«Bei uns gibt es kein Offshoring»
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/05
Swiss IT Magazine: Seit Januar sind Sie CIO von Actelion. Wieso hat Actelion diese Funktion geschaffen und inwiefern unterscheiden sich Ihre heutigen Aufgaben als CIO von Ihren bisherigen als Head of Corporate IT?
Ingo Wolf: Die Funktion wurde geschaffen, um das globale IT-Wachstum noch mehr zu strukturieren. Ebenso soll das Business prozessual unterstützt werden. Meine Aufgabe als CIO unterscheidet sich von meiner vorherigen Position, dass ich nicht mehr so stark in die praktische IT involviert bin. Meine Aufgaben als CIO drehen sich vor allem um Strategie, Innovation und globale Steuerung. Die Gratwanderung ist momentan keine leichte, das Wachstum geht immens voran. Es müssen entsprechende Strukturen geschaffen werden. Dazu braucht es Ideen und Konzepte.
Wie ist die IT-Abteilung von Actelion aufgebaut?
Wir haben eine globale IT, die etwa 166 Mitarbeiter umfasst – funktional und in der direkten Linie. Dies bedeutet aber nicht, dass alles vom Hauptsitz aus diktiert wird. Der Verantwortliche für die Tochtergesellschaften weltweit beispielsweise sitzt in San Francisco. Wir haben also eine zentrale IT, aber eine lokale Steuerung, damit wir auch lokale Aspekte berücksichtigen können. Der Mitarbeiter in San Francisco wird zudem von drei Teamleitern für die Regionen APAC, EMEA und Americas unterstützt. Die Operations IT ist im Hauptsitz in Basel angesiedelt, weil auch das Hauptrechenzentrum hier steht.
Welche Art von Mitarbeiter beschäftigen Sie?
Diese Unterteilung machen wir weniger. Es gibt eine Research IT, die sich aus Spezialisten wie Chemikern, Biotechnologen, Physikern und Informatikern zusammensetzt und mit beiden Beinen in der Forschung steckt und die Entwicklung von Medikamenten unterstützt. Diese Mitarbeiter entwickeln auch die Software, die für diese Aufgaben notwendig ist. Corporate IT ist derweil zuständig für die Infrastrukturlieferung. Sie muss dafür sorgen, dass der tägliche Betrieb gewährleistet ist und ohne Störungen abläuft.
Welche Systeme haben Sie im Einsatz?
Oracle, Microsoft für die Office-Produkte und IBM-Datenbanken. Sie finden bei uns nichts Aussergewöhnliches, aber von dem Nicht-Aussergewöhnlichen die ganze Palette.
Hat Actelion weltweit eine einheitliche IT-Strategie?
Ja. Es hat eine Weile gedauert, bis sie entwickelt war. Die Entwicklungs- und Findungsphase ist nun beendet, das Executive-Committee von Actelion hat die IT-Strategie abgesegnet. Nun geht es darum, die Strategie umzusetzen. Als CIO nehme ich hier eine Klammerfunktion zwischen der Corporate IT und der funktionalen IT der Geschäftsbereiche wahr.
Wie sieht die neue Strategie aus?
Unsere IT-Strategie ist in verschiedene Phasen gegliedert. Die Phase 0 wurde bereits im vergangenen Jahr abgeschlossen und beinhaltete die Zentralisierung. Die fragmentierten IT-Einheiten mussten in einer zentralen Corporate IT zusammengefasst werden. Struktur und Basisprozesse mussten erstellt werden. Auch ein zentrales Supplier- und Vendor-Management wurde aufgesetzt. Zudem mussten lokale Verträge globalisiert werden. Actelion ist ein schnell wachsendes Unternehmen. Bisher stand vor allem die Forschung im Vordergrund, um unserer Kernaufgabe – der Erforschung neuer Medikamente – gerecht zu werden. Dabei sind natürlich andere unternehmerische Prozesse zu kurz gekommen. Jetzt geht es darum, bis 2011 eine einheitliche globale IT-Organisation zu schaffen. Dies bedeutet, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren grundlegende Basisarbeit zu leisten ist.
Gibt es weitere wichtige Bestandteile der neuen IT-Strategie?
