Pause machen: Das Geheimnis des Erfolgs
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/24
"Die Siesta ist ein Imperativ. Sie bittet Sie nicht, sie zwingt sich Ihnen auf. Sie ist einfach da, verführerisch, anmachend, zärtlich, mit einem Wort: unwiderstehlich", schreibt Thierry Paquot in seinem Buch "Siesta - Die Kunst des Mittagsschlafs". In seiner Philosophie ist die Mittagsruhe mehr als eine rein physische Erholung. "Die Siesta ist ein entscheidender Moment, um sich zu sammeln, nachzudenken, zu träumen, zu geniessen oder zu schlafen. Die Siesta ist Zeit für sich selbst."
Eine Siesta kann man auf unterschiedliche Arten begehen: Bleierner Schlaf, ein paar Minuten dösen, innehalten und sich selbst orientieren oder in der Zeitung schmöckern - jeder nach seinem Geschmack. Aber nicht jeder verträgt einen Mittagsschlaf. Bei manchen Menschen wird dadurch der reguläre Nacht-Schlafrhythmus gestört. Wer das bei sich beobachtet, sollte darauf verzichten.
Einstein, Leonardo da Vinci, Thomas Mann, Salvador Dali - viele berühmte Menschen schworen auf die Siesta. Auch tatkräftige Politiker, darunter Adenauer, Genscher, Chirac sowie die Eiserne Lady Margaret Thatcher, bekannten sich zum Mittagsschlaf. Winston Churchill äusserte sich sogar schriftlich darüber: " Zwischen Mittagessen und Abendessen muss man schlafen, und zwar keine halben Sachen. Ziehen Sie Ihre Kleider aus und legen sich ins Bett... denken Sie bloss nicht, dass Sie weniger Arbeit schaffen, wenn Sie am Tag schlafen. Das ist eine dumme Idee von Leuten ohne Vorstellungsvermögen. Sie werden sogar mehr bewerkstelligen. Sie bekommen zwei Tage in einem - nun gut, wenigstens eineinhalb Tage, da bin ich mir sicher."
Das Schlafbedürfnis zur Mittagszeit hat nichts mit Faulheit oder Leistungseinbruch zu tun, sondern mit dem Rhythmus des Körpers. Dieser senkt um die Mittagszeit die Temperatur und weckt den Wunsch nach einem Nickerchen. Wer von dem Mittagsschläfchen wirklich etwas haben will, muss die Kunst des Nickerchens beherrschen. Denn bei zu langem Schlummern besteht das Risiko, dass man anschliessend schlechte Laune hat und den Rest des Tages neben sich steht. 10 bis 30 Minuten sollte die Siesta höchstens dauern, dann ist man auch innerhalb weniger Minuten wieder voll da, wie Schlafforscher erläutern. Döst man eineinhalb Stunden kann's gefährlich werden: Das Risiko eines Herzinfarkts soll sich um 50 Prozent erhöhen, da der Blutdruck abfällt und nach dem Aufwachen wieder ansteigen muss - was bei gefährdeten Personen das Infarktrisiko vergrössert. Ein gewitzter Trick: Vor dem Hinlegen eine Tasse Kaffee trinken. Das Koffein braucht nämlich etwa dreissig Minuten, bis es wirkt - genau zur gewünschten Aufwachzeit.
Studien des Schlafmedizinischen Zentrums der Universität Stanford (England) ergaben, dass im Schnitt eine kurze Pause alle 90 Minuten ein Plus an Erholung und Leistungsfähigkeit bringt. In den USA liegt das so genannte "Power Napping" bereits seit einigen Jahren im Trend, die Japaner schwören schon lange darauf (Schlafkojen in japanischen Einkaufszentren sind gang und gäbe), und in China ist das Recht auf die Siesta (xeu-xi) in Artikel 49 der Verfassung von 1949 explizit erwähnt. Auch eine Studie der Cornell-University zeigt, dass eine 20-minütige Schlafpause während der Arbeit die Motivation erhöht und Fehler verhindert. Marc Rosekind hat in einer Pilotenstudie für die NASA herausgefunden, dass nach einem 30-minütigen Schlaf die Reaktionsschnelligkeit um 16 Prozent zugenommen hat und gleichzeitig die Aufmerksamkeitsausfälle um 34 Prozent abgenommen haben. Wer am Arbeitsplatz keine Möglichkeit für eine Schlafpause hat, kann es auch mit Mikro-Pausen versuchen:
Unterbrechen Sie Ihre Arbeit, und erledigen Sie Routinesachen, die kaum Aufmerksamkeit erfordern.
