Mit Enterprise 2.0 erwachsen werden
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/06
In der Studie «Enterprise 2.0 – die kollektive Intelligenz als Wettbewerbsvorteil» des unabhängigen Branchenberatungsunternehmens Sieber&Partners wird der Erfolg der Einführung von Enterprise 2.0 von der Wechselwirkung zwischen der Organisationskultur und dem Einsatz entsprechender Werkzeuge abhängig gemacht. Enterprise 2.0 ist also kein Zustand, sondern eine Entwicklung, die aufgrund einer evolutionären Veränderung von Organisationen und Werkzeugen früher oder später in jedem Unternehmen Einzug hält.
Der Treiber hinter den Enterprise-2.0-Technologien bleibt das Web 2.0. Die Mitarbeitenden der Generation «Digital Natives» sind mit dem Internet erwachsen geworden. Sie entwickelten aufgrund der starken Durchdringung der IT in ihrem privaten Umfeld eine Erwartungshaltung bezüglich Bedienung und Funktionsumfang eines Enterprise-2.0-Werkzeugs. Diese Erwartungshaltung hat Einfluss auf die Akzeptanz von Kollaborationsplattformen und erleichtert gleichzeitig die Einführung von Enterprise-2.0-tauglichen Lösungen. War der E-Mail Client vor wenigen Jahren das einzige Kollaborationswerkzeug, bieten heutige Intranets deutlich mehr Interaktionsmöglichkeiten. Mitarbeitende werden zu Informationsproduzenten in Wikis und kommunizieren via Kommentarfunktion, Blog und Inhaltsrating.
Diese Tatsache muss den Herstellern von Unternehmens-Software bewusst werden. Bedienungsansätze, die sich noch nicht im Web bewährt haben, haben in Kollaborationsplattformen wenig Chancen. Dies hat Microsoft bei Sharepoint 2010 besser als bisher berücksichtigt: Die Browser-Kompatibilität wurde deutlich verbessert, mit Office Online ist die Bearbeitung plattformunabhängig in praktisch jedem aktuellen Browser möglich. Die Offline-Synchronisation von Dokumenten wurde dank der Integration von OneNote (vormals Groove) erfolgversprechend umgesetzt, da sich das Konzept bei Online-Diensten wie Dropbox oder Live Mesh bewährt hat.
Mit dem Managed Metadata Service reagiert Microsoft zudem auf die bis anhin unzulängliche Metadatenverwaltung. Diese erlaubt nun eine zentrale Verwaltung der Taxonomie. Die Verschlagwortung kann von den Mitarbeitenden (Folksonomy) oder über vorgegebene strukturierte Sets, die zusätzlich die Definition von Synonymen erlauben, vorgenommen werden. Die Bedienung wurde dank neuer Inline-Editing-Funktionen verbessert und vereinfacht. Die Einführung modaler Fenster für Konfigurationsdialoge steigern die Benutzerfreundlichkeit deutlich. Der Anwender kann sich nun besser auf den Seiten orientieren und verliert den Seitenkontext bei Datei-Uploads und ähnlichen Aktionen nicht mehr.
«Benutzerfreundlich» ist nicht gleichzusetzen mit «macht Schulungen überflüssig»; Benutzerfreundlichkeit unterstützt jedoch die Akzeptanz und später das effiziente Arbeiten. Bei all den Möglichkeiten, die eine Kollaborationsplattform wie Sharepoint bietet, muss die Einführung sorgfältig geplant und schrittweise umgesetzt werden. Jahrelang trainierte Arbeitsmuster lassen sich nicht von heute auf morgen umstellen. Die Praxis hat gezeigt, dass das Verschieben der Dateiablage in die Dokumentenverwaltung von Sharepoint nicht automatisch effizienteres Arbeiten mit sich bringt. Jedoch kann das Erstellen projektbezogener Bereiche, in welchen Teams nicht nur Dokumente austauschen, sondern auch Aufgaben, Termine und Kontaktinformationen pflegen können, eine klare Arbeitserleichterung bedeuten.
Allein mit der Einführung von Sharepoint 2010 hat man den Reifegrad einer Enterprise-2.0-Kultur noch nicht erreicht. Einerseits müssen sich Technologie und kultureller Wandel gegenseitig befruchten, andererseits bietet Sharepoint 2010 viel, aber nicht alles. Die wichtigsten Verbesserungen betreffen die Neugestaltung der Benutzeroberfläche und die Umsetzung der Browser-basierten Inhaltsverwaltung von Webseiten bis zu Office-Dokumenten. Die Out-of-the-Box-Komponenten Wiki, Blog und Forum erfüllen aber die Erwartungen bezüglich Bedienung und Funktionsumfang noch nicht. Mit dem Fokus auf die Benutzerfreundlichkeit hat Microsoft Sharepoint 2010 in die richtige Richtung weiterentwickelt. Die Vision einer Workplace-Plattform wird aber noch nicht erreicht.
Wer Sharepoint 2007 eingeführt hat, kann mit der Aktualisierung auf 2010 den nächsten Schritt in der Entwicklung hin zu einer Enterprise-2.0-Kultur vollziehen. Wer Sharepoint bisher «unter Beobachtung» hatte, sollte jetzt erste Erfahrungen sammeln, damit die kulturelle Evolution mit der technologischen mithalten kann.