Die Cirrus Group ist ein mittelständisches Unternehmen, das sich in der Schweiz einen Namen im Bereich SAP-Beratungsdienstleistungen gemacht hat. Wie kamen Sie auf die Idee, das Thema SAP Cloud Computing anzugehen? SAP beisst sich noch immer die Zähne daran aus. War der Expeditionsstart in die Wolken vor über einem Jahr nicht ein grosses Risiko für ein Unternehmen ihrer Grösse?
Marcel Richard: Die Cirrus Group feiert dieses Jahr ein Jubiläum: Wir sind seit 20 Jahren im IT-Beratungsgeschäft tätig. Unsere überschaubare Firmengrösse birgt Chancen und Gefahren. Die Gefahren haben wir gemeistert, weil wir bei Schusters Leisten – was in unserem Fall SAP-Technologie heisst – blieben. Als Mittelstand sind wir agil und immer nahe am Markt mit unseren Dienstleistungen. Mehr als die Hälfte unseres Management-Teams ist operativ in Kundenprojekten tätig. Dadurch etablieren wir wertvolle Kundenbeziehungen und erfahren aus erster Hand, was den SAP-Bestandeskunden am Herzen, oder im schlimmeren Fall auf dem Magen, liegt.
Was bewegt denn den SAP-Bestandeskunden Ihrer Ansicht nach am meisten? Der Kostendruck. Der Betrieb von SAP ist teuer. Nicht erst seit gestern. Daher hatte ich auch schon 1998 zum ersten Mal die Idee, dass mit der aufkommenden ASP-Euphorie hier Abhilfe geschaffen werden könnte. Noch fehlten damals aber die notwendigen Technologien, trotz Internet und der Möglichkeit des unbeschränkten globalen Zugriffs auf Daten und Systeme.
Sie haben die Idee nicht fallen gelassen. Was geschah dann? Das Aufkommen von Service-orientierten Architekturen (SOA) und die zunehmende IT-Virtualisierung der vergangenen fünf Jahre haben uns sehr geholfen. Es wurde auch für uns als kleines Unternehmen möglich, ohne riesige Investitionen via Internet vollautomatisierte Services zu entwickeln und international anzubieten.
Noch fehlt mir der Link vom Traum mit der Cloud zu SAP… SAP beisst sich nicht ohne Grund die Zähne aus an der Cloud. Grundsätzlich ist die ERP-Architektur nicht geeignet für das SaaS-Modell. Die SAP-Software-Lizenzierung stellt zudem eine weitere fast unüberwindbare Hürde für den Eintritt in die Cloud dar. Die Software-Architektur des SAP-ERP-Systems besteht aus individualisierbaren und übergreifenden Objekten. Will man mehrere Kunden nebeneinander – aber voneinander getrennt – auf dieser Architektur laufen lassen, gibt es bei den übergreifenden Objekten unerwünschte Berührungspunkte. Obschon nur ein kleiner Teil der Objekte übergreifend ist, handelt es sich bei den meisten von ihnen um zentrale und wichtige Elemente. Hierfür ein Beispiel: Im Bereich der Währungstabellen gibt es viele dieser übergreifenden Objekte. Ergo müssten zum Beispiel für sämtliche Kunden die Umrechnungsfaktoren bei den Währungen immer identisch sein. Etwas, das wie wir wissen, in der Realität undenkbar ist. Mit der vor einiger Zeit entwickelten, neuen Software Business by Design geht SAP nun auch andere Wege. Sie scheinen dieses Architektur-Problem gelöst zu haben. Leider ist die Software kein Ersatz für das bestehende SAP ERP, da es für die Zielgruppe der kleineren Kunden konzipiert wurde. Unsere SAP Cloud Lösung fokussiert die klassische ERP-Architektur. Sie wurde von uns daher als Platform as a Service (PaaS) und nicht als Software as a Service (SaaS) konzipiert.
Bitte erklären Sie mir das genauer… Klassisch lassen sich Dienstleistungen aus der Cloud in drei Kategorien unterteilen: IaaS (Infrastructure as a Service), PaaS (Platform as a Service) und SaaS (Software as a Service). Wie die Namen schon sagen, werden Dienste angeboten und zwar als Leistung, die über das Internet bezogen und genutzt wird. Typisch für alle drei ist, dass die Kosten nutzungsabhängig berechnet werden. Als IaaS wird die Bereitstellung von virtueller Hardware und Basisinfrastruktur bezeichnet. Der Kunde nutzt virtuelle Rechen- und Speicherkapazitäten aus der Wolke und bezahlt genau so viel, wie er verbraucht. PaaS wird weiter gefasst als IaaS, denn PaaS-Provider wie wir stellen komplette Plattformen in der Cloud bereit. Sie betreiben also Hardware- und Software-Kombinationen als Service. Diese Plattformen können Anwender von überall her via Internetzugriff nutzen, wann und wie oft sie wollen. Das Modell SaaS stellt spezifische Software-Services über das Internet bereit.