Blicken Sie aus dem Fenster und träumen Sie.
Klinken Sie sich kurz aus dem Alltag aus, schliessen Sie die Augen und lassen sich von sanftem Sound berieseln.
Setzen Sie sich locker hin, und atmen Sie tief ein und aus. Versuchen Sie, die Atmung auf vier Atemzüge pro Minute zu reduzieren.
Lernen Sie den Power-Schlaf: Zweimal fünf Minuten Schlaf pro Tag erspart zwei Stunden in der Nacht.
Fast nach Belieben macht der Mensch die Nacht zum Tag, den Abend zum Morgen. In der industrialisierten Gesellschaft setzen viele Menschen ihre Leistung mit derjenigen von Maschinen gleich und unterschätzen dabei den Widerstand, den ihr Biorhythmus der modernen Zeitlosigkeit entgegensetzt. Dieser dauert durchschnittlich 24,18 Stunden. Er wird von der inneren Uhr gesteuert, die sich nach der Wechselwirkung zwischen Genen und Eiweissen richtet. Licht justiert zwar ebenfalls unsere biologische Uhr, doch behalten auch Menschen, die ohne Tageslicht auskommen müssen, einen ungefähren 24-stündigen Rhythmus bei. Man vermutet beim Menschen einen 4-Stunden-Rhythmus von schläfrigen Phasen während dem ganzen Tag. Kurz Dösen alle 4 Stunden wäre demnach normal und gesund.
Die innere Uhr schaltet vor allem gegen drei, vier Uhr morgens und am frühen Nachmittag auf "Schongang". Der Mensch kann zwar diese Vorgaben überspielen, allerdings ist er dann nicht nur subjektiv müde, sondern leistet objektiv weniger und macht Fehler. In einer Agrargesellschaft stört das nur selten. In unserer Industriegesellschaft jedoch kann ein falscher Handgriff Tote fordern. Der Schlafforscher Jürgen Zulley vom Schlafmedizinischen Zentrum Regensburg schätzt die Folgekosten des fatalen Schlummers am Arbeitsplatz heute weltweit auf 400 Milliarden Dollar. Die meisten grossen technischen Katastrophen der letzten Jahre gehen auf das Konto übermüdeten Personals (Tschernobyl, Three Mile Island, Challenger).
Ende April wurde in Zürich der erste öffentliche Ruheraum der Schweiz eröffnet. Gegen eine Gebühr von 5 Franken kann man sich zwischen 9.00 und 17.00 Uhr für 20 Minuten im Restpoint auf eine Pritsche legen. Die 16 Liegebetten in getrennten Räumen für Frauen und Männer sind in einem Wohnhaus an der Sumatrastr. 5 untergebracht. Momentan ist der Restpoint noch nicht sehr stark frequentiert, Stammkunden gibt es noch keine. Projektleiter Melchior Ryser hatte nach der Eröffnung mit einem grösseren Echo gerechnet: "Der Mittagsschlaf als sinnvolle Pause ist in der Schweiz einfach noch zu wenig bekannt." Der Mittagsschlaf wird bei uns mit Faulheit und Gebrechen assoziiert. Manche Menschen müssen zuerst ihr schlechtes Gewissen überwinden, um sich eine Siesta zu gönnen - dies bestätigt auch Ryser. Dennoch ist er zuversichtlich, dass sich auch in der Schweiz diese Pausen immer mehr durchsetzten werden. Auch einige grössere Schweizer Firmen wie IBM, Jelmoli und Migros haben für ihre Mitarbeiter Ruheräume eingerichtet. Der Versuch bei Sun schlug wegen geringem Interesse fehl, der Ruheraum wurde in ein Sitzungszimmer umgebaut.
Die Siesta und die kreativen Pausen laufen Gefahr, institutionalisiert zu werden - vorgeschrieben, ärztlich verordnet, organisiert, professionalisiert - genau das, was sie nicht sein sollten: Ein Pause vom Diktat der Zeit. Es sollte nicht vergessen werden, dass jeder Mensch seinen ganz persönlichen Schlaf-Wach-Rhythmus hat und dementsprechend auch ein unterschiedliches Bedürfnis nach Pausen.