Novell NetWare 6: Zentrale Server-Plattform für heterogene Netzwerke

Mit der neuen NetWare-Version 6 verabschiedet sich Novell endgültig von seinen proprietären Wurzeln.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/31

     

Novells Abstieg vom führenden Anbieter von Netzwerk-Betriebssystemen hin zu einem Unternehmen, bei dem viele Beobachter Zweifel am Überleben äusserten, war vor allem durch strategische Fehler bei der Positionierung bedingt. Fehleinkäufe wie Wordperfect und Digital Research oder die schnelle Aufgabe von UNIXware stehen exemplarisch dafür. Seit einiger Zeit ist aber wieder eine klare Fokussierung zu beobachten, basierend auf drei Säulen. Da ist zum einen das NDS eDirectory als Verzeichnisdienst. Verzeichnisdienste spielen heute eine ungleich grössere strategische Rolle für viele Anwendungen, gerade im E-Business, als das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Novell als einer der frühen Anbieter in diesem Segment hat seine gute Startposition mit der konsequenten Ausrichtung des NDS eDirectory auf E-Business-Anforderungen gut positioniert und die Nische der Netzwerk-Verzeichnisdienste verlassen. Die zweite Säule sind Sicherheitsdienste, wo Novell inzwischen eine Reihe von Lösungen gerade im Bereich des Single Sign-On zu bieten hat. Der dritte Bereich sind schliesslich die Datei- und Druckdienste. Und hier hat sich Novell mittlerweile geöffnet und seine proprietäre, IPX-basierende Plattform geöffnet. Stand bei NetWare 5 noch der Schritt von IPX zu IP im Mittelpunkt, so ist man mit NetWare 6 nicht einmal mehr auf die Novell-Clients angewiesen. Auch CIFS/SMB, das Client/Server-Kommunikationsprotokoll unter anderem von Microsoft, und andere Standards werden nun unterstützt.




Novell möchte mit dieser Entwicklung den Schritt weg vom Anbieter einer proprietären File-, Print- und Directory-Plattform und hin zu einem Lösungsanbieter von Net Services schaffen. Net Services versteht Novell als Basisdienste des E-Business, also eben Directory-Dienste, Sicherheit und File- und Print-Dienste. Aber auch Portallösungen, Abrechnungsdienste oder Caching-Lösungen gehören dazu. Mittlerweile hat Novell hier ein umfassendes Portfolio geschaffen, in dem NetWare 6 eine zentrale Rolle spielt - als flexibel verfügbarer und zentral administrierbarer Datenspeicher in Netzwerken.


Konsolidierung von Speicher

Novell zielt mit NetWare 6 dabei insbesondere auf Kunden, die heute eine Vielzahl von Servern haben und diese konsolidieren möchten. Dabei wird NetWare 6 als Alternative zu gängigen NAS- und SAN-Konzepten positioniert. Die Zielsetzung all dieser Ansätze ist es, zentral verwalteten, flexibel ausbaubaren Speicher zu haben, der von unterschiedlichsten Systemen aus genutzt werden kann. Während die NAS- und SAN-Lösungen durchaus in der Lage sind, das permanente Wachstum des benötigten Speichers abzudecken, gibt es gerade bei der Unterstützung heterogener Plattformen und oftmals auch bei der Datensicherung erhebliche Schwächen. Hier setzt Novell mit NetWare 6 an.



Das System wurde konsequent zu einer Infrastruktur-Lösung ausgebaut, die eine hohe Verfügbarkeit und gute Performance liefert. Bei NetWare 6 wurde dabei der Kernel grundlegend im Hinblick auf die Multiprozessor-Unterstützung überarbeitet, bisher noch eine Schwachstelle von NetWare. Dazu gehören mit den Novell Kernel Services auch neue Entwicklungsschnittstellen. Alle wichtigen Dienste des Systems, von den Directory- und Storage-Services über die JVM (Java Virtual Machine) bis hin zu LDAP oder NCP sind Multiprozessor-fähig. Damit ist die Basis geschaffen, um deutlich besser als bisher skalieren zu können. Die alleinige Performance der File-Server-Dienste war bei NetWare ohnehin noch nie ein Kritikpunkt - die Skalierbarkeit über einzelne Ein-Prozessor-Systeme hinaus hingegen schon.




Gleichzeitig wurden auch die Cluster-Dienste deutlich verbessert. Es werden nun Cluster mit bis zu 32 Knoten unterstützt. Cluster aus zwei Knoten sind sogar Bestandteil der Basislizenz. Cluster spielen dabei auch im Hinblick auf die hohe Verfügbarkeit, die zentralisierte Serverplattformen bieten müssen, eine wichtige Rolle. Die Novell Storage Services sind in der Version 3.0, die mit NetWare 6 geliefert wird, ebenfalls deutlich erweitert worden. Die Komprimierung von Dateien direkt bei der Speicherung und nicht erst nach definierten Zeiträumen, das endgültige Löschen von Dateien nach dem U.S. Green Book File Security Standard, Plattenspiegelung über Softwarefunktionen und eine flexible Konfiguration von Volumes und Partitionen im laufenden Betrieb sind hier die wichtigsten Erweiterungen.




