Im Mai 2023 ist der kostenlose Übersetzungsdienst von Textshuttle live gegangen. Dieser liefert Übersetzungen auf Basis von KI ins Englische und in sämtliche Schweizer Landessprachen. Textshuttle deckt somit Mundart auf Züri- und Bärndütsch sowie Rätoromanisch ab. Die Gründer des in Zürich Oerlikon ansässigen Start-ups sind Martin Volk, seines Zeichens Professor am Institut für Linguistik an der Universität Zürich, sowie sein einstiger Doktorand am selben Institut, Samuel Läubli. Das Forschungsinstitut bekam seitens der Privatwirtschaft immer wieder Anfragen bezüglich maschineller Übersetzungsdienstleistungen. Daher ebneten Volk und Läubli 2017 in Form eines Beratungsmandates den Weg für die spätere Gründung von
Textshuttle. «2018 konnten wir im Rahmen eines Projektes unser erstes trainiertes Machine-Translation (MT)-Modell ausliefern», blickt Lucas Seiler zurück, der seit 2019 mit an Bord ist und im September 2021 die Position des CEO von Textshuttle übernahm.
So führte eines zum anderen: Die Anfragen aus der Industrie nahmen zu, die Gründung der Firma folgte, 2019 stiess Seiler zum Team und heute zählt das Unternehmen bereits 23 Mitarbeitende. «Wenn man sich unsere Geschichte ansieht, so hat sehr viel sehr gut funktioniert», berichtet Seiler nicht ohne Stolz. Dennoch war der Weg nicht immer einfach. Gerade nach der Gründung sei man vor allem ein Generalist gewesen, der alles macht, so Seiler. Er selbst habe am Anfang beispielsweise sowohl in der Entwicklung gearbeitet als auch Verträge verhandelt. Dabei half ihm sein abgeschlossenes Jura-Studium. «Aber wenn man Generalist ist und die Kunden grosse Unternehmen sind, dann hat man auf der anderen Seite immer mit Spezialisten zu tun. Das erfordert wiederum penible Vorarbeit, um den Kunden auf Augenhöhe zu begegnen», führt Seiler die Hürden zum Start aus.
Nähe zur Uni Zürich bringt Fachkräfte
Heute sind viele dieser Hürden überwunden. Als Spin-off der Universität Zürich gegründet, engagiert sich
Textshuttle zudem weiterhin aktiv in der Forschung rund um neuronale maschinelle Übersetzung. Dass viele der 23 Mitarbeitenden, von denen 18 in der Entwicklung tätig sind, relativ jung sind, hat daher auch einen einfachen Grund. «Durch unsere Entstehung aus der Forschung heraus ist es naheliegend, dass wir Studierende im fortgeschrittenen Stadium ihrer Ausbildung gezielt anwerben», erklärt der CEO. Um sich am Standort Zürich im Tech-Bereich bei der Rekrutierung gegen grosse Firmen behaupten zu können, sei es entsprechend hilfreich, dass Textshuttle in der akademischen Welt nach wie vor sehr gut vernetzt ist.
Aber auch an anderer Stelle kann sich Textshuttle eigenständig auf dem Markt behaupten. Die Firma führt keine Partnerschaften mit anderen Unternehmen oder Start-ups. Zudem wird die Finanzierung allein gestemmt. «Wir haben nie externes Kapital aufgenommen. Bootstrapped zu sein, erfordert sehr sorgfältig geplante Investitionen und verwehrt gigantische Sprünge, aber nichtsdestotrotz hat sich das für uns bislang als der richtige Weg erwiesen», so Seiler. Das könnte sich jedoch bald ändern. Denn es gibt vielversprechende Signale von potenziellen Investoren. «Wir wurden bereits von mehreren interessierten Investoren kontaktiert und befinden uns mit ihnen im aktiven Austausch», so Seiler.
Unabhängigkeit ist Textshuttle auch im Technologiebereich wichtig. Einige Komponenten des Übersetzungsdienstes basieren zwar auf Open Source Code, doch das Team trainiert seine Sprachmodelle auf eigener Infrastruktur. Dies sei laut Seiler notwendig, um die volle Kontrolle über die Software und die Daten zu behalten. Darüber hinaus ist das Start-up durch die Nähe zur Uni Zürich in der Lage, neue Produkte und Features schnell aus der Forschung in die produktive Umgebung zu transferieren.
Gratis-Version als Testfeld
Aktuell steht der Übersetzungsdienst in einer kostenfreien öffentlichen Version zur Verfügung. Auf das Gratisangebot angesprochen, zeigt sich Seiler heimatverbunden: «Als Schweizer Unternehmen war es unsere Motivation, der Schweiz einen Mehrwert zu bieten. Es gab bislang keinen digitalen Übersetzungsdienst, der Rätoromanisch oder Schweizerdeutsch übersetzt.» Folglich sprang Textshuttle in die Bresche und bietet nun sämtliche Landessprachen sowie auch Englisch frei verfügbar an. Übersetzungen in Schweizerdeutsch klappen indes nicht immer perfekt. Noch befindet sich der Dienst aber in einer (erfolgreichen) Beta-Testphase. «Das Feedback nach dem Launch und auch die Resonanz waren überwältigend. Die Website wird rege benutzt», gibt Seiler sichtlich stolz zu Protokoll.
