Neues Tool – neuer Frust? Bei manchen regt sich innerer Widerstand, wenn die nächste Anwendung ins Haus steht. Schon wieder neue Funktionen lernen. Sich noch eine Bedienungsphilosophie aneignen. Zeit verschwenden.
Die Zahl der Anwendungen, die der Durchschnittsuser zu bedienen und damit zu begreifen hat, ist mittlerweile – gelinde gesagt – beachtlich. Einen nicht unerheblichen Beitrag an diese Belastung leisten die Apps auf dem Smartphone. Ein zentrales Problem: Jedes Tool kommt mit seinem eigenen Ansatz daher, was unsere kognitiven Fähigkeiten arg strapaziert. Homogenität der Bedienung sucht man selbst bei ein und demselben Anbieter vergeblich. So warten die Microsoft-Tools – Word, Excel, Onenote & Co. – allesamt mit teils komplett unterschiedlichen Bedienungslogiken auf. Noch nicht einmal die Suche folgt einem einheitlichen Konzept.
Der Abwehrreflex gegenüber Neuem in der IT-Welt dürfte zu einem guten Teil dieser Heterogenität der Benutzerführung geschuldet sein. Ob Normierung da weiterhelfen kann, ist zumindest fraglich. Die DIN Norm ISO 9241 «Grundsätze der Dialoggestaltung» ist dermassen allgemein gehalten, dass diese jedenfalls nicht weiterführt.
Lassen wir die Welt der Apps auf dem Handy einmal aussen vor und stellen uns die Frage, ob nicht wenigstens bei den PCs und Desktops eine gewisse Standardisierung hinzubekommen wäre. Und lassen wir auch Software für spezialisierte Aufgaben, etwa die Tools von Adobe für kreative Arbeit, beiseite und fokussieren uns auf Software für Verwaltung und Management. Prominente Beispiele: die gesamte ERP-Welt, Task- und Meeting-Management, Content- oder Wissensmanagement, aber auch Projektmanagement. Die zentrale Frage zur Konzeption der Benutzerführung: Weshalb um alles in der Welt stellen praktisch sämtliche Anbieter die Funktionen ins Zentrum? User sind nicht an der Funktionalität, sondern an den Inhalten und Ergebnissen interessiert, die sie mit dem System generieren. Wir sollten das Navigationsprinzip auf den Kopf stellen und Funktionen auf eine untergeordnete Ebene verbannen.
Konkret: Die Anwender erhalten Umgebungen, in denen sie genau das vorfinden, was in ihrem Kontext von Bedeutung ist: Sichten auf Tasks, Finanzdaten, Konzepte und Berichte oder Workshop-Resultate in hochstrukturierter Form. Stellen wir uns diese Umgebungen bildlich als Häuser vor. Das Haus besitzt Etagen, diese wiederum beherbergen Räume. Die Etagen und Räume repräsentieren Themenbereiche – beispielsweise Projekte –, Organisationseinheiten – etwa Marketing oder Entwicklung –, oder auch Hilfen wie internes Wissen. Alles ist so klar beschildert, dass Lesefähigkeit ausreicht, um sich im Haus zurechtzufinden. Für die Umsetzung dieses Modells im GUI sind unterschiedliche Ansätze denkbar. Hauptsache, der Fokus liegt auf den Zielen und Inhalten statt auf den Funktionen. Letztere werden über Hilfsmenüs am Rande, vor allem aber über Kontextmenüs, angeboten.
Klingt nach Theorie? Findet man aber in der Praxis durchaus. Noch eine provokative Frage zum Schluss: Warum optimieren Usability-Experten primär Layouts, Buttons und Farben und lassen die wirklichen Potenziale links liegen?
Heinz Scheuring
Heinz Scheuring ist Inhaber der Scheuring AG in Möhlin. Das Unternehmen bietet Consulting und selbstentwickelte Software unter anderem für Ressourcenplanung, Projekt- und Arbeitsmanagement an.
Er ist Autor der Fachbücher «Radikale Business Software» sowie «Effektiver arbeiten mit SAMM».
heinz.scheuring@scheuring.ch