CIO-Interview: 'Wir sind heute ein Pionier der Digitalisierung'
Quelle: Ringier

CIO-Interview: "Wir sind heute ein Pionier der Digitalisierung"

Xiaoqun Clever führt als Chief Technology and Data Officer den Medienkonzern Ringier in eine Zukunft, die auf Technologie und konzernweite Datenanalyse setzt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/11

     

"Swiss IT Magazine": Ringier wurde als klassischer Verlag gegründet, heute bekannt für die "Blick"-Gruppe, "Schweizer Illustrierte" oder "Radio Energy". Welche Rolle spielt IT für Sie?
Xiaoqun Clever: Ringier ist heute als Pionier der digitalen Transformation bekannt. Bereits 2007 haben wir mit der Diversifizierung begonnen und sind heute an etwa 90 Unternehmen im Bereich Publishing, E-Commerce und Marketplaces beteiligt. Wenn wir über IT sprechen, dann sprechen wir heute über die Hälfte unseres Produktes. Im Digitial Publishing ist Content die eine Hälfte. Die andere Hälfte, die Umsetzung, ist Technologie. IT umfasst heute viel mehr als Hard- und Software für Arbeitsplätze, Telefonie und Internet. Dies spiegelt sich auch in meiner Funktionsbezeichnung wieder: Technologie und Daten, nicht mehr nur IT.


Was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe an und wie nutzen Sie IT dafür?
Die wichtigste Aufgabe ist es für uns, ein Enabler für den Ausbau der bestehenden Geschäftsfelder zu sein und das Unternehmen auf mögliche zukünftige Felder vorzubereiten. Wir unterstützen damit die Gruppenstrategie, die weitere Transformation des Konzerns, indem wir ein Ringier-Ökosystem aufbauen, das die gemeinsame Nutzung von Inhalten, Daten und Applikationen ermöglicht. Der Bereich Technology und Data unterstützt so hochwertige Inhalte, Produkte und Services mit einer besseren User Experience für unsere Kunden. Customer Insights spielen dafür eine entscheidende Rolle.
Wie ist Ihr Bereich geordnet und wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Er ist im Group Executive Board, unserer obersten Management-Ebene, verankert. Das zeigt die strategische Bedeutung des Themas für das Unternehmen. In meinem Bereich sind die gruppenübergreifenden Daten-Themen, die Corporate IT, Innovation & Platforms und die IT Security verortet, insgesamt rund 80 Mitarbeiter.

Wie ist Ringier technisch aufgestellt, wer sind Ihre wichtigsten Partner?
Wir haben eine bimodale IT, also eine Koexistenz verschiedener Entwicklungsgeschwindigkeiten. Im letzten Jahr haben wir unsere Cloud-­Strategie beschlossen: Den schrittweisen Umzug in die Cloud, aber verteilt auf verschiedene Anbieter. Unsere Datenplattform läuft auf AWS, wir haben aber auch zwei interne Rechenzentren. Für die internen Kernprozesse setzen wir auf etablierte Anbieter, wie SAP und Salesforce, in den Redaktionen wird mit verschiedenen CMS, aber auch Adobe gearbeitet. Intern nutzen wir G Suite und Office 365. Im Bereich der Infrastrukur unterstützt uns Swisscom.
Ringier hat, wie andere Medienhäuser, viele Arbeitsplätze mit Macs ausgestattet, die in anderen Branchen als Konsumentenprodukte gelten. Warum?
Das ist inzwischen fast eine religiöse Debatte mit vielen Aspekten wie Kosten und Sicherheit. Im Haus haben wir 65 Prozent Mac und 35 Prozent Windows. Ich bin selbst ein Mac-Nutzer und Apple-­Fan und sehe viele Mitarbeiter, denen das auch gefällt. Daran muss man heute auch denken, interne User Experience ist wichtig. Für Anwendungen, die nur auf Windows laufen, verwenden wir auf manchen Geräten hybride Lösungen, also Macs mit virtuellen Maschinen für Windows. Insgesamt fahren wir in diesem Bereich eine Mischstrategie, auch um die Risiken zu streuen.


