"Swiss IT Magazine": Wenn ich heute meinen Backofen aufstarte, habe ich das Gefühl, ich könnte auf dem Gerät auch gleich meine Bürokorrespondenz erledigen. Wie viel IT steckt in modernen Haushaltsgeräten von V-Zug?
Jean-Claude Flury: Elektronik steckt sehr viel in den Geräten, und das schon seit vielen Jahren. Die Frage ist vielmehr die, wie viel Technik der Kunde in den Geräten möchte, was vom Markt aufgenommen wird. Um beim Beispiel des Backofens zu bleiben: Wir wissen aus Erfahrung, dass die Kunden primär ein paar wenige Funktionen ihres Ofens nutzen. All die anderen wunderbaren Dinge, die die Geräte können, werden seltener verwendet. Nichtsdestotrotz entwickeln wir die Geräte weiter, denn einerseits gehen wir davon aus, dass unsere Nutzer in den kommenden Jahren immer affiner auf Technologie werden und die Interaktion über eine App ganz normal wird. Andererseits gibt es genug Beispiele in anderen Industrien, die von der plötzlichen Veränderung überrumpelt wurden. Darum gilt es für uns als Industrieunternehmen mit einer langen Tradition, immer am Ball zu bleiben.
Meine Frage zielt auch dahin, inwieweit Sie und Ihr Team in die Produktentwicklung involviert sind. Geschieht diese völlig losgelöst vom IT-Team?Nein, denn ohne IT-Abteilung würde in unserem Unternehmen wenig funktionieren – das gilt auch für die Produktentwicklung, für die wir das Backend zur Verfügung stellen. Direkt in die Entwicklung von Software auf den Geräten sind wir allerdings nicht involviert. Darum kümmert sich unsere Engineering-Abteilung. Wir stellen wie gesagt den Backbone bereit und sind ausserdem im Bereich Vernetzung – sprich beim Übergang auf die App – involviert. Ausserdem ist die IT Teil des Digital Transformation Teams, in dem unter anderem digitale Innovationen angestossen werden.
Denken Sie, dass die Verknüpfung von IT und Produktentwicklung künftig noch enger werden wird?Das wird sicher passieren. Denken Sie an ein Smartphone oder ein modernes Auto. Die Software steuert alles und kann sogar neue Funktionen mitbringen. Die beiden Welten sind in den letzten Jahren bereits zusammengewachsen, schon heute kann man auf jedes V-Zug-Gerät via App zugreifen. Und dieses Zusammenwachsen muss und wird künftig noch deutlich weitergehen.
Wie ist denn Ihre IT-Abteilung, Ihr Team, heute organisiert?Neben den Stabstellen Architektur, Security und Data Management zählen wir in der IT heute drei Hauptteams, wovon sich zwei – das Integration Competency Center und eSolutions – hauptsächlich um Geschäftsapplikationen und Prozessoptimierung kümmern. Wir haben grosse Teile unserer IT-Infrastruktur vor vier Jahren im Rahmen eines Outsourcing-Projekts zu einem Provider ausgelagert. Die Steuerung der ausgelagerten Services geschieht durch das dritte Team, Business Services & Projects.
Wie viele Leute arbeiten unter Ihnen?Inklusive Lernende sind es knapp 50 Mitarbeitende.
Sie haben das Outsourcing angesprochen. Was wurde alles ausgelagert?Ausgelagert wurde die klassische technische Backend-Infrastruktur, also sämtliche Hardware – inklusive zwei Rechenzentren, die wir früher vor Ort betrieben. Ebenfalls haben wir die gesamte Netzwerkinfrastruktur ausgelagert, sowie die Bereitstellung der Arbeitsplätze und den User Helpdesk.
Dieses Outsourcing wurde durch Sie angestossen?Initiiert wurde das Projekt noch vor meiner Zeit. Das Outsourcing der Infrastruktur ist nebst der Einführung von SAP S/4HANA eines der zwei ganz grossen Projekte, die uns die letzten vier Jahre beschäftigt haben. Entsprechend gross war die Transformation, die unser Unternehmen in den letzten Jahren durchgemacht hat, und auch nach vier Jahren sind wir zum Teil noch mit diesen Veränderungen beschäftigt.