iFolder: Interessante Neuerung

Mit der konsequenten Weiterentwicklung der File-Server-Funktionalität alleine könnte Novell aber wohl auch in Zukunft keine verlorenen Marktanteile zurückgewinnen. Der Schlüssel zum Erfolg und die Chance von NetWare 6 liegen darin, dass das System nicht mehr nur TCP/IP als Transportprotokoll unterstützt, sondern auch beim Dateizugriff unabhängig von NCP (NetWare Core Protocol) ist. Mit NFS (Networked File System), AFP (Apple Filing Protocol) und CIFS/SMB (Common Internet File System/Server Message Blocks) werden alle wichtigen Protokolle für den Zugriff auf File-Server unterstützt. Auch WebDAV (Distributed Authoring and Versioning) findet sich bei NetWare 6.



Am interessantesten ist aber alles in allem der Novell iFolder. Mit dieser Lösung können Benutzer Dateien auf ihre lokalen Systeme synchronisieren. Sie können aber auch mit einem Browser auf Dateien zugreifen. Der iFolder erinnert in seinem Konzept ein wenig an die Offline-Dateien von Windows 2000 und Windows XP, geht aber tatsächlich ein gutes Stück darüber hinaus. Es handelt sich nicht um eine Client-, sondern um eine Server-basierende Lösung. Dabei werden Benutzern Dateien zugeordnet, die diese nach der Authentifizierung nutzen können. Die Synchronisation erfolgt in Blöcken von 1 KB, wobei nur Änderungen synchronisiert werden. Je nach Dateityp und erfolgten Änderungen kann das die Menge der tatsächlich zwischen Client und Server auszutauschenden Informationen signifikant reduzieren. Darüber hinaus wird eben nicht nur ein bestimmter Client unterstützt. Der iFolder ist auf dem Server für unterschiedlichste Clients verfügbar. Für mobile Benutzer ist der iFolder nichts anderes als ein Server, der ihnen jederzeit im Internet - in gesicherter Form - zur Verfügung steht.




Aber auch in lokalen Netzwerken ändert sich einiges. Der Novell Client für Windows wird zwar auch weiterhin ausgeliefert, doch schon der kleine Versionswechsel von 4.8 auf 4.81 beim Client für Windows NT/2000 zeigt, dass hier nicht allzu viel getan wurde. Wer beispielsweise mit ZENworks for Desktops arbeitet, wird auch weiterhin diesen Client nutzen. Um aber auf einen NetWare-6-Server zugreifen zu können, ist er keine Voraussetzung mehr.



Neben der schon genannten breiten Unterstützung von Client/Server-Kommunikationsprotokollen werden auch unterschiedliche Authentifizierungsmechanismen unterstützt. So kann beispielsweise ein Windows-Client über NTLM auf den NetWare-6-Server zugreifen und sich dort anmelden. Die NTLM-Authentifizierung wird dann über NMAS (Novell Modular Authentication Services) umgesetzt und als NDS-Authentifizierung verarbeitet. Aus Sicht von Clients, aber auch von Windows- oder UNIX-Servern, stellt NetWare 6 schlicht einen Server mit Plattenplatz im Netzwerk dar. Es ist aber keine spezifische Anpassung dieser Systeme mehr erforderlich, was NetWare 6 als zentrale Storage-Plattform interessant macht.




Drucken per Internet Printing Protocol

Auch beim Drucken spielt die Unterstützung offener Standards in NetWare 6 eine zentrale Rolle. Das IPP (Internet Printing Protocol) ist nun integraler Bestandteil des Systems. Nun stellt sich bei einem Protokoll, bei dem Clients über IPP direkt auf beliebige Drucker zugreifen können, im ersten Moment die Frage nach dem Nutzen einer zentralisierten Serverplattform. Was bei den Storage-Diensten offensichtlich ist, gilt aber auch hier: Es bedarf einer zentralen, mit einem Verzeichnisdienst eng integrierten Administration, um diese Prozesse zu steuern. Und genau das bietet auch NetWare 6. Damit wird es beispielsweise auch möglich, von Clients aus einen vom NetWare-6-Server bereitgestellten IPP-Drucker anzusteuern, zu dem NetWare dann die Druckjobs weiterleitet. Das ist zwar im ersten Moment umständlicher als der direkte Weg, bringt aber die zentrale Kontrolle und Steuerung.




Auf dem NetWare-Server wird der IPP-Serverdienst ausgeführt. Für die http-Zugriffe arbeitet Novell inzwischen mit dem Apache-Server. Der Novell-Enterprise-Server, eine Portierung des Netscape/iPlanet-Enterprise-Servers, wird zwar auch weiterhin mitgeliefert, nimmt aber inzwischen eine deutlich untergeordnete Position ein. Der Client für den IPP-Dienst wird als ActiveX-Control und als Netscape-Plug-in geliefert. Darüber kann die Auswahl und Ansteuerung von Druckern ebenso wie das Herunterladen von Druckertreibern erfolgen. Auf der Serverseite gibt es wiederum Gateways zu einer Reihe unterschiedlicher Drucker - bis hin zu einem IPP-Gateway für im Netz befindliche IPP-Drucker.