Eine andere ungewöhnliche Entscheidung für einen Konzern Ihrer Grösse ist es, die Google-Suite statt Microsoft Office zu benutzen. Wie kam es dazu?
Ringier gehörte zu den ersten Enterprise-­Kunden von Google in der Schweiz. Wir haben damals Angebote verglichen, natürlich auch von Microsoft. Uns hat der komplette Cloud-Ansatz, damit der mögliche Zugriff von überall, überzeugt, aber auch das wesentlich bessere Preis-Leistungs-Verhältnis. Zudem ist Google unseren Ansprüchen an Datenschutz und Speicherung in Europa gefolgt. Wir haben aber auch Microsoft Office im Haus, als Dienstleister für die Gruppe stellen wir Lösungen nach den speziellen Anforderungen unserer internen Kunden bereit.
Sie analysieren journalistische Texte auf Inhalte und Tendenzen und nutzen dafür die selbst entwickelte Datenplattform "Sherlock". Warum dieser Weg?
Wir haben verschiedene Lösungen zur Textanalyse verglichen, darunter die Google Cloud Natural Language API und Watson Natural Language Understanding von IBM. Es zeigte sich, dass diese am besten im Englischen und für stark strukturierte Texte funktionieren, wie man sie zum Beispiel im Finanzbereich findet. Journalistische Texte sind aber kreativer und freier im Format, nicht selten in Umgangssprache, dazu bei uns in Deutsch mit eingestreuten Schweizer Besonderheiten. Es zeigte sich, dass unsere Lösung eine viel präzisere Erkennung von Personen, Orten und Ereignissen in den Texten ermöglicht.


Ringier ist in 19 Ländern mit einer Vielzahl von Medien tätig. Wie ist es möglich, übergreifend Daten aus dem Nutzerverhalten zusammenzuführen?
Grundsätzlich gibt es verschiedene Ansätze, einer wäre eine zentralisierte Zusammenführung. Das ist aber aus technischen, organisatorischen und zeitlichen Gründen unrealistisch. Daher verbinden wir die Daten-Silos mit einer übergeifenden Schicht. Diese Plattform umfasst inzwischen 10,88 Milliarden Datenpunkte, pro Minute kommen 35 Millionen Events dazu. Besonders stolz sind wir darauf, dass sie in Echtzeit durchsuchbar sind, während ähnliche Lösungen mit 24 oder sogar 48 Stunden alten Daten arbeiten.
Was sind die Kriterien, nach denen Ringier seine IT-Entscheidungen fällt?
Neben Preis-Leistungs-Verhältnis, Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit interessiert uns, welche Priorität uns ein Anbieter gibt, vor allem für unsere "Systems of Differentiation". Viele grosse Hersteller bieten uns End-to-End-Lösungen an, die aber technologisch nicht selten zwei bis drei Jahre hinterher sind. Daher übernehmen wir die Komposition lieber selbst, was uns mehr Tempo erlaubt und die Möglichkeit, einzelne Teile selbst zu sourcen oder bei Bedarf schnell auszutauschen. Bei Software haben wir sehr gute Erfahrungen mit Open-Source-Lösungen gemacht, die nicht nur auf dem neuesten Stand sind, die grossen Entwickler-Communities finden Fehler auch sehr schnell. Für unsere "Systems of Records", etwa unser ERP-System, ist uns wichtig, dass sie verlässlich und genau sind, die benötigten Prozesse abdecken und manuelle Arbeitsprozesse möglichst gering halten.

Es fällt auf, dass Sie sehr viele verschiedene Anbieter und Lösungen miteinander kombinieren, was auch seine Risiken hat. Warum dieser Ansatz?
Generell ist bei Unternehmen die IT-Infrastruktur nicht mehr so überschaubar wie früher. Als Medienmarke können Sie beispielsweise allein mehr als 20 Social-Media-Plattformen bespielen, die alle jeweils eigene Technologien nutzen, immer mit eigenem Implementierungs- und Wartungsaufwand. End-to-End-Lösungen sind oft auch nur eine teure Strategie von IT-Verantwortlichen, sich abzusichern, indem sie bei Pannen auf den Hersteller verweisen. Eine gezielte Einzel­auswahl, wie wir sie vornehmen, setzt aber Know-how im Unternehmen voraus. Hier entscheidet sich für mich, wie gut eine Technologie-Abteilung ist.