Macht es denn Sinn, zwei so einschneidende Projekte gemeinsam durchzuziehen?V-Zug unterhielt davor während Jahrzehnten eine zwar sehr solide IT-Landschaft, aber auch eine Landschaft, die bestenfalls sanft weiterentwickelt wurde und die wenig agil war. Der Wechsel auf SAP sowie das Outsourcing waren zwei sehr disruptive Umstellungen, die das Unternehmen durchgeschüttelt haben, wohl aber nötig waren. SAP läuft in der Zwischenzeit recht stabil, wir haben in den letzten Jahren auch unser IT-Team stark ausgebaut und unsere Kompetenzen entsprechend ausgerichtet. Bezüglich des First-Generation-Outsourcing sind wir aktuell daran, dieses weiter zu optimieren und in zukunftsträchtige Bahnen zu lenken.
Das SAP-Projekt ist also abgeschlossen, das Outsourcing aber beschäftigt Sie noch weiter?Ein Softwareprojekt ist nie abgeschlossen respektive erst dann, wenn man die Software ausser Betrieb nimmt. Aber die S/4HANA-Plattform ist heute so weit gereift, dass wir gut damit arbeiten können. Nun laufen die normalen Optimierungsprojekte, auch bedingt durch Anpassungen in der Produktion – Stichworte sind hier unsere Neubauten, wo wir den Fokus vermehrt auf Automatisierung und Industrie 4.0 legen wollen. Das Outsourcing hingegen beschäftigt uns nach wie vor stark. Das hängt einerseits sicher damit zusammen, dass wir von einer sehr individuellen IT auf eine standardisierte Infrastruktur wechseln mussten, um diese als Service beziehen zu können. Das forderte auch den Provider, und dass ein Outsourcing in der ersten Generation eher ruppig verlaufen kann und Zeit braucht, bis sich Prozesse einpendeln, ist kein Geheimnis.
Ich verstehe Sie aber richtig, Sie arbeiten mit einem einzigen Outsourcing-Provider zusammen?Ja, wir haben uns für einen international tätigen Partner mit Schweizer Ableger entschieden, wobei dieser wiederum Sublieferanten beschäftigt.
Würden Sie heute – mit den gemachten Erfahrungen – gewisse Dinge rund ums Outsourcing anders machen?Die Breite an Eigenleistungen bei V-Zug ist enorm gross – wir machen vom Engineering über die Herstellung bis hin zu Marketing und Vertrieb sehr vieles selbst. Durch diese Breite ergibt sich eine sehr hohe Komplexität, auch in unseren Lösungen. Heute würde ich nur noch das auslagern, was bereits standardisiert ist und was intern bereits sehr gut funktioniert. Ich würde das Projekt vorsichtiger angehen, nicht mehr auf einen Schlag alles in fremde Hände geben.
Überlegen Sie sich auch einen Schritt zurück?Das Gros der Transformation haben wir inzwischen hinter uns, die gröbsten Baustellen sind geflickt. Ein Schritt zurück steht nicht zur Diskussion, aber bei einem nächsten Mal können wir sicher vieles besser machen. Ich bin heute überzeugt, es gibt keinen Full-Outsourcer, der eine IT-Landschaft mit unserer Vielfalt und Komplexität auf Anhieb mit einem zufriedenstellenden Servicelevel übernehmen kann. Man muss als Unternehmen zuerst ganz genau prüfen, welche Kompetenzen man selbst besitzt und welche standardisierten Leistungen man einfach beziehen kann. Wir befinden uns aktuell in Diskussionen mit unserem Provider, wie wir uns für die kommenden Jahre besser aufstellen können. Denn wenn wir die Digitalisierung im Unternehmen wirklich vorantreiben wollen, liegt es nicht drin, dass wir uns täglich mit Helpdesk-Tickets, die nicht vorangehen, herumschlagen müssen. Ich bin aber optimistisch, dass wir den richtigen Weg gemeinsam finden.
