Die Zeiten, in denen man einen einigermassen guten Grund fand, sich jedes Jahr ein neues Smartphone anzuschaffen, sind definitiv vorbei. Zu klein sind die Innovationsschritte, zu ähnlich sich die Modelle – von Foldables einmal abgesehen –, und zu gross ist auch der Migrationsaufwand, denn allein schon die Banking- und Finanz-Apps verlangen, sich jeweils neu zu identifizieren, was nicht selten nur per Telefon geht.
Wenn man aber stolzer Besitzer eines Huawei P20 aus dem Jahr 2018 ist, zudem auf zumindest einen Hauch Extravaganz und Innovation gewartet hat und ausserdem nicht bereit ist, einen vierstelligen Betrag für ein spannendes Smartphone auszugeben, hat man seit einigen Wochen einen guten Grund, ein neues Gerät ins Auge zu fassen: Und dieser Grund heisst Nothing Phone (1).
Hersteller
Nothing, das Unternehmen von Oneplus-Co-Gründer Carl Pei, hat es mit bis anhin nur einem Produkt – den In-Ear-Kopfhörern Nothing Ear 1 – und geschicktem Marketing geschafft, einen ziemlichen Hype aufkommen zu lassen. Entsprechend gross waren die Erwartungen an das erste Smartphone von
Nothing, und diese wurden zumindest bei der Vorstellung des Geräts im Juli dieses Jahres nicht enttäuscht. Das Nothing Phone (1) hebt sich nämlich löblich vom Einheitsbrei heutiger Android-Smartphones ab und ist preislich spannend positioniert – schliesslich ist es bereits ab 449 Franken erhältlich. Doch wie schlägt es sich im Alltag? Das haben wir im Vergleich mit unserem bisherigen Gerät Huawei P20 – dem vierjährigen damaligen Flaggschiff von Huawei getestet.
Hübsche Verpackung, überzeugendes Display
Dass das
Nothing Phone (1) anders sein will, erkennt man bereits an der dünnen, quadratischen Verpackung, die weniger auf ein Smartphone, sondern eher auf eine aufwendig verpackte CD schliessen lässt. Bereits die Dicke der Verpackung lässt vermuten, dass wohl kein Ladegerät in der Box ist, und dem ist auch so. Lediglich das USB-C-Kabel sowie ein recht aufwendig gestalteter SIM-Karten-Öffner gehören zum Lieferumfang. Einmal ausgepackt, erinnert das Gerät (erhältlich in schwarz oder weiss) aufgrund des eher kantigen Designs mit abgerundeten Ecken ziemlich stark an die aktuelle iPhone-Generation. Es wirkt dabei absolut wertig, mit einem Alurahmen sowie einer Rückseite aus Gorilla Glass, die transparent ist und einerseits den Blick freigibt auf die Innereien des Geräts, andererseits auf diverse LED-Lichtbänder – bei Nothing Glyphen genannt. Dazu aber später mehr. Auffallend ist, dass das 8,3 Millimeter dicke Nothing Phone (1) deutlich leichter wirkt als vergleichbar grosse Telefone – das Gewicht liegt bei 194 Gramm. Dabei liegt es auch sehr gut in der Hand. Trotzdem schreit das Nothing Phone (1) förmlich nach einer Hülle – nicht zuletzt deshalb, weil die Kameralinsen hervorstehen, aber auch aufgrund des edlen Gehäuses, das man nur ungern verkratzen möchte. Allerdings war es zum Testzeitpunkt gar nicht so einfach, eine solche Hülle zu finden – der Hersteller selbst bietet zwar auf seiner Website ein transparentes Exemplar an, ansonsten ist das Zubehör-Ökosystem noch nicht so gross wie bei den etablierten Herstellern.
Einmal via Knopf auf der rechten Seite eingeschaltet, wird man vom zum Gerät passend stylischen Nothing-Schriftzug begrüsst, bevor die Einrichtung beginnen kann. Absolut überzeugend dabei das Display, das beim Nothing Phone (1) 6,55 Zoll misst und eine Auflösung von 2400 x 1080 Pixel aufweist. Trotz des Preises von um die 500 Franken schafft es Nothing nicht nur, ein hochwertiges OLED-Panel zu verbauen, sondern stattet dieses auch noch mit einer adaptiven Bildwiederholfrequenz von 60 bis 120 Hz, HDR10+ und einer Helligkeit von 500 Nits respektive maximal 1200 Nits aus (wovon softwareseitig aber nur 700 Nits abgerufen werden können). Das Display ist grosse Klasse, sehr hell und dank den 120 Hz auch sehr flüssig. Positiv zu erwähnen sind zudem die gleichmässig dünnen Ränder ums Display, selbst unten, wo der Rand gerade bei günstigeren Geräten sonst gerne etwas dicker ist, sowie der Fingerabdruckscanner im Display, der gut funktioniert – mindestens so gut wie derjenige unseres gewohnten P20. Derweil ist die integrierte Gesichtserkennung nicht über alle Zweifel erhaben, auf gute Lichtverhältnisse angewiesen und dürfte zudem weniger sicher sein als bei Modellen mit Infrarotsensor.
