Kolumnen haben es so an sich: Sie bemängeln, belehren oder teilen aus. In der Regel ist die Kritik konstruktiv gemeint und will eine Veränderung zum Positiven anstossen. Dennoch wirken die Botschaften mehrheitlich negativ-herablassend. Das war in meinen bisherigen Beiträgen nicht anders. Doch für einmal möchte ich das Vorzeichen umdrehen, eine Botschaft «in Dur» platzieren.
Es war in den frühen Nullerjahren, als wir unserer Tochter enthusiastisch von den spannenden Erfindungen und Errungenschaften erzählten, derer wir uns in der Jugendzeit – es waren die 60er- und 70er-Jahre – erfreuen durften. Darunter die Verbreitung des Fernsehens, das Tonbandgerät, gefolgt von den handlicheren Kassettenspielgeräten, oder die Einführung der CD. Aber auch der Personal Computer oder die erste Mondlandung zählten dazu. Bewundernd und neidisch zugleich meinte sie darauf: «Das ist gemein, ihr habt so viel Neues erlebt, jetzt ist ja alles schon erfunden.»
Zwei Dekaden sind seither vergangen, die sie eines Besseren belehren sollten: Suchmaschine, Handy, Cloud Computing, Musik- und Videostreaming, GPS, Autopilot, Onlineshopping, mobiles Bezahlen, Übersetzungs-App, Auto-Pilot, biometrische Identifizierung, Gen-Sequenzierung. Die Aufzählung liesse sich beinahe beliebig fortsetzen. Und die Entwicklung schreitet ungebremst voran.
Was sich nach Jahrtausenden faktischen Stillstands heute während eines einzigen Menschenlebens bewegt, ist schlicht gigantisch. Anlass genug, dankbar zu sein. Dankbar dafür, dass wir in einer so aufregenden und mehrheitlich beglückenden Zeit leben dürfen. Denn bei allen Risiken und Nebenwirkungen, die Technologien naturgemäss mit sich bringen: Deren Gewinn im Kleinen wie im Grossen ist enorm.
Im Kleinen: Wie faszinierend ist doch der Blick im Liegestuhl auf die Flightradar24-App, wenn der Jet, mit dem die Tochter ihre Mexikoreise antritt, sich Richtung Startposition bewegt. Wie beruhigend sodann die Whatsapp-Nachricht am nächsten Tag: «Alles OK hier in Cancún». Das GPS hat sie offensichtlich mühelos durch den Dschungel zum Ziel geführt. Und diktiere ich ins Handy für meine eigene Reiseplanung «Wie weit ist es von Möhlin nach München?», dann folgt nach Sekundenbruchteilen nicht nur die Distanz. Man erfährt auch, dass die 370 Kilometer mit dem Auto in vier und mit der Bahn in fünf Stunden zu bewältigen sind. Die 66 Stunden für den Fussmarsch nimmt man dann mit einem Schmunzeln zur Kenntnis. Aber auch, dass Timeshift- und Replay-Funktionen uns vom aufgezwungenen Tagesschau-Zeitdiktat des «SRF» befreit haben, ist Teil der heutigen Lebensqualität.
Und im Grossen: Über 80 Jahre Lebenserwartung bei mehrheitlich guter Gesundheit haben uns die Fortschritte bei den Arbeitsbedingungen und in der Medizintechnik beschert. Nein, die Welt war früher nicht besser, wie uns manche Miesepeter weismachen wollen. Sie war eintöniger, anstrengender, gefährlicher – und zumeist auch kriegerischer. Es ist zu hoffen, dass wir Letzteres bald ebenfalls wieder sagen können.
Betrachten wir all die Fortschritte nicht als Selbstverständlichkeit, sondern werden wir uns dieser jeden Tag von neuem gewahr. Und um zum Ende doch noch den kleinen Mahnfinger zu heben: An diesem Segen können wir auch dann teilhaben, wenn wir nicht gleich jedes Handy-Modell-Update mitmachen. Die Umwelt wird es es uns danken.
Heinz Scheuring
Heinz Scheuring ist Inhaber der Scheuring AG in Möhlin. Das Unternehmen bietet Consulting und selbstentwickelte Software für Ressourcenplanung und Projekt(portfolio)-Management an. Er ist Autor des Fachbuches «Radikale Business Software, nichts als dem Nutzen verpflichtet».
heinz.scheuring@scheuring.ch