Sie sprechen die Digitalisierung an. Wo sehen Sie bei V-Zug das grösste Digitalisierungspotenzial?Ich unterscheide hier zwischen interner und externer Digitalisierung. Intern liegt das grösste Digitalisierungspotenzial klar bei den Produktions-, Logistik- und Vertriebsprozessen sowie in der Art und Weise, wie wir mit unseren Kunden und Lieferanten interagieren. Hier laufen verschiedene Projekte. Auch der Bau neuer Fabrikanlagen, der bereits begonnen hat, soll mehr Automatisierung in der Produktion mit sich bringen. Extern bieten wir unseren Kunden immer mehr Lösungen für Haushalte oder auch für Immobilienverwaltungen an, über die sie mit unseren Geräten interagieren können. Wie schon erwähnt, jedes Industrieunternehmen muss ein Stück weit auch ein Softwareunternehmen werden.
Und welche Rolle spielt Ihre IT bei dieser Digitalisierung?Der Digitalisierungsschub soll auch die IT-Abteilung erfassen. Es gilt auch für die IT, die nächste Stufe zu erklimmen, zum Partner in der Digitalisierung zu werden und dereinst sogar als digitaler Pionier zu agieren. Die Digitalisierung verlangt eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit. Silodenken ist hier grundsätzlich falsch, denn wenn in Silos entwickelt wird, können Lösungen nicht zusammenspielen. Nur wenn wir involviert sind, können wir den stabilen Betrieb und die Integration auch sicherstellen. Das bedeutet aber auch, dass eine IT in der Lage sein muss, zu orchestrieren und in vielen verschiedenen Disziplinen mitzuspielen.
Haben Sie auch den Anspruch, dass Digitalisierung, dass Innovationen, auch aus der IT-Abteilung heraus angestossen werden?
Ja, das ist der Anspruch, mit dem ich angetreten bin. Die IT soll als Enabler und als Pionier innerhalb von V-Zug agieren. Das dauert etwas länger als anfangs gedacht, aber da wollen wir hin. Nicht zuletzt deshalb sind wir aktuell daran, unsere IT-Organisation auf Scaled Agile Framework (SAFe) umzustellen. SAFe stellt für uns einen recht grossen Evolutionsschritt in der Art und Weise dar, wie IT und Business zusammenarbeiten. Das geht weit über das sogenannte IT-Business-Alignment hinaus. Vielmehr werden Teams geformt, die mit Mitarbeitenden aus der IT, Key Usern aus dem Business und anderen Spezialisten besetzt sind. Diese Teams definieren dann Arbeitspakete, die priorisiert und anschliessend umgesetzt werden, während auf Portfolioebene das Ganze mit dem Management geplant wird. Dabei zeigt sich, dass Ressourcen-Diskussionen um einiges transparenter werden. Wir stecken mitten in der Umstellung, ich habe aber grosse Erwartungen, dass wir dank SAFe agiler werden und die Diskussionen um die Priorisierung eine ganz andere Qualität bekommen.
Nebst dem SAP- und dem Outsourcing-Projekt: Gibt es weitere aktuelle Projekte, die Sie beschäftigen?
Da gibt es natürlich einige. Wir stellen unsere Web-Plattformen auf eine neue Basis, um die verschiedenen Kommunikationskanäle besser bedienen zu können. Ein weiteres Projekt ist die laufende Expansion ins Ausland, die V-Zug anstrebt. Diesen Schritt in neue Länder müssen natürlich auch wir als IT unterstützen, was sehr spannend ist. Auch der angesprochene Umbau unserer Produktion wird uns die kommenden Jahre beschäftigen. Auf dem Gelände von V-Zug entsteht der Tech Cluster Zug, der nebst unserer Produktion auch Platz bieten soll für weitere Industrieunternehmen, aber auch für Start-ups, Spin-offs, die Hochschule, Gewerbe und Wohnen. Dieser Umbau wird einschneidende Auswirkungen auf unsere Produktionsprozesse haben, die es durch uns als IT zu begleiten und zu unterstützen gilt.