Portaldienste durch NetWare WebAccess

Neu ist auch NetWare WebAccess als ein integriertes Portal. Bei NetWare WebAccess handelt es sich um eine etwas reduzierte Version der Novell Portal Services. Damit lassen sich beispielsweise die Datei- und Druckdienste, also unter anderem iFolder, im Internet bereitstellen. Es werden aber beispielsweise auch Module, als Gadget bezeichnet, für den Zugriff auf Microsoft-Exchange-Server geliefert. Auf diese Weise lassen sich schnell Websites erstellen, mit denen Benutzer im Internet und Intranet über den Browser Zugang zu wichtigen Funktionen von NetWare 6 erhalten und über die auch, in Verbindung mit den Authentifizierungsfunktionen des Systems, der Durchgriff auf weitere Dienste gesteuert werden kann. Da die Konfiguration von NetWare WebAccess mit Hilfe von Assistenten gesteuert wird, ist die Nutzung vergleichsweise einfach.



Für Unternehmen, in denen bereits Portale genutzt werden, dürften aber die Ansätze von Novell zur Integration seiner Portal Services mit den Portalen anderer, marktführender Anbieter interessanter als der integrierte WebAccess sein.





Mehrere Management-Tools nötig

Während sich für den Anwender vieles ändert, bleibt für den mit NetWare vertrauten Administrator doch vieles beim alten. Der NetWare-Administrator hat zwar endgültig seine Bedeutung verloren: Viele Verwaltungsfunktionen werden nur noch über die ConsoleOne, die in der Version 1.3 mitgeliefert wird, unterstützt. Diese ist zwischenzeitlich deutlich gereift, auch wenn sie immer noch ausgesprochen viel Hauptspeicher konsumiert. In der neuen ConsoleOne stehen nun viele Funktionen über Kontextmenüs zur Verfügung. Ausserdem lassen sich viele wichtige Funktionen über eine Symbolleiste aufrufen.



Ergänzt wird die ConsoleOne durch den iMonitor, einer Browser-Version von monitor.nlm und den NetWare Remote Manager. Letzterer findet sich bei NetWare 5.1 als NetWare Management Portal, ist also auch keine wirkliche Neuerung. Faktisch bleibt damit die Situation bestehen, dass für die Administration immer mehrere Werkzeuge benötigt werden. Denn die Remote Console wird auch weiterhin noch benötigt. Für einen mit NetWare vertrauten Administrator stellt das aber kein Problem dar.




Erfreulich ist, dass die Kinderkrankheiten von NetWare 5.1 behoben sind. Die Administrationsdienste werden automatisch installiert und funktionieren anschliessend fehlerfrei. Bei der Vorversion gab es doch einige grössere und kleinere Probleme, bis alle Dienste wirklich fehlerfrei liefen. Auch die Konsole von NetWare 6 macht einen überarbeiteten Eindruck. Beim Startprozess ist genau zu erkennen, welche Module mit welchem Status geladen wurden. Das Ganze ist deutlich übersichtlicher geworden.



Auch den Installationsprozess hat Novell überarbeitet und verbessert. Zwar kann sich die Hardwareerkennung auch weiterhin nicht mit derjenigen von Windows 2000 oder mittlerweile auch der führenden Linux-Distributionen messen. Aber auf einer für den Serverbetrieb geeigneten Hardware lässt sich das System einfach einrichten. Die Mindestanforderungen sind ein Pentium-II-Prozessor und 180 MB Hauptspeicher. Das reicht aber gerade einmal für die Installation der Basiskomponenten und den anschliessenden Betrieb ohne wesentliche Last. Die Zielrichtung von NetWare 6 sind Umgebungen mit hoher Last - und hier ist auch eine entsprechend ausgebaute Hardware erforderlich. Der Platzbedarf auf der Festplatte liegt für das Betriebssystem je nach installierten Komponenten zwischen 650 MB und 4 GB. Auch hier stellt NetWare also mittlerweile deutlich höhere Anforderungen, die aber in Relation zum angestrebten Einsatzbereich keine wirkliche Rolle spielen.



NetWare 6 macht einen ausgereiften Eindruck. Die neue Version ist eine ebenso kontinuierliche wie konsequente Weiterentwicklung von NetWare 5.1 mit einem klaren Fokus auf den Einsatz als zentrale Serverplattform in heterogenen Netzwerken. Novell hat damit und in Verbindung mit seinen Net Services die Basis geschaffen, um als Infrastruktur-Lieferant für Netzwerke wieder an Stärke zu gewinnen. Die Lektionen der vergangenen Jahre hat das Unternehmen gut gelernt und konsequent die proprietären Fesseln abgeschüttelt. Mit NetWare 6 wird aus den vielen Puzzleteilen, die in den letzten Monaten sichtbar wurden, ein rundes und stimmiges Gesamtkonzept. Nun bleibt abzuwarten, wie der Markt diese Entwicklung aufnimmt. Die Chancen für Novell stehen aber deutlich besser als noch vor zwei oder drei Jahren.



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