Die auffällige Rückseite des Nothing Phone (1) mit der Glyphen-Beleuchtung – bestehend aus 900 Mini-LEDs. Erhältlich ist das Telefon in schwarz und weiss. (Quelle: Nothing)
Erhältlich bei Sunrise
Das Nothing-Phone-(1)-Testgerät wurde uns freundlicherweise von Sunrise zur Verfügung gestellt. Sunrise (
www.sunrise.ch) ist einer der offiziellen Verkaufspunkte des Nothing Phone (1) in der Schweiz. Ebenfalls erhältlich ist das Gerät bei Digitec, Mediamarkt und Mobilezone. Der UVP für die Version mit 8/128 GB liegt bei 449 Franken, 8/256 GB kosten 479 Franken und 12/256 GB 529 Franken.
Durchschnittliche Kamera und witzige Lichtspielerei
Kommen wir zum Filetstück eines jeden Smartphones – der Kamera. Die Hauptkamera des
Nothing Phone (1) besteht aus zwei Linsen, die wie erwähnt leicht aus dem Gehäuse herausragen. Die Hauptkamera stammt von Sony, kommt mit einer Auflösung von 50 MP sowie optischer und digitaler Bildstabilisierung, während die Ultraweitwinkel-Linse mit einem Samsung-Sensor und ebenfalls 50 MP aufwarten kann. Die Frontkamera (wieder von Sony) bietet 16 MP, untergebracht in einem Punch Hole.
Im Vergleich mit dem vier Jahre alten Huawei P20 – bei Erscheinen damals das Nonplusultra, was Smartphone-Fotografie angeht – muss sich das Nothing Phone (1) zwar nicht verstecken, reicht allerdings nicht ganz an seinen in die Jahre gekommenen Mitbewerber heran. Das zeigt sich vor allem bezüglich Detailschärfe, wo High-end-Geräte klar bessere Arbeit liefern – insbesondere bei schwierigen Lichtverhältnissen und bei Verwendung des Weitwinkelobjektivs, das beim Nothing Phone (1) doch schwächer ist als die Hauptkamera. Auch der Kontrast dürfte grundsätzlich etwas besser sein. Doch für den täglichen Gebrauch liefert das Smartphone durchaus anständiges Bildmaterial. Cool ist das haptische Feedback beim Zoomen, das sich ein wenig wie ein mechanisches Zoom-Objektiv anfühlt. Apropos Zoom: Im Nachtmodus steht der 5-fach-Zoom im Gegensatz zum herkömmlichen Modus nicht zur Verfügung. Anfügen muss man auch, dass bei Videoaufnahmen 4K-Auflösung nur mit 30 fps möglich sind, für 60 fps muss man die Auflösung auf 1080p zurückschrauben.
Im Zusammenhang mit Portraitfotografie sind die LEDs auf der Rückseite – das grosse Unterscheidungsmerkmal des Nothing Phone (1) – spannend: Sie tauchen bei Dunkelheit das Gesicht in ein angenehmes Licht und lassen es wärmer, natürlicher wirken als das grelle Licht des Blitzes. Ansonsten dienen die Glyphen zwar vornehmlich der Effekthascherei, können aber auch den Ladestand anzeigen oder benachrichtigen den Besitzer bei einer eingegangenen Nachricht. Ausserdem kann man Kontakten individuelle Lichtmuster zuordnen, wenn man denn möchte. Die Einstellungen dazu sind allerdings unverständlicherweise eher versteckt im Menü zu suchen. Gleichzeitig würde man sich auch wünschen, die LEDs noch weiter personalisieren zu können. Wir hätten zum Beispiel gerne vorgeben, dass die Benachrichtigungs-LEDs permanent blinken, wenn eine neue Nachricht eingegangen ist – schliesslich (oder besser gesagt: hoffentlich) starrt kaum jemand dauernd aufs Telefon, um den Moment nicht zu verpassen, wenn es kurz aufleuchtet. Gut möglich, dass Nothing hier über Updates noch weitere Optionen bietet und die Glyphen auch für Drittentwickler öffnet.
