Seit 2007, als das Schweizer Start-up Doodle die gleichnamige Plattform lancierte, lassen sich auf
Doodle.com Termine mit Freunden, Bekannten und beruflichen Kontakten koordinieren. Spätestens 2010 entwuchs die rein werbefinanzierte Plattform schliesslich dem Start-up-Status, indem die TX Group (damals noch Tamedia) einen Teil der Firma kaufte, um 2014 schliesslich die Mehrheit von Doodle zu übernehmen. Doodle passt mit seinem Werbeanzeigengeschäft und als digitale Plattform perfekt ins Portfolio des Medienhauses TX Group. Bis heute zählt Doodle Millionen von User auf der ganzen Welt und erfreut sich grundsätzlich hoher Beliebtheit, nicht zuletzt dank dem unkomplizierten Zugang – beispielsweise konnten User ihre Terminvorschläge in den Umfragen völlig anonym eintragen.
Im März 2022 kam es dann zu einem Sturm der Entrüstung bei der Nutzerschaft – Doodle lancierte stolz Version 5.0 der Plattform und der Mobile App, den Free-Usern missfiel das Update jedoch gehörig. Sowohl die Kommentarspalten unter Online-Meldungen zu Version 5.0 wie auch die Bewertungen unter den App Downloads sind heute mit harscher Kritik gespickt. Ärger gibt es in vielen Bereichen: Der Zwang zur Angabe der E-Mail-Adresse, das Fehlen von Freitextumfragen, die Banalisierung verschiedener Funktionen, invasive Werbung und einige weitere Punkte lassen die Nutzer derzeit schäumen. Es hagelt 1-Stern-Bewertungen für die App. Ein geglückter Launch einer Major-Version sieht leider anders aus.
Zugutehalten muss man Doodle aber sicherlich eines: Man versteckt sich nicht und steht Red und Antwort zum missglückten Update. «Swiss IT Magazine» konnte mit Doodle-CEO Renato Profico sprechen und nachfragen, was denn da genau passiert ist und ob die Nutzer auf Besserung hoffen dürfen.
Ein Monolith
«Man muss erst verstehen, wo wir mit
Doodle herkommen», so Profico zum Einstieg und erklärt die anfangs beschriebene Timeline der Gründungs- und Inhabergeschichte. Er geht dabei besonders auf einen Wechsel ein, der 2016 stattgefunden hat – an diesem Punkt war Doodle als starker Schweizer Digital-Brand bereits weltweit bekannt. «Damals hat man entschieden, in ein professionelles Terminfindungs-Tool zu investieren», so der CEO und spricht damit die kostenpflichtigen Pro-, Team- und Enterprise-Modelle von Doodle an. So traf TX die strategische Entscheidung, Doodle in einen SaaS-Bereich zu überführen, «jedoch immer ganz klar mit dem Ziel, die für uns sehr wichtigen kostenlosen Nutzer nicht zu verlieren», wie er betont. Mit dem Starter-Abo bot man ab 2017 zuerst eine Nutzung ohne Werbung an, im weiteren Verlauf wurden mehr Bezahlmodelle (Pro und Team) mit verschiedenen Funktionalitäten für den professionellen Einsatz ergänzt.
Warum es diese Vorgeschichte braucht? «Weil Doodle 2007 mit einer monolithischen Bauweise startete und bis vor Kurzem technologisch nicht mehr State of the Art war. Besonders im agilen SaaS-Bereich», wie Profico erklärt. «Um Doodle weiterentwickeln zu können, brauchten wir eine neue Service-orientierte Architektur.» Für TX führte also nichts an einem kompletten Neuaufbau der gesamten Software vorbei. Und genau dieses von Grund auf neu gebaute Doodle sorgt in diesen Wochen für rote Köpfe.
Die Monster-Migration
Millionen von Nutzern auf eine neue Version zu heben ist ein Mammutprojekt, keine Frage. Geschehen ist das am 28. Februar 2022. Wie Renato Profico erklärt, wollte man zu diesem Datum live gehen und hat entsprechende Prioritäten gesetzt. Das betrifft beispielsweise die reinen Textumfragen, die es nicht in Version 5.0 geschafft haben, wofür sich
Doodle unter anderem die Wut vieler User einhandelte. «Die Textumfragen wurden aber nur von 6 Prozent unserer User genutzt – wir standen damit vor der Wahl, dass uns das entweder verlangsamt oder wir mit den Kernfunktionen des Terminfindungs-Tools ohne die Textumfragen live gehen», so Profico. Damit gehen schon einmal zwei Probleme einher: Zum ersten sind 6 Prozent von mehreren Millionen eben doch noch recht viele Nutzer. Und zum zweiten hätte man sich bei der Kommunikation der Änderungen, obschon man mit Bannern auf der Plattform darauf aufmerksam machte, mehr Mühe geben sollen, wie der CEO einräumt. Letzter Fehler rührt jedoch auch daher, dass viele Nutzer die Plattform wie bereits erwähnt anonym nutzten, was die proaktive Information entsprechend erschwerte.
Weiteren Druck auf die Entwicklung brachte die Mobile App mit sich. Profico: «Wir standen auch hier vor der Wahl, das Update weiter zu verzögern oder – wie wir es nun gemacht haben – eine kleine Version der App zu lancieren, mit der man seine Umfragen einsehen und teilen kann.» Zu Irritation hat hier unter anderem geführt, dass man die User für alle weiteren Funktionen direkt in die Browser-Version weitergeleitet, dies aber ebenfalls nicht deutlich kommuniziert hatte. Laut dem CEO wurde das jedoch bereits geändert und es wird weiter an der Entwicklung der fehlenden Features für die App gearbeitet.
