Weiterbildung: Vom Trend zur Pflicht
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/05
«Nur wer sich regelmässig fachlich auf dem laufenden hält, bleibt auf Dauer beschäftigungsfähig.» Dieser Grundsatz ist nicht neu, er gewinnt aber zunehmend an Bedeutung. Denn neue Techniken und die Globalisierung erfordern von der arbeitenden Bevölkerung eine permanente Anpassung der Qualifikation und an kulturelle Anforderungen. Bereits Ende der 60er Jahre wurde im Rahmen einer breiten Bildungsreform der Begriff «lebenslanges Lernen» kreiert. Der Ausdruck wurde schliesslich von der Europäischen Union folgendermassen definiert: Nur Leute, die ihr ganzes Leben lang lernen und sich weiter qualifizieren, sind in der Lage, die raschen Veränderungen kompetent zu meistern.
Dabei genügt ein Blick in die Zeitung, um die Bedeutung der Weiterbildung zu begreifen. «Wenn man heute Stelleninserate studiert, fällt auf, dass unter den Anforderungen meistens Hochschulabschluss, Fachhochschulabschluss oder äquivalente Aus- und Weiterbildungen genannt werden», sagt Theres Zeier, die als Personalcoach unter anderem Unterstützung in den Bereichen Personalentwicklung, bei Neuorientierung und in Führungsfragen anbietet.
Die Wichtigkeit von Weiterbildung aus Sicht von HR-Leuten
Aus Erfahrung weiss Zeier, dass Stellensuchende immer noch davon ausgehen, dass sie ihre Karriere am neuen Arbeitsplatz einfach fortsetzen oder zumindest den Status quo beibehalten können. Das trifft aber nur für die wenigsten zu. «Heute qualifizieren sich jene für einen Job, die neben den beruflichen Erfahrungen auch eine gute und aktuelle Ausbildung mitbringen», so Zeier.
Hinzu kommt, dass Personalchefs bei Bewerbern zunehmend auf Nachweise nebenberuflicher Weiterbildung achten. Wie wichtig es ist, sich parallel zum Beruf kontinuierlich weiterzuqualifizieren, belegt eine Studie des Marktforschungsinstituts Forsa. Mehr als die Hälfte der befragten Personalverantwortlichen halten den Nach-weis nebenberuflicher Weiterbildung für wichtig oder sehr wichtig. Nur zehn Prozent der Befragten legt bei der Personalauswahl keinen besonderen Wert auf Ausbildungen parallel zum Beruf.Bei den Qualitätskriterien legen
91 Prozent der HR-Leute Wert darauf, dass das erworbene Fachwissen zum Stellenprofil passt. Für 77 Prozent ist es wichtig, dass die Bewerber ihre Weiterbildung mit einem Abschluss belegen können.
Für die Studie, die im Auftrag von ILS (Institut für Lernsysteme) durchgeführt wurde, wurden rund 300 Personalentscheider in deutschen Unternehmen mit mehr als 150 Mitarbeitern befragt.
In der Vergangenheit wurde die Weiterbildung oft vernachlässigt. Dies lag unter anderem daran, dass die Karriere von Personen in der IT oft gradlinig verläuft. «Viele machen innerhalb der Firma eine technische oder verkaufsorientierte Fach- oder Führungskarriere», sagt Zeier, die feststellt, dass im Lebenslauf, besonders bei älteren Informatikern, nach der Erstausbildung meist keine Weiterbildung mehr aufgeführt ist. Dabei zählt die interne Weiterbildung oder die Erfahrung nicht, die man während der Arbeit macht – die wird grundsätzlich vorausgesetzt. Vielmehr ist eine berufsbegleitende Weiterbildung gemeint, die den beruflichen Horizont erweitert wie etwa eine betriebswirtschaftliche Weiterbildung.
Die eindeutigen Ergebnisse der Forsa-Studie zeigen auch, dass Weiterbildung immer mehr zur Pflicht jedes Arbeitnehmers gehört. Weiterbildung hilft aber auch, sich wieder richtig zu positionieren. Doch oft sind die Lernwilligen in der Fülle der Weiterbildungsangebote überfordert. Dies führt nicht selten dazu, dass das Vorhaben immer wieder hinausgeschoben wird und schliesslich ganz in Vergessenheit gerät. Damit es nicht soweit kommt, rät Zeier: «Den Start zur Neuorientierung bildet immer eine Standortbestimmung. Als Grundlage dient dabei das gründliche Studium des Lebenslaufs.» Dann müsse man sich unbedingt die Fragen stellen: Was kann ich? Was will ich? Was bringt mich weiter? Was brauche ich dazu? «Erst dann kann die eigentliche Planung der Weiterbildung beginnen», so Zeier.
«Erfahrungsgemäss machen sich Mitarbeitende zwischen 40 und 50 Gedanken darüber, wie es mit ihnen weitergehen soll», stellt Zeier fest. An diesem Punkt ist eine Standortbestimmung sinnvoll, denn Veränderungen sind in solchen Fällen vorprogrammiert. «Mit einem neuen Lebensabschnitt stellt man sich oft andere Fragen über sich selbst als bisher, es wird mehr hinterfragt», so die Fachfrau, die in diesem Zusammenhang auf eine weitere Problematik aufmerksam macht: «Oft höre ich von älteren Leuten, dass sie für eine Weiterbildung zu alt seien.» Diese vorherrschende Meinung bleibt auch für Zeier ein Rätsel. «Vielleicht ist es Angst, sich mit jüngeren Leuten in die gleiche Schulbank zu drücken, vielleicht ist es Bequemlichkeit, vielleicht fehlt die Energie oder die Motivation.» Theres Zeier kann jedenfalls aus persönlicher Erfahrung berichten, dass ihr berufsbegleitendes Nachdiplomstudium eine absolute Bereicherung war. Und wer mit 45 eine Stelle suchen muss, konkurrenziert mit gut ausgebildeten jungen Leuten. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass man versteht, dass die Weiterbildung keine Frage des Alters ist, sondern in den ganzen Zyklus des Berufslebens gehört.
Die Weiterbildung ist nicht nur Aufgabe der Arbeitnehmer. Auch die Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter dabei unterstützen. Die Aus- und Weiterbildung muss natürlich strategiekonform sein. Zu den strategischen Überlegungen gehört auch, welches Wissen das Unternehmen braucht. Dabei rät Zeier, dass die Personalentwicklung die geförderte und gezielte Weiterbildung als Massnahme enthalten soll. Zudem muss analysiert werden, was der Mitarbeitende will.
Zeiers Erfahrung zeigt, dass Unternehmen in der Regel eine Weiterbildung unterstützen, die Mitarbeitenden dann aber für rund zwei Jahre verpflichten. «Wer das umgehen will, finanziert die oft teuren Studien selbst», so Zeier, und weiter: «Wer eine berufsbegleitende Weiterbildung wählt, verzichtet auf vieles. Deshalb ist es wichtig, sich eingehend mit der Wahl der richtigen Weiterbildungsinstitution und des Themenkreises auseinanderzusetzen.» Und dies sollte frühzeitig geschehen, denn «der Anreiz zur Weiterbildung sollte eigentlich bereits durch die heutige Marktsituation gegeben sein. Seine eigene Marktfähigkeit zu erhalten und erst recht auszubauen, erfordert sehr viel Eigenverantwortung und Selbstmotivation», so Zeier abschliessend.