Bei Tageslicht und ohne Zoom ist kaum zu beurteilen, ob das Huawei P20 (oben) oder das Nothing Phone (1) das bessere Bild macht. Beim Foto des P20 wirken die Farben wärmer, das Nothing-Foto scheint etwas mehr Kontrast zu haben. (Quelle: SITM)
Zoomt man bei Tageslicht 5-fach heran, zeigt sich, dass das Huawei P20 deutlich schärfere Fotos (oben) schiesst und mehr Details aus dem Bild herausholt. (Quelle: SITM)
Bei den Aufnahmen mit dem Nachtmodus – beide Bilder wurden mit 2-fachem Zoom geschossen – gefällt die Aufnahme des Nothing Phone (1) hingegen deutlich besser als diejenige des Huawei P20 (oben). (Quelle: SITM)
Pures Android mit Abstürzen
Licht und Schatten findet sich beim Betriebssystem
Nothing OS. Zugutehalten muss man dem Hersteller, dass Android 12 dabei weitgehend pur und ohne Bloatware aufgespielt wurde, zudem werden drei Jahre lang neue Android-Versionen und vier Jahre Sicherheits-Updates versprochen. Die Nothing-eigenen Elemente kommen durchgestylt, dezent und cool daher. Der Schnellzugriff über das Android-Menü auf Funktionen wie die Taschenlampe ist sehr simpel gehalten, alles wirkt aufgeräumt. Auch die Performance, die der Mittelklasse-SoC Snapdragon 778G+ zusammen mit den wahlweise 8 oder 12 GB RAM liefert, gefällt. Alles, was man im täglichen Gebrauch so benutzt, läuft flüssig – wobei wir uns nicht an High-end-Games ausgetobt haben.
Irritierend ist aber, dass (mit der beim Test aktuellen Nothing-OS-Version 1.2.0) zwischendurch das ganze Phone nur noch ruckelt, worauf man das Gerät sperren und wieder entsperren muss, damit es wieder flüssig läuft. Ab und zu ist es beim Test spontan auch zu Abstürzen gekommen, etwa beim Einstecken des Ladekabels. Hier muss Nothing noch nachbessern.
Ladekabel ist ein gutes Stichwort – wie gesagt liefert Nothing kein Netzteil mit, verkauft aber ein 45-Watt-Ladegerät optional für 32 Franken. Laden lässt sich das Gerät kabelgebunden mit maximal 33 Watt, so wird der Akku in rund Eineinviertel Stunden komplett mit Strom gefüllt. Ebenfalls unterstützt wird kabelloses Laden über den Qi-Standard, wobei mit 15 Watt Strom geliefert wird. So dauert eine Komplettladung rund zwei Stunden. Reverse Charging mit 5 Watt ist ebenfalls möglich, beispielsweise um die Kopfhörer Nothing Ear 1 direkt am Telefon aufzuladen. Der Akku selbst fasst 4500 mAh, die Laufzeit ist durchaus erfreulich. Nach einem Tag durchschnittlicher Nutzung zeigt die Akku-Anzeige nach wie vor 70 Prozent, zwei Tage kommt man somit problemlos ohne Laden durch. Das ist, gerade wenn man bislang ein vierjähriges Huawei P20 benutzte, bei dem man schon froh sein muss, wenn der Akku noch einen intensiven Tag durchhält, ein ganz neues Lebensgefühl.
(mw)
Die Nothing-OS-eigenen Designelemente wurden zurückhaltend gestaltet und wirken aufgeräumt. Das Betriebssystem kommt zudem ohne Bloatware – das gefällt. (Quelle: Nothing)
Das Nothing Phone (1) kann kabellos geladen werden, zudem ist Reverse Charging möglich, etwa um die Kopfhörer Nothing Ear 1 aufzuladen. (Quelle: Nothing)
Quicktest
Das Nothing Phone (1) fällt auf – für manch einen dürfte das allein schon ein Kaufgrund sein. Wem die Extravaganz nicht reicht, der bekommt ein mehr als solides Smartphone zu einem mehr als fairen Preis, das vor allem bezüglich Verarbeitung und Display überzeugen kann und das keine wirklichen Schwächen aufweist – abgesehen von den Software-Bugs in der zum Testzeitpunkt Anfang August aktuellen Version des Nothing OS.
Info/Hersteller: Nothing,
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