Swiss Made: Ein Blick hinter die Kulissen von Zattoo
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/14
So innovativ die Schweiz auch ist, den Ruf einer Brutstätte für bahnbrechende Internetdienste hat die Eidgenossenschaft nicht. Populäre Web-2.0-Services und Tools auf IP-Basis wurden bislang vorwiegend in den USA oder in Skandinavien entwickelt, nicht aber in Bümpliz oder Schwamendingen – bis auf eine Ausnahme: Zattoo aus Zürich-Oerlikon. Zattoo hat das Potential, zum Inbegriff für Internetfernsehen zu werden und die Welt zu erobern. Nicht umsonst wurde Zattoo mit dem Innovationspreis im Rahmen des diesjährigen Eco-Awards des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft e.V. ausgezeichnet – quasi der Oscar des Internets, der 2006 an Google ging.
Bereits 50 Mitarbeiter beschäftigt Zattoo. Die eine Hälfte davon ist in der Schweiz tätig, die andere in den USA. Inzwischen sei man eine richtige Firma, meint Craig Neable, Product Manager bei Zattoo, auch wenn man sich in der 2005 gegründeten und ausschliesslich via Werbung finanzierten Firma noch immer ein wenig wie in einem Projekt fühlt. «Irgendwann kommt der Punkt, an dem ein Projekt zu einem Unternehmen werden muss. Schliesslich sind wir mittlerweile in acht europäischen Ländern (Schweiz, Deutschland, Frankreich, UK, Spanien, Norwegen, Dänemark und Belgien) tätig.» Auch die Zuschauerzahlen werden inzwischen in Dimensionen von
100’000 gemessen, und die gesamte Nutzerbasis hat die Marke von 3 Millionen überschritten. InfoWeek wollte wissen, warum Zattoo im Gegensatz zu anderen Internet-Fernsehanbietern funktioniert und weshalb der Dienst trotz Erfolg im Gegensatz beispielsweise zu YouTube nicht mit den Internet-Service-Providern (ISP) auf Kriegsfuss steht.
«Die Technik hinter Zattoo ist im Prinzip relativ simpel», erklärt Ingenieur Craig Neable, der vor seiner Tätigkeit für Zattoo bei Microsoft beschäftigt war. Das Signal der TV-Stationen kommt digital bei Zattoo herein – über DVB-T beziehungsweise Satellit und Settop-Box. «Nicht viel anders als bei Ihnen zu Hause also», so Neable. Dieses Signal wird in Echtzeit in einen MPEG-Stream transkodiert und verschlüsselt. Die Verschlüsselung ist nötig, um die Content-Rechte der verschiedenen Fernsehanstalten zu wahren. Weiter wird versucht, die Bitrate des Streams unter 500 kbps zu halten. Derzeit schafft man so die Hälfte der Auflösung von PAL. Danach wird das Signal ins Netzwerk eingespeist, wobei Zattoo für die Verteilung auf die Peer-to-Peer-Technologie (P2P) setzt.
Und in dieser P2P-Technologie steckt denn auch das Geheimnis des Erfolgs von Zattoo, auch wenn sich das Zattoo-Netz laut Neable nicht von anderen P2P-Netzen unterscheidet. Grundsätzlich zumindest, denn: «Natürlich kann ich nicht zu stark ins Detail gehen, doch einer der wesentlichen Unterschiede liegt im Mechanismus, wie wir – leistungsfähige – Peers finden und mit diesen kommunizieren. Dieser Job wird von einem zentralisierten Service gemacht, welcher bei uns – natürlich redundant – betrieben wird. Doch das P2P-Netz ist nicht die grösste Herausforderung. Die grösste Herausforderung heisst Real Time. Wie kann man die Signale des P2P-Netzes in Echtzeit synchronisieren und verteilen? Damit haben wir uns intensiv beschäftigt, und in diesem Wissen, das mehrheitlich aus Research-Projekten unseres Co-Gründers Sugih Jamin von der Universität Michigan stammt, liegt auch der grösste Teil unseres geistigen Eigentums.»
Doch die Nutzung der P2P-Technologie hat noch weitere Vorteile, vor allem bei den Kosten und bei der Akzeptanz seitens der Provider. Dank P2P kann Zattoo seine Infrastrukturkosten gering halten. «Eigentlich bräuchten wir nicht mehr als zwei Server für Zattoo.
Einen, um die TV-Signale umzurechnen und einzuspeisen, einen zweiten, um sie zu verteilen», erklärt Neable. Im Gegensatz zur Unicast- beziehungsweise Multicast-Technologie, bei der das Signal für die Clients von zentralen Servern gestreamt wird, reicht es bei Zattoo im Prinzip, jeweils ein Signal ins Netz eines Internet-Service-Providers einzuspeisen, welches dann von den Clients untereinander verteilt wird. «Aus diesem Grund haben wir auch keine Probleme mit ISPs, welche sich über den Traffic beschweren, der durch Zattoo verursacht wird. Das Signal wird unter den Clients beispielsweise im Swisscom-Netz verteilt. Unser Dienst belastet die Verbindungen zwischen den einzelnen ISPs deshalb kaum.» Ein weiterer Vorteil ist zudem die Dynamik des Netzes.
