheinend erlangt, und demzufolge sollte das Haus JurisNET von Anfragen betreffend des Siegels überschwemmt werden, obwohl das eigentliche Kerngeschäft von JurisNET sich nicht primär auf das Verteilen von Gütesiegeln, sondern vielmehr auf kompetente rechtliche Beratung fokussiert.
Doch weit gefehlt, die Anzahl aktiver "JurisNET"-Gütesiegelträger ist klein, sehr klein. Zwar darf man auf die bekannten Namen stolz sein, die da lauten: Logitech, ARP Datacon, Thali, Trade Up oder Klinik Pyramide am See. Jedoch sind gerade diese Firmen eigentlich jene, die rein vom guten Namen her auch auf ein Siegel verzichten könnten. Der Grund dafür, dass viele Firmen sich nicht um den Erhalt eines solchen Gütesiegels reissen, liegt wohl kaum an der Jahresgebühr von 500 Franken, sondern viel eher an den Kosten, die anfallen, um das Siegel zu erhalten. Es reicht in den meisten Fällen nicht aus, bloss gewisse Einstellungen auf der Shop-Site zu ändern. Vielmehr müssen oft interne Prozesse geändert, angepasst oder gar neu geschaffen werden.
Denn genauer unter die Lupe genommen, sind die meisten E-Shop-Anbieter nicht wirklich gesetzeskonform. Dies zwar nicht zwingend absichtlich, sondern eher aus Unwissenheit. Doch wie heisst es so schön: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
Es beginnt oft schon bei den allgemeinen Verkaufsbedingungen, die dem gültigen Recht im Netz - das es durchaus gibt - nicht standhalten. Wer sich also im Besitz eines "JurisNET"-Siegels befindet, hat zumindest mal einen Grossteil seines Geschäftes auf rechtliche Gegebenheiten geprüft und abgesichert. Dass dies nicht kostenlos geschieht, versteht sich von selbst, da ja auch ein "herkömmlicher" Anwalt sein Honorar bezieht, soll er die Geschäftsbedingungen einer Firma prüfen. Ist das Unternehmen dann auch noch international tätig, verkompliziert sich das ganze Rechtsprüfverfahren nicht nur, es bringt auch weit mehr Kosten mit sich. So kann der Erhalt eines solchen Siegels schnell mal zwischen 2500 und 25'000 Franken kosten. Ein Betrag, der wohl viele davon abhalten wird, ein solches Prüfverfahren zu beantragen.
Was aber heisst dies nun, wenn man auf der Site eines Anbieters ein "JurisNET"-Gütesiegel entdeckt? So ein Siegel sollte doch Vertrauen fördern und demzufolge Einnahmen generieren. "Ich bin noch nie auf das Siegel angesprochen worden", vermeldet Bruno Wicki, CEO von Thali. "Der Erwerb brachte uns eine benötigte Auffrischung und Anpassung unserer Geschäftsbedingungen, Abläufe wurden getestet und optimiert und an die Sicherheitsnormen des SSL angepasst, aber ersichtliches Mehrbusiness wurde durch das Aufschalten des Siegels nicht ausgelöst", fährt Wicki fort. Da Thali mitunter auch im Business-to-Business-Bereich tätig ist, erstaunt diese Aussage wenig. "Unsere Kunden setzen auf unseren Namen und auf die guten Erfahrungen, die sie mit uns machen oder früher schon gemacht haben. Dies ersehe ich als den Hauptgrund unseres E-Business-Erfolgs", schliesst Wicki ab.
Auch Martin Geiger, Leiter Marketing und Sales bei ARP Datacon, dem ersten "JurisNET"-Siegelträger in der Schweiz, stösst ins gleiche Horn: "Mit der Lancierung des neuen Vertriebskanals E-Commerce im In- und Ausland sahen wir uns gezwungen, unsere rechtlichen Grundlagen zu überarbeiten, Prozesse zu definieren und unsere AGBs anzupassen. Die Beratung von JurisNET spielte hierbei die gewichtigere Rolle als der Erhalt des Siegels. Im Vordergrund stand, dass unsere Kunden einen einwandfreien und rechtsgültigen Service geniessen können." Auf die Frage, was denn diese Prüfung gekostet hat, meinte Geiger: "Die externen Kosten beliefen sich auf zirka 11'000 Franken für die Märkte Schweiz und Österreich. Die Investition hat sich aber gelohnt, der Aufwand für die Anpassungen wäre sowieso entstanden. Das dabei erhaltene Audit ist eine schöne Zugabe. Dass sich aber durch das Siegel ein anderes Kaufverhalten bei unserer Klientel gezeigt hätte, spürten wir nicht. Die Kunden kaufen bei uns, weil ARP als guter Lieferant mit grossem Sortiment bekannt ist."