Was bringt denn nun Platform as a Service dem Kunden für Vorteile? SAP weist eine hohe Komplexität auf. Die Systeme erfordern viel Infrastruktur – und diese ist teuer. Eine SAP-Systemlandschaft besteht immer aus geschäftskritischen, also produktiven Systemen und nicht-businesskritischen Systemen, wie beispielsweise Test- oder Demosystemen. Beide Systeme nutzen die gleichen Architekturen. Ein Beispiel: Ein Unternehmen entscheidet sich, einen Tier-4-Level bei der Datenhaltung zu etablieren. Wir reden auf dem obersten Level von einer Datenverfügbarkeit von 99,9 Prozent. Für produktive Systeme mag dies je nach Tätigkeitsbereich des Unternehmens notwendig oder branchenüblich sein. Nun ist es aber einfach so, dass in diesem Fall die nicht-geschäftskritischen SAP-Systeme völlig überteuert sind, denn sie decken in vielen Komponenten dieselben Höchststandards bezüglich der Daten ab wie die produktiven Systeme. Nur die wenigsten Unternehmen können es sich leisten, für die nicht-businesskritischen Systeme eine eigene Tier-Strategie zu fahren. Daher resultiert auch das «ewige Gejammer», dass Prototypen oder Testsysteme immer so teuer seien. Darauf gründet die Basis und Hauptmotivation für die Entwicklung unserer SAP Cloud Computing Solution. Wir wussten, es muss möglich sein, Business-unkritische SAP-Plattformen zu einem angemessenen Preis zur Verfügung zu stellen. Zudem ist die Nutzungsdauer bei Test-, Demo-, Prototyp- oder Schulungssystemen natürlich viel kürzer als bei produktiven Systemen. Die XaaS-Modelle kommen dieser Tatsache mit dem Grundsatz «Pay only for what you use» sehr entgegen.
Verärgern Sie mit dieser Preisstrategie nicht SAP? Das ist nicht unser Ziel. Wir sind seit vielen Jahren SAP-Partner und wollen das auch bleiben. Die Strategie von SAP in der Cloud erstreckt sich auf Business by Design und die River-Anwendung. Wir hingegen fokussieren uns auf klassische SAP-ERP-Systeme. Die vor kurzem von Bill McDermott kommunizierte SAP-Zielsetzung von einer Milliarde Nutzern im Jahr 2015 wird von unserer Demokratisierung der SAP-Systeme unterstützt.
Wie meinen Sie das mit der Demokratisierung der SAP-Systeme? Die Aussage hat zwei Aspekte. Einerseits können mit unserer Lösung die Eintrittsbarrieren zu neuen SAP-Funktionen gesenkt werden. Mit unserer SAP Cloud Solution kann man es sich – salopp ausgedrückt – leisten, etwas einfach mal schnell auszuprobieren. Ein Prototyp bei uns kostet aus Infrastruktursicht maximal ein paar Hundert Dollar. Der andere Aspekt ist die Verfügbarkeit von SAP-Systemen für einen viel breiteren Kundenkreis. Wir eröffnen Freiberuflern und kleinen Beratungsunternehmen, für die eine SAP-Partnerschaft heute ausser Reichweite liegt, diesen Zugang. Dank der von uns zur Verfügung gestellten Mietlizenzen können sie nun auch SAP-Systeme für ihre eigene Weiterentwicklung nutzen. Wir sind sicher, mit unserer SAP-Cloud-Lösung neue Impulse und Bewegung ins SAP Ecosystem zu bringen. Und das kommt schliesslich auch der SAP und den SAP-Bestandeskunden wieder zu Gute.
Welche nicht geschäftskritischen SAP Plattformen stellen Sie denn zur Verfügung? Der Cirrus-Cloud-Computing-Kunde bekommt zurzeit Zugriff auf ein Public Repository mit den Templates SAP ERP 6.0, SAP IDES ERP 6.0, SAP BI 7.0, SAP CRM 7.0, SAP Enterprise Portal 7.0, SAP Solution Manager 7.0 sowie mit einem Blank Template für individuelle Installationen. Die Sammlung an verfügbaren Templates bauen wir abhängig von der Nachfrage aus. Einen wichtigen Grundsatz verfolgen wir dabei jedoch konsequent: Unsere Kunden sollen immer ERP-Plattformen mit den neusten Release-Ständen bei uns vorfinden.
