Editorial

«Karthago muss zerstört werden»

«Ceterum censeo Carthaginem esse delendam» oder «Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss»: Mit diesem Satz soll der römische Feldherr Cato der Ältere zahlreiche seiner Reden im Senat beendet haben, unab­hängig vom jeweiligen Thema.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/06

     

Ziel und Erkenntnis der rhetorischen Übung, die als Ceterum censeo Einzug auch in den modernen Sprachgebrauch gehalten hat: Wenn man etwas nur oft genug wiederholt, wird es bei den Rezipienten schon irgendwann fruchten. Der Senat stimmte Cato letztlich zu, Karthago wurde im Zuge der dritten Punischen Kriege vollständig zerstört.

Um den Fall eines antiken Reiches geht es an dieser Stelle natürlich nicht. Dafür aber um energische Beharrlichkeit. Denn mit ähnlichem Nachdruck versuchen die Tech-Riesen seit Jahren, die Grenzen des von Nutzerinnen und Nutzern technisch Akzeptierten sukzessive zu verschieben. Als Deckmantel dient dabei selbstredend stets der persönliche Mehrwert auf Anwenderseite. Aktuelles Beispiel: Microsoft Recall. Die kürzlich vorgestellte KI-­basierte Funktion soll alle paar Sekunden einen Screenshot des Bildschirms speichern, Inhalte und Tasks lassen sich anschliessend mit einfachen Beschreibungen durchsuchen. So erstellt Windows eine Zeitleiste, ein Supergedächtnis des individuellen Nutzungsverhaltens. Noch soll die KI die gespeicherten Daten komplett lokal verarbeiten. Doch die Funktion ist ressourcenhungrig. Allein 50 GB freier Speicherplatz sind Voraussetzung. Der Schritt in die Cloud scheint da langfristig nicht nur attraktiv, sondern geradezu verpflichtend – bis hin zu einer möglichen (aktuell aber natürlich rein hypothetischen) Nutzung der Daten für Werbe-Targeting oder das Training von KI-Modellen.
Die Datenschützer schlagen schon jetzt Alarm. Der britische Experte Kris Shrishak sprach gegenüber der BBC ganz ungeschönt von einem «potenziellen Albtraum für die Privatsphäre». Securityspezialist Kevin Beaumont weist zudem auf das enorme Risiko hin, sollten Cyberkriminelle auf den Rechner und an die Recall-Daten gelangen.

Es ist eine von Microsoft, Google, Meta und Co. dennoch zielstrebig vorangetriebene Zukunft (vor allem im Zuge des aktuellen KI-Booms), in der Technologie nahezu alle Lebensbereiche mitbestimmen soll – und somit eine langsame, aber stetige Abkehr vom wortwörtlichen Personal ­Device. Und wer die Vorzüge dieser Zukunft nur oft und vehement genug wiederholt, wird womöglich Erfolg haben. Bequemlichkeit und die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber der massenhaften Datenverarbeitung spielen dieser Entwicklung jedenfalls in die Hände. Achja: Im Übrigen bin ich der Meinung…
Stefan Adelmann, Redaktor
sadelmann@swissitmedia.ch

Kommentare
Zu glauben, dass unsere Privatsphäre dereinst gestört würde brauchen wir eigentlich gar nicht mehr, denn schon heute wird die Privatsphäre massiv unterwandert. Beispiele sind (1) meta hört bereits seit geraumer Zeit ständig mit übers handy - getestet mit Freunden in Gesprächen mit anschliessendem Ergebnis, dass entsprechenden Themen aus dem Gespräch mindestens für Einblendung von entsprechender Werbung resultierte. (2) Apple wertet Inhalte von Bildern aus mit dem Vorhalt, es sei um Kinderpornaographie zu überprüfen. (3) Bei Google werden Adressen immer wieder angepasst im Adressbuch, ohne dass man das in Auftrag gegeben hat. All das sind Beispiele wie bereits in unsere Privatsphäre eingegriffen wird und zeigt, dass sie bereits durchbrochen wurde, aus meiner Sicht ohne Zustimmung der Nutzer. Dass die erhobenen Daten auch anderweitig genutzt werden könnten inst selbstredend. Die "grossen" erlauben sich solche Vorgänge, weil für sie auch eine 300 Mio. Strafe nur Taschengeld ist, und weil teils auch die Staaten selbst an den Daten interessiert sind. Dies mindestens meine Meinung. Ich finde es empörend, dass nicht mehr gemacht wird, um die Privatsphäre der Nutzer besser zu schützen. Wie wäre es, wenn auch Portale wie dieses es regelmässig in Erinnerung rufen, die Nutzer darauf sensibilisieren, Ihnen Anleitungen bieten, den Datenfluss zu unterbinden (wo möglich) und auch auf die Gefahren deutlich hinzuweisen?
Montag, 10. Juni 2024, F. Ehrlichmann



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