Das Angebot eines Schweizer Dienstes ist aber nicht der einzige Grund für die Entwicklung von Textshuttle. Wie Seiler ausführt, hätten sich auch die Anforderungen an Übersetzungsdienste geändert. Früher wollten Nutzer demnach einfach eine möglichst gute und korrekte Übersetzung. Das reicht heute laut Seiler nicht mehr aus. «Die Leute wünschen eine Interaktion mit dem Text. Sie möchten alternative Wortvorschläge angezeigt bekommen oder ganze Sätze umformulieren, damit der übersetzte Wortlaut möglichst persönlich klingt», erläutert der CEO die neuen Kundenbedürfnisse.
Diesen wolle man Rechnung tragen und deshalb erlaubt es
Textshuttle, entsprechende übersetzte Textstellen zu markieren, um sich alternative Formulierungen vorschlagen zu lassen. Als weiteres, noch nicht aufgeschaltetes, aber sich in Entwicklung befindliches Feature nennt Seiler die Option, Texte zu gendern. Der Anbieter selbst kann wiederum die Daten aus der Gratis-Version nutzen, um zu eruieren, wie entsprechende Interaktionsmöglichkeiten genutzt werden und wie das Feedback der User ausfällt. Basierend auf Nutzeranalysen implementiert der Anbieter beliebte und ausgereifte Funktionen schliesslich in die Enterprise-Version des Dienstes. Insofern ist das Gratisangebot für das Entwicklerteam von Textshuttle ein wichtiges Testfeld für neue Funktionen.
Business-Lösung mit maximaler Integration
Und auch der Anspruch an die Enterprise-Version von
Textshuttle geht weit über die reine Textübersetzung hinaus. «Wir möchten nicht nur ein Tool anbieten, welches die Kunden dann selbständig einsetzen können. Unser Ziel ist es, den Kunden eine Lösung zu ermöglichen, die so ins Unternehmen eingebunden wird, dass sie die grösstmögliche Wertschöpfung generiert», erläutert Seiler das Ziel der Business-Lösung. Denn eine gute Übersetzung zu liefern sei schön und recht, würde aber bei weitem nicht ausreichen, um auf dem Markt zu bestehen. Daher übersetzt das Business-Produkt von Textshuttle Texte nicht einfach allgemeingültig, sondern spezifisch, zum Sprachstil des Unternehmens passend. Das bedeutet, Nuancen werden entsprechend gewählt, so dass Tonalität, Phrasen und Terminologie exakt zum Kommunikationsstil beziehungsweise Corporate Wording der Firma passen. Ein automatisch übersetzter Text muss anschliessend kaum noch angepasst werden, so das Versprechen. Bei grösseren Schweizer Unternehmen, die mindestens in allen Landessprachen und Englisch kommunizieren müssen, können hierdurch gemäss Seiler jährlich Übersetzungskosten bis in den siebenstelligen Bereich eingespart werden. Die Übersetzung muss ausserdem nicht – wie bei der Gratis-Version – zwingend in einer separaten Eingabemaske erfasst werden, sondern lässt sich in häufig genutzte Software wie Outlook, CMS oder Webshop integrieren. Diese massgeschneiderte Übersetzung sowie die Erfüllung spezifischer Firmenanforderungen führt Seiler auch als USP von Textshuttle ins Feld, der das Schweizer Start-up von der Konkurrenz abheben soll.
Als weiteren Vorteil für Unternehmenskunden nennt der CEO zudem den eigenen Standort. Sie hätten einerseits die Möglichkeit, die Übersetzungsdienste bei Textshuttle selbst hosten zu lassen, wo die Daten nach höchsten Datenschutzstandards der Schweiz verarbeitet werden. Andererseits bietet Textshuttle den Kunden zudem auch an, den Dienst On-Premises zu installieren, damit die Daten das Unternehmen gar nicht erst verlassen. Unabhängig von der letztlich gewählten Lösung wird der Dienst stets als Lizenz auf monatlicher Basis vertrieben, die jederzeit die aktuellste Version garantiert.
Zu guter Letzt offeriert Textshuttle Kunden die Möglichkeit, gemeinsame Workshops rund um Themen wie KI, Computerlinguistik sowie maschinelle Übersetzung durchzuführen. Auch öffentliche Fachvorträge hält das Team ab. Und mit Blick in die Zukunft kommt Seiler abermals auf das Thema KI zu sprechen. Ohne konkrete Details zu nennen, berichtet er, dass Textshuttle bei der Forschung zu diesem Thema sowie zu Sprachmodellen an vorderster Front mitwirke, um neue Möglichkeiten zu eruieren, wie automatisch generierte Texte künftig noch einfacher, personalisierter und pointierter erstellt werden können.
(dok)