Schliesslich sieht denn auch Peter Westphale, E-Shop-Verantwortlicher bei der Migros und somit ausschliesslich im Business-to-Consumer-Bereich tätig, keinen Anlass, sich in nächster Zeit mit dem Thema Gütesiegel näher zu beschäftigen. "Wir bauen auf das Vertrauen, das wir mit unserem Namen bei den Kunden geniessen. Sollte sich zukünftig ein Gütesiegel als Standard aufdrängen, werden wir uns wieder damit auseinandersetzen."
So sei die Frage erlaubt, wer denn überhaupt ein Gütesiegel möchte. Die Anbieter jedenfalls nicht zwingend, da sie die Konsequenzen auf interne Prozessabläufe scheuen wie auch die Kosten, die diesbezüglich anfallen könnten, und solange keine Norm in Sicht ist, will man sich sowieso nicht festlegen. Kommt dazu, dass man ja nicht mal weiss, ob ein möglicher Kunde auf der Site das Siegel sieht, und wenn, ob er es überhaupt erkennt und richtig einordnet. Und wälzt der Shop-Anbieter anschliessend die hohen Kosten für den Erhalt eines solchen Siegels auf sein E-Shop-Angebot ab, verliert er an Konkurrenzfähigkeit.
Sicher, einem E-Shop mit Gütesiegel kann mehr vertraut werden als einem ohne. Hierzu meint Bernhard Stocker, Inhaber der Agentur Stockerdirect, Consulting für neue Medien und strategisches Marketing: "Das Prozedere für den Erhalt eines Gütesiegels ist oft sehr heilsam und schützt Anbieter wie auch Konsumenten vor unliebsamen Überraschungen. Denn was nützen tolle Sortimente und farbige Bilder, wenn der eigentliche Bestellprozess zu Missverständnissen und Vertrauensverlust führt?"
Doch weit mehr als ein Siegel wirken immer noch gute Erfahrungen und die Bekanntheit des Namens des jeweiligen E-Commerce-Anbieters. Und nicht zuletzt sind die Firmen, die ein Siegel beantragen, ja meist auch jene, die sowieso auf ein seriöses Geschäftsgebahren setzen.
Erst wenn die Konsumenten mehrheitlich auf Seiten mit Gütesiegeln online shoppen gehen, wird eine solch hohe Investition für E-Commerce-Unternehmen sinnvoll, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wer in Erwägung zieht, seine AGBs in nächster Zeit sowieso nach neuesten rechtlichen und webkonformen Erkenntnissen anpassen zu lassen, ist gut beraten, dies gleich mit einem (oder eben dem) Siegelanbieter zu tun, da er dann zukünftig für seine E-Commerce-Aktivitäten gleichfalls - mit Gütesiegel - abgesichert ist und es ja nicht unbedingt viel mehr kostet wie die herkömmliche Art. Firmen, welche erste Erfahrungen im Direkthandel machen, ist eine solche Auditierung ebenfalls zu empfehlen.
Punkto Vertrauensgewinnung im E-Commerce durch Gütesiegel wurden schon viele Fehler begangen. Kein Standard scheint in Sicht, und so tummeln sich im Cyberspace verschiedenste europäische Gütesiegel-Anbieter mehr schlecht als recht. Zu unterschiedlich und undurchsichtig sind die jeweiligen Prüfkriterien - da verwundert es nicht, wenn E-Shop-Anbieter wie auch die Konsumenten stark verunsichert sind.
Diese Fehler will die internationale Vertrauensinitiative E-Comtrust nicht begehen. Sie will einen neuen europäischen wie nationalen Standard setzen und alle am E-Commerce beteiligten Arbeitsgruppen in den Prozess miteinbeziehen.
In der Schweiz wurde vor gut einem Jahr die erste nationale Trägerschaft ins Leben gerufen. Diese Vorreiterrolle wurde auf Grund der in unserem Land fortgeschrittenen Entwicklung im Bereich Standardisierung und Auditierungsgrundlagen erlangt.
Bedürfnisse von Anbietern und Konsumenten sollen bei E-Comtrust gleichberechtigt aufgenommen und behandelt werden. So vielseitig präsentiert sich denn auch die Trägerschaft der Initiative:
Das Konsumentenforum kf soll das Vertrauen der Konsumenten fördern, ihre Interessen wahren und auch für eine rasche Verbreitung des Labels sorgen. Daneben will das Konsumentenforum Ombudsstellen schaffen, die als zentrale Anlaufstellen für Konsumenten dienen, die mit dem Verhalten zertifizierter Online-Shops nicht zufrieden sind.
Economiesuisse vertritt die Anliegen der Schweizer Wirtschaft, insbesondere der E-Commerce-Anbieter.
Die Schweizerische Normenvereinigung SNV soll für einheitliche Normen und Ablaufprozesse sorgen, in engster Zusammenarbeit mit internationalen Standardisierungsorganisationen wie DIN oder CEN.