Diese Standorte im Ausland sollen IT-technisch von der Schweiz aus betreut werden?
Ja, vorläufig sicherlich. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir in Zukunft einmal IT-Kolleginnen und -Kollegen ausserhalb der Schweiz haben werden.
Ich möchte gerne noch auf den zweiten Hut zu sprechen kommen, den Sie tragen. Sie engagieren sich in der Deutschen SAP-Anwendergruppe (DSAG)als Vorstand für die Schweiz. Für diejenigen, welche die DSAG nicht kennen – können Sie ganz kurz umschreiben, was die DSAG tut?
Die DSAG hat sich als User Group vor 25 Jahren formiert. Zu Beginn waren nur einige wenige Unternehmen mit an Bord, heute sind es rund 3800 Firmen, die in der Gruppe zusammengeschlossen sind. Die DSAG engagiert sich im Austausch mit SAP über technische Themen, über das Lizenzmodell, das immer wieder mal für Diskussionen sorgt, sowie über die Weiterentwicklung und über Wartungszyklen der Lösungen und einiges mehr. Vor Corona zählte man am Jahreskongress der DSAG weit über 5000 Teilnehmer, das Interesse ist also gewaltig, denn der Wissensaustausch und die Möglichkeit, mit SAP zu interagieren, ist wichtig für jeden, der SAP einsetzt. Eine komplexe Installation wie SAP einigermassen fehlerfrei zu betreiben, ist eine grosse Herausforderung, die entsprechend viele Fragen aufwirft. Natürlich kann man bei solchen Fragen immer einen Berater zu Rate ziehen oder die Hilfe von SAP suchen. Doch in der DSAG ist enormes Wissen versammelt, womit man die Möglichkeit erhält, sich selbst zu helfen. «Wir für uns» respektive «Hilfe zur Selbsthilfe» war mit einer der Gründe, die DSAG ins Leben zu rufen.
Und wo liegt Ihre Motivation, sich hier über die einfache Mitgliedschaft hinaus zu engagieren?
Vor gut 20 Jahren war ich als SAP-Berater tätig, und in dieser Zeit bin ich erstmals mit der DSAG in Berührung gekommen. Als ich dann die operative Verantwortung für ein SAP-System übernommen hatte, war die Gruppe für mich immer wieder Anlaufstelle, um mich auszutauschen. Irgendwann kam die Frage auf, ob ich bereit wäre, mich stärker zu engagieren, und daraus hat sich ergeben, dass ich die Verantwortung für die DSAG in der Schweiz übernommen hatte. Hierzulande vereinen wir rund 300 Unternehmen in der User Group. Meine Motivation ist darin begründet, dass ich es enorm wichtig finde, sich mit SAP auf Augenhöhe auszutauschen und dem Hersteller die Sicht der Kunden vermitteln zu können.
Eine User Group mit dem Gewicht wie die DSAG gibt es bei keinem anderen Hersteller als bei SAP. Warum?
Ich denke, es gibt zwei Gründe. Zum ersten ist SAP eine deutsche Softwarefirma und Walldorf ist nicht ab der Welt, was sicherlich förderlich ist für den Austausch. Zum zweiten hat Unternehmensgründer Hasso Plattner dem Unternehmen eine stark kundenbezogene Kultur verpasst, die bis heute anhält. Entsprechend hat der Dialog zwischen SAP und DSAG seit jeher auf Augenhöhe stattgefunden, und SAP hat die User Group schon immer gefördert. Zahlreiche Spezialisten von SAP betreuen mit uns zusammen die verschiedenen Themen, die wir behandeln. Die Zusammenarbeit ist sehr intensiv, und SAP schätzt in meinen Augen den Gegenpol, den die DSAG bildet und der hilft, dass die Produkte am Ende des Tages auch besser werden.
Wie zeitintensiv ist Ihr Engagement, und was erhalten Sie für Ihre Zeit?