In Tat und Wahrheit besitzt Zattoo natürlich mehr als zwei Server. Neable: «Unsere eigenen Server sind in erster Linie dafür da, Engpässe zu beseitigen. Sie stellen, falls erforderlich, zusätzliche Peers bereit. Dies ist vor allem darum nötig, weil die Client-Leitungen je nach Land aufgrund der Asymmetrie zu wenig Upload-Leistung bieten für den 500-kbps-Stream. In diesen Fällen müssen wir aushelfen, damit das P2P-Netz funktioniert.» In der Schweiz sei dies aufgrund des guten Netzausbaus jedoch kaum mehr nötig.
Nicht ganz unproblematisch ist die Nutzung von P2P vor allem in einem Punkt. «Stellen Sie sich vor, wir gehen zu einem Broadcaster, weil wir Content-Rechte wollen. Zum einen machen wir Internet-Fernsehen, zum anderen nutzen wir P2P. Dadurch sind wir natürlich bei einem Fernsehsender erst einmal ein rotes Tuch. Meist ist viel Aufklärungsarbeit nötig.» Aus diesem Grund sei es Zattoo auch ein dringendes Bedürfnis, die Content-Rechte der einzelnen Broadcaster zu schützen, so dass beispielsweise kein ZDF in England empfangen werden kann. Man sei sich bewusst, dass die technischen Schutzmassnahmen umgangen werden können, doch zum einen habe man auch Mittel und gehe beispielsweise proaktiv gegen Proxies vor, und zum anderen werde von den Usern kaum versucht, vorzutäuschen, aus einem anderen Land zu stammen, um so andere Sender zu empfangen.
Doch die Tatsache, dass man die Rechte der Sender sehr ernst nehme und dass man die Gegenebenheiten in jedem Land, in dem man aktiv ist, berücksichtigen wolle, sei nicht einfach. «Die Multilokalität ist eine grosse Herausforderung. Was hierzulande gilt, muss nicht zwingend auch in Frankreich gelten.» Dies sei mit ein Grund, warum das Wachstum Zeit brauche. «Doch wir werden auch in Zukunft in weiteren Ländern aktiv werden», so der Zattoo-Mann auf die Frage nach der Zukunft. Ausserdem wolle man weiter an der Qualität arbeiten. Dazu sei jedoch mehr Bandbreite nötig, genauso wie mehr CPU-Power seitens der Client-Rechner erforderlich ist, um die Videosignale auch in höherer Auflösung flüssig dekodieren zu können.
Auf die Frage nach den grössten Problemen, mit denen Zattoo zu kämpfen hat, nennt Neable denn auch die verfügbare Bandbreite beziehungsweise die letzte Meile. «Dank der P2P-Technik brauchen wir zwar nicht so viel Bandbreite auf der letzten Meile, doch je besser die Qualität sein soll, desto breitbandiger müssen die Leitungen zu den Clients sein.»
Die zweite grosse Schwierigkeit sei das Testen. «Es ist so gut wie unmöglich, eine realistische Testumgebung zu simulieren. Wir können fast nur im Livebetrieb herausfinden, was funktioniert.» Die Tatsache, dass der Service relativ langsam und stetig gewachsen sei, habe bei der Entwicklung jedoch geholfen. «Doch Zattoo ist auf eine maximale Userzahl ausgelegt, und diese maximale Userzahl haben wir einige Male schon beinahe erreicht.» Als nächsten Prüfstein nennt Neable den 100-Meter-Final bei Olympia. Dieser finde schliesslich mitten in der Arbeitszeit statt und dauere nur sehr kurz. Somit sei er prädestiniert für Zattoo.
Sport sei ohnehin derjenige Programmbereich, der die User am meisten interessiert. «Auch News werden häufig geschaut, auch wenn hier die Nutzerzahlen eher unter den Erwartungen zurückblieben.» Daneben gäbe es aber auch viele Nutzer, die das reguläre Programm via Zattoo schauen würden. Im Prinzip unterscheide man vier verschiedene Nutzergruppen. Erstens die Multitasking-User, welche Zattoo nebst anderen Programmen im Hintergrund laufen lassen. Zweitens die Live-Zuschauer, welche für Sportsendungen reinzappen. Dann Leute, welche Zattoo als Zweitfernseher brauchen, wenn der Erstfernseher etwa durch die Kinder besetzt ist. «Dabei muss hinzugefügt werden, dass meist die Eltern auf Zattoo ausweichen, während die Kinder den herkömmlichen TV verwenden dürfen», weiss Neable zu erzählen. Und viertens gibt es noch die Nutzer, welche wegen Zattoo komplett auf den TV verzichten. Dass diese jetzt auch Bilag-Gebühren bezahlen müssen (InfoWeek berichtete), wertet Neabe nicht negativ. «Im Gegenteil, dies zeigt nur, dass wir ernst genommen werden.»
Und zum Abschluss erzählt Neable eine weitere Geschichte: «Ich habe ja erwähnt, dass die grösste Schwierigkeit beziehungsweise unser grösster Vorsprung im Bereitstellen von Live-Content liegt. Den Beweis, wie weit wir hier bereits sind, haben wir während der EM in Form mehrerer Kundenfeedbacks erhalten. Diese haben über Zattoo ihr Bild teilweise schneller erhalten als über den herkömmlichen Digital-TV-Kanal. Je nach Settop-Box hängen wir also sogar das herkömmliche Fernsehen ab. Darauf sind wir schon etwas stolz.»