Ein Teil unserer Kommunikationsstrategie ist die offene Kommunikation mit unseren Lieferanten. Wir haben unsere sechs wichtigsten Lieferanten Oracle, IBM, Cisco, Microsoft, Getronics und Dell an eine IT-Vendor-Konferenz eingeladen und ihnen transparent unsere IT-Strategie vorgestellt. Jeder meiner Bereichsleiter hat sein Department präsentiert. Im Gegenzug mussten die Lieferanten darlegen, wie sie Actelion als Global Account sehen und welchen Weg sie mit uns gehen wollen. Als die Einladungen kamen, hat das zuerst für etwas Aufregung gesorgt, weil zum Beispiel Oracle IBM erklären musste, wie der Global Account für Actelion aussieht.
Wieso haben Sie diese Konferenz gemacht?
Wenn Probleme in unserem Rechenzentrum auftraten, kam es vor, dass wir von einem Vendor zum anderen weitergereicht wurden. Wenn die Lieferanten mit uns Geschäfte machen wollen, müssen sie bereit sein, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Denn am Ende soll für den Kunden etwas Positives herauskommen. Wenn die Hardware vom Lieferanten A kommt, von B gepflegt wird und die Netzkomponente von C stammt, müssen die drei Account-Manager miteinander reden.
Wie viel entwickeln Sie selber?
Wir entwickeln alles selbst. Ich denke, das wird auch als innovativer Mehrwert gesehen. Bei uns gibt es kein Offshoring.
Actelion hat also nichts ausgelagert?
In der Softwareentwicklung verlagern wir nichts nach aussen und machen alles selbst. Das mag auf den ersten Blick etwas antiquiert klingen, hat aber meines Erachtens ganz entscheidende Vorteile. Ich habe 15 Jahre auf der anderen Seite des Schreibtisches gesessen und glaube, das beurteilen zu können. Mir haben dieses Jahr unzählige Personen an der Cebit gesagt, ich solle doch nach Indien kommen. Aber ich sage ihnen ganz ehrlich: Ich habe mit Offshoring in meiner früheren Arbeit mit Kunden genug Erfahrungen gesammelt. Es kommt für mich auf keinen Fall mehr in Frage.
Wo liegen denn die Nachteile eines Offshoring respektive die Vorteile, wenn man alles in-house macht?
Wir haben alles im Haus und dadurch kurze Wege. Die Verständigung ist viel besser. Zudem vermeiden wir die kulturellen Friktionen, die sich aus dem Offshoring ergeben. Die Fluktuation in solchen Offshoring-Zentren ist sehr hoch, was dazu führt, dass man alles wieder und wieder erklären muss. Und ich behaupte ganz einfach, dass Offshoring nie günstiger ist. Viele Dinge sind nur vor Ort zu klären. Daraus ergeben sich hohe Flugkosten, ganz abgesehen von den häufigen Telefonaten. Hinzu kommt auch noch die Zeitverschiebung. Was ich mir eventuell noch gefallen lassen würde, wäre ein Nearshoring. Aber auch damit spart man heutzutage fast kein Geld mehr. Wenn sie einen grossen IT-Service-Provider beauftragen, ihre Helpdeks in Polen oder Budapest zu managen, dann ist es mittlerweile auch hier schwierig, Kosteneinsparungen zu erzielen.
Sie beziehen aber Services von aussen?
Wir kaufen selbstverständlich Services zu, wie zum Beispiel das Conferencing von Swisscom/Verizon. Wobei wir hier klar unterscheiden zwischen Outtasking und Value-Add-Services.
Wir betreiben Outtasking da, wo es sich für uns nicht rechnet und wo wir es nicht bewerkstelligen können. Dazu gehört zum Beispiel unser Vertrag mit Getronics. Der IT-Dienstleister betreibt für uns ein Rechenzentrum- und Netzwerk-Monitoring und dies 24/7 und während 365 Tagen im Jahr. Value-Add-Services, wie wir sie nun zum Beispiel im Bereich Conferencing von Swisscom/Verizon beziehen, sind eine interessante Sache, die wir ausbauen wollen.
Wieso haben Sie sich für Swisscom/Verizon entschieden?