Das Engagement ist relativ zeitintensiv, das lässt sich nicht von der Hand weisen. Der Einblick, den man durch die Nähe zu SAP bekommt, ist aber enorm hilfreich, gerade wenn es darum geht, Probleme im Unternehmen zeitnah zu lösen. Gleichzeitig ist es nicht immer einfach, beide Hüte zu tragen – den als DSAG-Vorstand und den als SAP-Kunde. Das war bei mir insbesondere zu Beginn meiner Tätigkeit bei V-Zug der Fall, als wir mit SAP verschiedene Herausforderungen zu meistern hatten. Ich konnte beim Austausch als DSAG-Vorstand mit dem SAP-Management ja nicht unsere Probleme als Kunde auf den Tisch bringen, denn das sind zwei unterschiedliche Rollen.
Ihr Engagement geschieht als Privatperson?
Ganz losgelöst von der Firma kann das Engagement gar nicht sein. Natürlich muss ich meine Freizeit für die DSAG aufwenden, doch man kann bei der User Group nur dann eine Funktion ausüben, wenn man in einem SAP-Anwenderunternehmen tätig ist. Klar ist, das Business geht vor. Wenn mein vollstes Engagement in der Firma gefragt ist, muss das DSAG-Engagement zurückstehen, was auch kein Problem ist.
Können Sie noch etwas zu aktuellen Schwerpunkten der DSAG erzählen?
Ein Thema, das viele Firmen umtreibt, ist die Frage, ob man den Schritt in die Cloud wagen will oder besser On-Premises bleibt. Hier ist SAP gefordert, klare Roadmaps aufzuzeigen, sodass man als Kunde sieht, wohin die Entwicklung geht. Das ist eine intensive Diskussion, die wir mit SAP führen. Ein weiteres Thema ist die Frage nach den Modulen, die Teil des Kerns von SAP S/4HANA bleiben oder die in eine andere Lösung überführt werden – HR ist hier ein Beispiel. Die Antworten auf solche Fragen sind für Firmen für die Planung essenziell. Ein Dauerthema ist ausserdem das Lizenzmodell, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Cloud. Hier vertreten wir als DSAG die Meinung, dass die ganzen Lizenzmodelle von SAP auch in der Cloud viel zu starr sind, zu wenig flexibel mit dem dynamischen Wachstum bei den Kunden mithalten können.
Zurück zu V-Zug: Wo liegen aktuell die grössten Herausforderungen in Ihrer täglichen Arbeit?
Eine permanente Herausforderung ist mit Sicherheit der Spagat zwischen der Autonomie der Anwender und der IT-Governance, also die Frage, wie man die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Anwenders mit den Möglichkeiten der IT unter einen Hut bringt. Diesbezüglich sind wir seitens IT sicherlich noch nicht ganz da, wo wir hinwollen. Denn wenn seitens der Anwender Bedürfnisse auftauchen und wir diese Bedürfnisse nur auf die lange Bank schieben, laufen wir Gefahr, dass sich die Nutzer verselbständigen, was nicht in unserem Interesse sein kann. Natürlich können wir nicht jeden Wunsch unserer Anwender erfüllen, aber wir sind gefordert, agiler zu werden und die die entsprechenden Kommunikationskanäle aufzubauen. Herausfordernd in der täglichen Arbeit ist aber auch das Unvorhergesehene, das in einem Produktionsbetrieb immer wieder auftauchen kann und wo eine schnelle Reaktion gefragt ist. Denn wenn unsere Produktion steht, sind einige hundert Leute zum Warten gezwungen – da kann die IT nicht schnell genug reagieren.
Als ich das Gebäude von V-Zug für dieses Interview betreten habe, habe ich Sie am Empfang angetroffen. Sie wollten wissen, ob alles läuft. Suchen Sie diese Nähe zu Ihren Anwendern regelmässig und bewusst?
