KI-Einsatz in Unternehmen: Gesamtkonzept und Unterstützung fehlen

Viele Führungskräfte haben eine ambivalente Haltung gegenüber einem verstärkten KI-Einsatz in ihrem Unternehmen. Sie forcieren ihn deshalb eher zögerlich, auch weil nötige strategische Vorgaben fehlen. Das zeigt eine Online-Befragung von Führungskräften.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/09

     

Was kommt da noch auf uns zu?» Das fragen sich aktuell im Zusammenhang mit der potenziellen Nutzung von KI-Systemen und -Tools im Betriebsalltag nicht nur die Mitarbeiter vieler Unternehmen, sondern auch deren Führungskräfte. Ausgelöst wird diese Verunsicherung unter anderem dadurch, dass aktuell gefühlt die gesamte (Business-)Welt über das Thema Künstliche Intelligenz spricht. Zudem laufen in vielen Unternehmen zumindest schon Pilotprojekte und -versuche zur Nutzung von KI.

Mitarbeiter wissen vom Veränderungspotenzial von KI

Diese Projekte beschränken sich im Gros der Unternehmen zwar noch weitgehend auf die Bereiche Marketing, Vertrieb und Unternehmenskommunikation. Dessen ungeachtet erahnen jedoch schon viele Mitarbeiter, auch aufgrund erster eigener Nutzungsversuche von ChatGPT, Deepl und Copilot, welch enormes Entwicklungs- und Innovationspotenzial noch in der KI-Technik ruht – eine Technologie, die nicht nur die Macht hat, einzelne Arbeitsprozesse zu verändern, sondern auch die Struktur und Geschäftsmodelle von Unternehmen sowie die Zusammenarbeit in ihnen. Und zwar speziell dann, wenn sich KI mit Robotik und Automatisierung zur sogenannten KIRA verbindet.

Diese Ist-Situation war für das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden, der Anlass, sich bei seinem jüngsten Leadership-Trendbarometer mit folgenden Fragen zu befassen:


- Wie stark werden KI-Tools von den Führungskräften in den Unternehmen heute im Arbeitsalltag schon genutzt?
- Wie sehr forcieren sie deren Einsatz in ihrem Bereich?
- Inwieweit erwarten sie, dass sich durch deren Einsatz die Führungskultur in den Betrieben ändert?

An dieser Online-Befragung nahmen 275 Führungskräfte in Unternehmen verschiedener Branchen teil (Deutschland: 173; Schweiz: 54; Österreich: 48). Ihr zentrales Ergebnis war: Die meisten Führungskräfte haben ein ambivalentes Verhältnis zur KI-Nutzung in ihrem Betrieb sowie in ihrem eigenen Arbeitsalltag.

Führungskräfte erachten KI-Einsatz als erfolgsrelevant…

So sind zwar 84,5 Prozent der befragten Führungskräfte überzeugt, dass ein professioneller KI-Einsatz für den Erfolg der Unternehmen in ihrer Branche eine hohe oder gar sehr hohe Bedeutung hat; nur 22,5 Prozent von ihnen nutzen jedoch KI-Tools wie ChatGPT, Deepl und Copilot heute schon nahezu täglich. Dabei fällt auf, dass Letztere meist im Marketingbereich beziehungsweise in der Unternehmenskommunikation angesiedelt sind. Das heisst, beim Gros der Führungskräfte sind solche KI-Tools noch nicht in den Arbeitsalltag integriert, obwohl immerhin 55,6 Prozent angeben, sie würden diese zumindest einmal pro Woche nutzen.

Obwohl der KI-Bahnbrecher ChatGPT bereits vor eineinhalb Jahren zur allgemeinen Nutzung freigeschaltet wurde, nennen die Führungskräfte, die KI-Tools seltener als ein Mal pro Monat oder gar nicht nutzen, als Gründe für diesen eher zögerlichen Einsatz:


- «Keine entsprechende Förderung im Unternehmen» (34,8 Prozent)
- «Ich weiss nicht, wo ich anfangen soll» (24,6 Prozent) und
- «Zeitmangel» (18,4 Prozent).

Insbesondere die hohe Zustimmung zum Punkt «Ich weiss nicht, wo ich anfangen soll» deutet auf eine tendenzielle Überforderung der Führungskräfte hin. Folglich wäre eine diesbezügliche Förderung und Unterstützung seitens der Unternehmen wichtig. Entsprechendes gilt für den Befund, dass fast jede fünfte Führungskraft äussert, sie nutze aus «Zeitmangel» so selten KI-Tools. Dies deutet auf eine falsche Prioritätensetzung bei vielen Führungskräften hin, zumindest wenn zugleich das Gros von ihnen betont, ein professioneller KI-Einsatz habe für den Erfolg ihres Unternehmens eine hohe bis sehr hohe Relevanz.

… forcieren die KI-Nutzung aber eher zögerlich

Mit der eher zögerlichen eigenen KI-Tool-Nutzung der Führungskräfte korrespondiert, dass sich nur 21,1 Prozent von ihnen aktiv für eine stärkere Nutzung von KI-Technik in ihrem Arbeitsumfeld einsetzen. Dies überrascht nicht, da es nur etwa jede vierte Führungskraft (26,1 Prozent) als eine ihrer strategischen Hauptaufgaben begreift, den KI-Einsatz in ihrem Verantwortungsbereich voranzutreiben, und sich dafür stark verantwortlich fühlt. Die Majorität von ihnen fühlt sich dafür nur in gewissen Anwendungsfällen bis überhaupt nicht zuständig. Dies deutet auf ein signifikantes Engagement-Defizit der Führungskräfte im KI-Bereich hin.