Der Hauptgrund war die globale Lieferfähigkeit. Nach unserer Ausschreibung hatten wir mehrere Anbieter zur Auswahl. Deshalb haben wir in 16 Ländern und mit über 60 Teilnehmern Test-Conference-Calls gemacht. Aufgrund der Bild- und Tonqualität und der Benutzerfreundlichkeit fiel die Wahl schliesslich auf Swisscom. Des weiteren bietet die Swisscom/Verizon-Lösung auch aus unternehmerischer Sicht einen entscheidenden Vorteil: Wir wechseln damit von einem Fixkostenmodell zu einem Pay-per-Use-Modell. Wir bezahlen nur noch, was wir auch wirklich brauchen, was eine erhebliche Kostenreduktion mit sich bringt.
Was beinhaltet die IT-Strategie sonst noch?
Wir setzen momentan eine IT-Governance auf. Uns hat bislang ein Rahmenwerk gefehlt, das regelt, wie wir entscheiden, wie wir nach aussen kommunizieren, wie wir auf den Markt gehen oder wie wir mit unseren Lieferanten umgehen.
Zudem haben wir neu ein IT-Executive-Board unter der Leitung des CIO etabliert. In diesem Ausschuss sitzen alle funktionalen IT-Leiter sowie die Leiter von Coporate IT und von Programm-Management. Das IT-Executive-Board ist die höchste ausführende IT-Instanz, die nun nach unten vernetzt werden muss.
Welche Projekte stehen aktuell an?
Wir haben Mitte März mit dem Rollout des Managed Service Client «Nice» (New Integrated Client Environment) begonnen.
Was bedeutet der Managed Service Client konkret?
Wir implementieren eine standardisierte Soft- und Hardware auf globaler Ebene und haben dazu einen globalen Vertrag mit Dell abgeschlossen. Wir bestellen unsere Hardware nur noch über ein globales E-Portal – bis hinunter in die Länderniederlassungen. Der User kann sich seine Applikationen künftig über unseren Webshop zusammenstellen – wie bei Amazon. Die Anwendungen werden dann automatisiert installiert. Wenn das Projekt Ende 2010 abgeschlossen sein wird, werden wir unser Desktop-Umfeld umfassend vereinheitlicht haben.
Wer unterstützt Sie dabei?
Getronics ist bei diesem Projekt unser globaler Infrastruktur-Partner. Allerdings haben wir ein ausgeklügeltes Konzept, damit wir uns das Know-how nicht ganz aus der Hand nehmen lassen. Kernprozesse, -strukturen und -management sowie die Steuerung bleiben in der Zuständigkeit von Actelion. Die Unterstützung und das Know-how, das uns für die globale Einführung fehlt, haben wir zugekauft.
Wurden die Leute, die den Managed Service Client benutzen, in die Entwicklung mit einbezogen?
Die sogenannten IT-Demand-Manager sassen im Führungskomitee und waren unsere härtesten Kritiker als Vertreter und Anwälte der User. Sie haben festgelegt, was unbedingt funktionieren muss.
Wie lange hat das Projekt gedauert?
Von der Idee bis zum Rollout hat es 15 Monate gedauert.
Wieso haben Sie Dell als Hardware-Partner gewählt?
Wir haben eine Ausschreibung gemacht. Uns war wichtig, dass uns die Hersteller ernst nehmen. Wir erwarteten einen pragmatischen Ansatz. Dell hat uns im Gegensatz zu anderen potentiellen Lieferanten als Auftraggeber recht ernst genommen. Das sprach für Dell. Zudem waren uns die globale Lieferbereitschaft und die damit verbundene Logistik-Kette wichtig. Wir bestellen global, liefern aber lokal.
Wie sieht das IT-Budget 2010 aus?
Zahlen möchte ich nicht nennen. Aber es ist viel höher als 2009, was angesichts des schnellen Wachstums von Actelion notwendig ist.
Wie schwierig war es, dieses Budget zu bekommen?
Ich musste dafür kämpfen. Die Geschäftsleitung hat aber verstanden, was wir damit erreichen wollen, und unterstützt uns dabei. Trotzdem führen wir parallel dazu einen IT-Kosten-Benchmark durch, damit wir sehen, wo wir stehen.