Last but not least zeichnet SwissITC dafür verantwortlich, dass die Lösungen den Anforderungen der noch immer neuen Plattform E-Commerce gerecht werden.
"Eine möglichst breite Abstützung ist ausschlaggebend für die Akzeptanz im Markt", meint Lukas Fässler, Rechtsanwalt und Informatikexperte wie auch Initiant von
E-Comtrust.
Die Initiative wird zwar von staatlicher Seite begrüsst, aber so richtig mittun will oder kann man nicht. Zwar half der eidgenössische Datenschutzbeauftragte mit, diverse Prüffelder zu definieren, aber ansonsten verlässt man sich auf staatlicher Seite mehr auf die Selbstregulierung des Marktes.
Vielleicht ist das auch gut so, denn in Anbetracht der grossen Trägheit unserer Behörden ist das Medium Internet wohl doch ein wenig zu schnell. Und so bleibt zu hoffen, dass im Lande der Vernehmlassungen das neue Siegel nicht auf der Strecke bleibt.
E-Comtrust geht seinen Weg, den wohl einzig richtigen Weg einer internationalen Standardisierung, und es wäre wünschenswert, wenn sich bald ein solcher Standard herauskristallisiert. Ob dies dann auch einen neuen E-Commerce-Boom in der Schweiz oder gar in Europa auslöst, bleibe dahingestellt. Denn noch ist mangels Erfahrung nur annähernd definierbar, wieviel denn eine Auditierung den E-Shop-Betreiber ungefähr kostet.
Ausserdem bleibt an dieser Stelle zu erwähnen, dass E-Comtrust zwar das "JurisNET"-Siegel per sofort ablösen soll, zur Zeit aber noch keinen einzigen Kunden als Referenz aufweisen kann, und die Kunden mit "JurisNET"-Siegel können wohl kaum so einfach übernommen werden, besonders dann nicht, wenn man sie noch nicht einmal über den Wechsel informiert hat.
So kann denn auch Hans-Peter Homberger, Gechäftsführer E-Comtrust Schweiz, keine detaillierten Auskünfte über die Preise geben: "Die Kosten für eine Auditierung hängen zum einen stark von der Grösse eines Unternehmens und dessen Jahresumsatz ab, zum anderen wie es sich zertifizieren lassen möchte." E-Comtrust arbeitet nach dem sogenannten Triple-Trust -Konzept, das mit Gold-, Silber- oder Bronzesiegel honoriert wird, je nachdem, welche Kriterien ein Shop-Anbieter geprüft haben will.
"Eine Auditierung bei E-Comtrust kann in 3 Stufen vorgenommen werden", führt Homberger aus, "Stufe eins ist ein Vorgespräch, das wir den Interessenten kostenlos anbieten und das etwa 2 Stunden in Anspruch nimmt. In Stufe zwei wird ein Voraudit erstellt, mit dem wir abklären, welche Massnahmen zu einer späteren Auditierung ergriffen werden müssen. Dies kann je nach Grösse eines Unternehmens zwischen einem halben und bis zu drei oder mehr Tagen dauern. Die Kosten hierfür werden nach normalen Ansätzen verrechnet. Den Schluss bildet die eigentliche Auditierung, die zur Verleihung des Gütesiegels nötig ist."
Kurz nachgerechnet ergibt das also für einen kleineren Online-Shop mit Bronze-Siegel einen Mindestkostenaufwand von zirka 3000 Franken. Die Gebühr des Siegels von minimum 750 Franken wird jährlich in Rechnung gestellt. Dieses Beispiel zeigt aber nur die absolute Minimalausnutzung des Siegels. Für Anbieter, die sich um das goldene Siegel bemühen, wird von Beträgen von bis zu 50'000 Franken und höher gemunkelt. Solche Investitionen wird aber wohl kaum je ein Shop-Anbieter tätigen, und somit könnte dies auch gleich der Todesstoss des Labels E-Comtrust sein, bevor es so richtig geboren ist.
Die Idee der E-Comtrust-Initiative basierend auf nationalen und europäischen Normen und deren breite Abstützung auf verschiedene Arbeitsgruppen ist gut. Da sich aber die Mehrzahl von Shop-Anbietern ein solches Zertifikat niemals leisten kann, sinken die Chancen, sich im Markt zu etablieren stark. Hier wäre ein schnelles und grundsätzliches Überdenken der Initiative wohl angebracht. Denn so betrachtet, hilft es auch nicht, wenn die Trägerschaft sich bemüht, die Nachfrage beim Konsumenten nach dem E-Comtrust-Gütesiegel mittels "teuren" Broschüren zu steigern. Nachfrage bestimmt zwar den Markt, aber nicht zu jedem Preis.