Operation am offenen Herzen
«Gerade bei den Rückmeldungen zum Fehlen der Textumfragen waren wir tatsächlich überrascht. Wir prüfen derzeit, diese wieder zurückzubringen, weil das offensichtlich ein grosses Bedürfnis der User ist», so Renato Profico.
Doodle evaluiert derzeit also laufend, welche Features zwingend wieder ihren Weg in die Lösung finden müssen und welche tatsächlich der Vergangenheit angehören dürfen.
Bereits entschieden ist die Rückkehr einiger für die User wichtigen Features, die mit Version 5.0 verloren gingen – namentlich die Monatsübersicht und das Exportieren von Teilnehmerlisten, die schon zeitnah wieder verfügbar sein sollen. Auch eine deutschsprachige Version der App ist in der Pipeline.
«Wir werden nun laufend weiter optimieren und die App verbessern», wie Profico verspricht. Die App betreffend räumt der CEO ausserdem offen ein, dass es sich auch hier um eine Sache der Priorisierung handelt, denn Doodle wird gerade einmal zu etwa 10 Prozent in der App genutzt. Den grössten Teil der Nutzung machen mit circa 50 Prozent Smartphone-Browser aus, der Rest entfällt auf Desktop-Browser.
Auch macht Doodle keinen Hehl daraus, dass die Abo-Version wichtig ist und daher viel Aufmerksamkeit bekommt. Schliesslich nutzen laut Doodle rund 70 Prozent der Nutzer das Terminfindung-Tool für den beruflichen Einsatz. Die Bezahlversionen machen denn auch einen wichtigen Teil des Umsatzes aus: Innert vier Jahren generierte die Pro-Version den gleichen Umsatz wie die Free-Version in ihrer ganzen 14 Jahre alten Existenz. Und allein 2021 legte man mit den Abo-Nutzern nochmal um 55 Prozent zu.
Damals wie heute ist Doodle vor allem für eines bekannt: unkomplizierte Terminfindung. Daran sollen auch das überarbeitete Design und die neue Codebasis nichts ändern. (Quelle: Doodle)
Kalkulierte Risiken
Auf die Frage, warum man denn sozusagen eine unfertige Beta veröffentlicht hat, statt sich nochmal ein halbes Jahr Zeit zu nehmen, antwortet Profico: «Das ist eben die Entwicklung im SaaS-Bereich. Die Entscheidungen wurden auf der Basis von Daten und Feedbacks getroffen. Nach dem Launch bekommt man dann weitere Rückmeldungen und reagiert entsprechend. Ein halbes Jahr ist extrem lange, besonders im SaaS-Bereich. Daher haben wir lieber schnell released, aber klar mit dem Hintergedanken, auch schnell nachzubessern.» Weiter hat man, wie er ausführt, die neue Version bereits seit Juli 2021 in einer Beta-Phase mit den Premium-Nutzern getestet, bevor sie nun für alle Nutzer live ging.
Während dieses Konzept – also der Launch eines Produkts nur mit seinen Kernfeatures – bei neuen Produkten Sinn ergibt, stellt sich schon die Frage, ob das bei einem laufenden, hoch erfolgreichen Produkt in dieser Form nötig gewesen ist. «Wir haben den Usern natürlich viel zugemutet, weil wir mit der Migration vieles gleichzeitig verändert haben», räumt Profico ein. «Aber wir wollten diese Erneuerung, um schnell auf eine neue technische Basis zu kommen.»
Wie er weiter ausführt, sei man sich zumindest stellenweise durchaus bewusst gewesen, dass die Rückwirkung heftig ausfallen könnte. «Bei anderen Punkten, wie etwa der Textumfrage, wurden wir von den Feedbacks aber ehrlich überrascht.»
Gut Ding will Weile haben
Einen Kritikpunkt – den der angeblich invasiveren Werbung auf der Plattform – lässt Profico derweil nicht gelten. «Man hat das Thema Werbung in der Vergangenheit sehr stark ausgereizt», wie er erklärt und daher seit 2021 bewusst mit der Werbung zurückgeschraubt. So verzichtet man mittlerweile etwa auf Werbeschaltungen in der Nutzeroberfläche selbst und stützt sich auf Ad-Banner um das UI herum. Die User, die mit
Doodle 5.0 nun auf einmal mehr Werbung sehen, seien wohl Nutzer der werbefreien App, die aufgrund der begrenzten Funktionen auf die mobile Version der Website mit Werbung gelangt seien. Der Schlussfolgerung, dass der kleinere Funktionsumfang dem Zweck der Weiterleitung auf die mit Werbung gefüllte Web-Version dient, widerspricht der CEO aber klar – das sei nur der Priorisierung nach Nutzerzahlen der verschiedenen Plattformen geschuldet.
Einen Einbruch der Nutzerzahlen habe man nicht verzeichnet, abgesehen natürlich von den Features, die im Moment nicht Teil der Lösung sind, wie die wiederholt angesprochene Textumfrage. «Ich hoffe natürlich, dass diese User sich umentscheiden und zurückkommen. Wir werden viele Features zurückbringen, bei einigen kann das aber natürlich etwas dauern, da diese überarbeitet werden», so der CEO. «Ich hoffe, dass die User uns diese Zeit geben.»
(win)