Ich versuche es, wobei es mir nicht immer gleich gut gelingt. Doch gerade am Empfang ist es in meinen Augen enorm wichtig, dass alles funktioniert, denn der Empfang ist eine Visitenkarte fürs Unternehmen. Wir haben in der Telefonie kürzlich auf Teams umgestellt, und es gibt nach wie vor einige Kinderkrankheiten, weshalb es mich natürlich interessiert, wie es an der Front aktuell in der Telefonie läuft. Dasselbe gilt auch für unseren schweizweit tätigen Service. Auch hier ist es mir ein Anliegen, dass die Systeme unserer Servicetechniker zuverlässig funktionieren, denn wenn das Tablet des Technikers beim Kunden nicht läuft, ist das alles andere als optimal.
Sie haben sich in einem anderen Interview als «realistischen Optimisten» bezeichnet, was neue Technologien angeht. Gibt es eine zukunftsgerichtete Technologie, die Sie aktuell mit grossem Interesse verfolgen?
Das habe ich in der Tat gesagt und das gilt nach wie vor. Ich verfolge neue Technologien mit grossem Interesse, aber auch mit einer gesunden Skepsis. Wenn neue Technologien auf der Bildfläche auftauchen, entsteht zuerst ein enormer Hype – alle sprechen darüber, alle wollen die Technologie einführen. Effektive Anwendungsgebiete und -modelle lassen dann aber auf sich warten, die Ernüchterung stellt sich ein, bevor die einst gehypte Technologie dann doch im produktiven Umfeld ankommt. Wenn ich mir eine neue Technologie anschaue, müssen drei Faktoren gegeben sein: Die Technologie muss ausgereift sein, das Interesse und die Kundenakzeptanz müssen vorhanden sein und die rechtliche Situation respektive die Governance muss erfüllt sein. Auch Ethik kann beim dritten Punkt reinspielen, denken wir nur einmal an autonomes Fahren. Oder nehmen wir das Beispiel Uber – eine hervorragende Plattform, die durch einige rechtliche Problemen jäh ausgebremst wurde. Wenn Sie nun nach spannenden Technologien fragen, nenne ich das Thema künstliche Intelligenz. Lange habe ich KI als überbewertet angesehen, doch inzwischen bin ich der Überzeugung, dass es in den nächsten Jahren einige spannende produktive Anwendungen geben wird. KI muss richtig eingesetzt werden – der Mensch entscheidet letztendlich –, dann wird sie in vielen Bereichen einen grossen Impact haben. Ein weiteres Thema, das ich mit grossem Interesse verfolge, ist Quanten-Computing. Es werden zwar noch einige Jahre ins Land ziehen, bis Quanten-Computing in der Praxis ankommt, aber wenn die in Aussicht gestellte Rechenleistung einmal stabil und zuverlässig ist, wird das disruptiv sein und einiges auf den Kopf stellen – im Positiven wie im Negativen, ich denke hier etwa an Cybersecurity.
Jean-Claude Flury
Jean-Claude Flury (53) ist seit knapp vier Jahren CIO der V-Zug Gruppe. Er hat Master-Abschlüsse in Jura und ICT-Management. Er begann seine Karriere in der IT 1992 während des Jurastudiums, zunächst als Systemingenieur und dann als SAP-Berater. Seit 2002 arbeitete er für Pharmaunternehmen in den USA und Europa, ab 2005 in verschiedenen leitenden Rollen bei der Siegfried Holding. Zudem ist er Vorstand Schweiz in der DSAG, der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe.
Zum Unternehmen
Der Schweizer Haushaltsgerätehersteller V-Zug wurde 1913 gegründet und ist heute organisatorisch in die Segmente Haushaltsgeräte und Immobilien aufgeteilt. Das börsenkotierte Unternehmen zählt aktuell rund 2200 Mitarbeitende und machte 2021 einen Umsatz von knapp 624 Millionen Franken. Das «V» im Unternehmensnamen steht für die Geschichte als Verzinkerei, das «Zug» wird als Bekenntnis zur Region Zug und zum Standort Schweiz beschrieben. An diesem Standort Zug entsteht auf dem Firmenareal aktuell und bis zirka 2033 mit dem Tech Cluster Zug ein neuer Stadtteil inklusive neuer Produktionshallen.
(mw)