Dem widerspricht, dass 43 Prozent der Führungskräfte äussern, das Thema KI spiele bei ihren strategischen Planungen bereits eine wichtige Rolle, und 47,3 Prozent angeben, ihre Unternehmen böten für ihre Mitarbeiter bereits Schulungen an, um die KI-Integration zu unterstützen.

Dem mittleren Management fehlt oft die nötige Orientierung

Die oft inkonsistenten Aussagen der Führungskräfte bei der Befragung zeigen nach Auffassung des IFIDZ, dass sich viele von ihnen dem Thema KI-Einsatz in ihrem Bereich aktuell noch wenig systematisch und eher zögerlich nähern – auch weil in ihren Unternehmen noch kein Konsens darüber existiert, wie mit diesem Zukunftsthema umzugehen ist. Entsprechende strategische Vorgaben fehlen ebenfalls.

Als Gründe für ihr eher geringes Engagement für einen stärkeren KI-Einsatz nennen die Führungskräfte unter anderem Datenschutzbedenken, die in ihrer Organisation bestehen (62,7 Prozent). Zudem befürchten mehr als zwei Drittel von ihnen (72,8 Prozent), dass bei einem übermässigen KI-Einsatz das kritische Denken und die menschliche Urteilsfähigkeit in ihrer Organisation verloren gehen. Als weiteres Problem wird die Integration der KI-Lösungen in die bestehenden Arbeitsabläufe und -strukturen genannt. So äus­serten in den vertiefenden narrativen Interviews, die das IFIDZ mit etwa 15 Prozent der Teilnehmer im Anschluss an die Online-Befragung führte, diese immer wieder die Befürchtung, dass sie bei einem Vorpreschen ihrerseits im KI-Bereich nicht nur Probleme mit ihren Mitarbeitern, sondern auch kooperierenden Bereichen und eventuell gar der Unternehmensleitung bekämen.

Diese Befürchtung ist begründet, da in den meisten Unternehmen deren Kernleistungen heute in bereichsübergreifender Teamarbeit erbracht werden. Deshalb wirken sich Prozessänderungen in einem Bereich oft auf Nachbarbereiche aus. Auch die Unternehmenskultur wird beeinflusst. Deshalb sind neben strategischen Zielvorgaben auch Rahmenbestimmungen seitens der Unternehmensleitung unabdingbar, wenn Unternehmen die Chancen, die sich aus einem KI-Einsatz ergeben, nutzen möchten und wünschen, dass sich ihre Führungskräfte für einen stärkeren KI-Einsatz engagieren.


Ansonsten fehlt den Führungskräften die nötige Orientierung und sie bleiben weitgehend inaktiv beziehungsweise ihr Engagement beschränkt sich auf einen punktuellen KI-Einsatz in ihrem Verantwortungsbereich.

Führungskräfte fühlen sich von der KI latent bedroht

Klare strategische Vorgaben sind auch nötig, weil zumindest ein Teil der Führungskräfte bei einem verstärkten KI-Einsatz mittelfristig einen Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet – insbesondere dann, wenn dieser zu einer verstärkten Automatisierung von Aufgaben und Prozessen führt. Zwar äusserten in der Online-Befragung nur 20,3 Prozent der Führungskräfte eine entsprechende Befürchtung. In den vertiefenden Interviews wiesen sie aber immer wieder darauf hin, dass ein verstärkter KI-Einsatz sich selbstverständlich auch auf die Führungssituation auswirke, und zwar allein schon deshalb, weil bei einer eventuell sinkenden Mitarbeiterzahl auch weniger Führungskräfte benötigt würden. Auffallend war, dass dieses Gefühl der Bedrohung am ausgeprägtesten bei den Führungskräften in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Unterkommunikation ist, in denen KI-Tools bereits überproportional stark genutzt werden; aus­serdem in solchen Stabsabteilungen wie Finanzen und Controlling, in denen eine Vielzahl von Daten zu erfassen und zu verarbeiten ist. Die Führungskräfte in der Produktion und in den produktionsnahen Bereichen hingegen äusserten solche Bedenken nicht. Sie verwiesen eher darauf, dass ihnen ein möglicher KI-Einsatz mittelfristig eventuell sogar helfen könne, das Problem Fachkräftemangel zu lösen.

Bereichsübergreifendes Gesamtkonzept ist nötig

Diese Befunde deuten darauf hin, dass es, wenn es um das Beantworten der Frage geht, welche Unterstützung die Führungskräfte seitens des Unternehmens brauchen, um den KI-Einsatz in ihrem Bereich zu forcieren, einer differenzierten Betrachtung bedarf. Also einer Lösung, die unter anderem berücksichtigt,

- welche Funktion der Bereich in der Organisation hat,
- wozu KI in ihm genutzt werden soll und
- welche Auswirkungen der verstärkte KI-Einsatz auf die dort beschäftigten Mitarbeiter und die (bereichsübergreifende) Zusammenarbeit hat.


Diese Überlegungen müssen wiederum in ein Gesamtkonzept eingebettet sein, was das Unternehmen durch den verstärkten KI-Einsatz erreichen möchte – auch um zu vermeiden, dass auf der Bereichsebene viele Insellösungen entstehen, die wiederum Folgeprobleme in der Gesamtorganisation bewirken.

Die Autorin

Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden. Sie ist unter anderem Autorin des Buchs «Die Führungskraft als Influencer: Wie man Mitarbeiter als Follower gewinnt».


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