Vom klassischen Verlag zum Medienhaus mit digitalem Schwerpunkt - wie unterstützen Sie den Kulturwandel?
Natürlich gibt es viele Workshops und Coachings für Mitarbeiter, etwa zu agiler Führung und Entwicklung und den Bedürfnissen der Generation Y. Vieles ist aber Learning by Doing, daher sind uns Kollegen, die digitales Arbeiten schon kennen und weitergeben können, wichtig. Ich gehe selbst in die Teams und erkläre unsere Strategie in Townhall Meetings.
Wo steht die Schweiz aus Ihrer Sicht in Bezug auf Informationstechnologien?
Als ich in China für SAP tätig war, habe ich einen Vorsprung vor Deutschland beim Adaptieren von Technologien und Geschäftsmodellen von zwei bis drei Jahren empfunden. In der Schweiz sind es nochmals ein bis zwei Jahre, was wohl daran liegt, dass sie sich in einer relativ guten wirtschaftlichen Lage befindet. Doch man merkt, dass sich Europa der Dringlichkeit bewusster wird. Ein gutes Beispiel, wie sich die Schweiz transformiert, ist die von Ringier-CEO Marc Walder ins Leben gerufene Initiative "Digital Switzerland", deren Ziel es ist, alle wichtigen Akteure zusammenzubringen, um die digitale Revolution zu meistern und die Schweiz zu einem führenden Standort für die digitale Wirtschaft zu entwickeln. Am 21. November findet dazu Schweizweit ein Digitaltag statt, ein in Europa einzigartiges Projekt.


IT gilt als sehr männlich geprägter Bereich. Brauchen Frauen mehr Ermutigung dazu?
In meiner ersten Informatikvorlesung waren wir vier Frauen unter 400 Männern. Nach meiner Erfahrung machen das Frauen sehr gut, bekommen aber oft den Eindruck vermittelt, diese Berufe wären nichts für sie. Man sollte Mädchen früh an diese Themen heranführen. Sie müssen lernen, dass ein Ingenieurberuf nicht heisst, dass man mit dicker Brille im Keller sitzt und allein vor sich hinprogrammiert. Und Beruf und Familie lassen sich sehr gut verbinden, ich bin selbst Mutter von zwei Söhnen, 15 und 17 Jahre alt.

Zum Unternehmen

Ringier ist ein familiengeführter Medienkonzern mit Hauptsitz in Zofingen, der in 19 Ländern tätig ist, darunter auch vier afrikanischen. Er gibt mehr als 150 Zeitungen und Magazine heraus, betreibt rund 70 Portale, eigene Druckereien und Sender. Daneben sind Live-Veranstaltungen im Bereich Musik und Sport ein wichtiger Geschäftsbereich. Das Unternehmen, 1833 gegründet, hat inzwischen 6500 Mitarbeiter. 62 Prozent der Umsätze von 1,05 Milliarden Franken jährlich werden bereits digital erwirtschaftet. (aa)

Kommentare
In der Öffentlichkeit wird es so verkauft, als würde das Ganze mit der Digitalisierung problemlos und prima laufen. Aus eigener Erfahrung bei Ringier weiß ich, dass die Systeme nicht ineinander greifen, die IT total hinterher hängt und der eine nicht weiß, was der andere tut. Hinzu kommen Investitionen in Programme in Millionenhöhe, deren Daten sich noch nicht einmal in absehbarer Zeit für das Unternehmen nutzen lassen. Schade, dass darunter am Ende wieder die "kleinen" Mitarbeiter leiden müssen und das Management weiterhin belohnt wird.
Donnerstag, 9. November 2017, Markus Hellwig



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