Wie war die Zusammenarbeit mit SAP? Wir mussten einige Herausforderungen meistern, bis wir mit unserer Idee die Marktreife erreicht hatten. Eine der grössten davon waren die Verhandlungen mit SAP in Bezug auf die Lizenzen. Obwohl es sich «nur» um Demo-Lizenzen handelte, kamen die Verträge erst nach langen, harzigen Verhandlungen zustande. Wir haben dadurch viel Zeit verloren. Unser Go-to-Market wurde massiv verzögert – unsere SAP-Cloud-Computing-Lösung wäre sicher ein halbes Jahr früher online gewesen.
Sie sprechen von diversen Herausforderungen - woran haben Sie sich denn, ausser an der Führungsetage von SAP, sonst noch die Zähne ausgebissen? Der härteste Brocken war die durchgängige Automatisierung. Wir haben von Anfang einen virtuellen «Selbstbedienungsladen» angestrebt, der ohne menschliche Interaktion auskommt. Man stellt sich nicht vor, wie viel der Mensch bei allfällig auftretenden Fehlern oder Lücken in einem nicht, oder zumindest nicht komplett automatisierten System ausgleicht. Diese menschliche Kompensationsleistung obsolet zu machen, war ein enormer Aufwand. Bei einer vollautomatisierten Lösung wie der unseren gibt es nur Schwarz oder Weiss: entweder die Lösung läuft oder sie läuft eben nicht. Der Teufel liegt im Detail. Die gängige 80-/20-Regel hat sich in unserem Fall nicht wirklich bewahrheitet. Für die letzten 20 Prozent bis zur Erreichung einer durchgängigen, fehlerlosen Funktionsfähigkeit, vom Sign-on über die Kreditkartenanbindung bis zum Erstellen einer SAP-Plattform und schliesslich deren Rückbau, haben wir viel Lehrgeld bezahlt, respektive Zeit gebraucht.
Cloud Computing ist ein Thema, das bekanntermassen von Marktriesen wie Microsoft, Google etc. hart umkämpft wird. Analysten betrachten das Geschehen in und um die Cloud abwartend und teils kritisch. In den Argumentarien der Analysten gibt es zumeist zwei Hauptpunkte: Sicherheit und rechtliche Aspekte. In Bezug auf die Sicherheit in der Cloud existieren in vielen Kreisen heute noch gewisse Vorbehalte. Indem wir uns mit unserer Cloud-Lösung auf nicht geschäftskritische Systeme beschränken, lassen wir uns auf diese Diskussionen und Vorbehalte gar nicht erst ein. Die Daten, welche auf den von uns zur Verfügung gestellten Plattformen laufen, bergen kein Sicherheitsrisiko. Was nun keineswegs den Rückschluss zulassen soll, dass die Sicherheitsstandards unserer Cloud-Lösung nicht State-of-the-Art sind. Denn das sind sie zweifellos. Was die rechtlichen Aspekte anbelangt, so geht es den Analysten vor allem darum, dass viele Gesetzgebungen vorsehen, dass Daten nicht ausserhalb des eigenen Landes gelagert werden dürfen. In der Cloud kann dieser Grundsatz nicht vorbehaltlos eingehalten werden. Für uns – mit dem auf Business unkritische Plattformen fokussierten Angebot – gelten aber diese rechtlichen Einschränkungen nicht. Wir haben uns auf die Nische der nicht produktiv genützten Plattformen konzentriert und uns zudem auf die Entwicklung einer Standard-Lösung beschränkt. Als eigenfinanziertes, unabhängiges Unternehmen können wir solche, vielleicht eher unsexy Entscheidungen fällen. Die angesprochenen IT-Giganten müssen Marketing-taugliche, Börsen-wirksame Full-Service-Strategien verfolgen und geben sich – aus ihrer Sicht – nicht mit «unkritischen Brosamen» zufrieden. Sie kämpfen aber daher auch mit ganz anderen Schwierigkeiten als wir.
Was sind Ihre nächsten Ziele mit der Cirrus SAP Cloud Computing Solution? Wir haben hohe Ambitionen und streben die geografische Erweiterung, also eine globale Vermarktung an. Wir möchten unsere Lösung möglichst bald erfolgreich weltweit im SAP Ecosystem platzieren. Als weitere Entwicklungsphase steht dann bald der Release 2.0 der Lösung an. Der Fokus der Neuerungen, die dieser mit sich bringt, liegt auf einer weiteren Vereinfachung der Benutzerführung und einer Anbindung an den SAP Marketplace.
(mw)