Konflikte klärt man persönlich.» Diesen Ratschlag hat jede Person wohl schon oft gehört. Doch gilt er auch im digitalen Zeitalter? Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie arbeiten viele Berufstätige in und mit Teams, deren Mitglieder sich nie oder nur sporadisch persönlich treffen. Ansonsten erfolgen Kommunikation und Kooperation entweder online oder per Telefon. Wenn bis zum nächsten persönlichen Treffen aber noch viel Zeit verstreicht, dann muss bei akuten Konflikten die Konfliktklärung oder -lösung oft über digitale Kanäle erfolgen. Denn je länger ein Konflikt ungeklärt bleibt, desto mehr Energie kostet er und die Gefahr einer Eskalation steigt.
Vorgehen bei veränderten Rahmenbedingungen
es folgende drei speziellen Rahmenbedingungen zu beachten, die bei Konflikten ein teils anderes Vorgehen erfordern.
1. Spontane, informelle Treffen fehlenBei der klassischen Zusammenarbeit treffen sich die Kollegen im Büroflur oder Lift, in der Kaffeeküche oder Kantine mehr oder minder oft zufällig. Bei diesen Treffen erfolgt eine informelle Kommunikation. Dabei werden für den sozialen Zusammenhalt wichtige Informationen geteilt, und sie stärkt die Identifikation mit der Firma und dem Team. Ausserdem wird damit so manch potenzieller Konflikt schon im Vorfeld geklärt.
Bei einer digitalen Zusammenarbeit fehlt dieser spontane informelle Austausch. Wir können mit Hilfe der Technik hierfür zwar einen künstlichen Ersatz schaffen, die Online-Kommunikation bleibt aber zielgerichteter und folglich selektiver. So laden wir zum Beispiel in unsere Chat- oder Whatsapp-Gruppen in der Regel primär Personen ein,
- die uns sympathisch sind und ähnlich wie wir denken oder
- mit denen wir jobbedingt regelmässig kommunizieren müssen.
Dies ist ein entscheidender Unterschied. Im Büroflur oder Lift treffen wir auf alle möglichen Menschen – auch solche, deren Kontakt wir ansonsten nie suchen würden. Daraus erwächst auch die Chance, mit ihnen über heikle Themen zu sprechen, zudem erhalten wir in diesen Gesprächen nicht selten Infos, die uns sonst nie erreichen würden.
2. Vertrauen wächst online schwererDie zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche und weitgehend konfliktfreie Zusammenarbeit ist Vertrauen – und sei es nur in die fachliche Kompetenz und Zuverlässigkeit des Anderen. Vertrauen hat jedoch auch eine körperliche Dimension. Man denke nur an den Handschlag bei geschäftlichen Verhandlungen. Bei Online-Meetings und -Gesprächen fehlen die olfaktorische und taktile Wahrnehmung des Gegenübers. Dasselbe gilt für die Kommunikation per Mail. Bei ihr entfallen zudem die Mimik und Gestik des Gegenübers. Deshalb ist diese Kommunikation meist auch reduzierter und komprimierter und weniger dialogisch als die persönliche. Darum entstehen auch häufiger Missverständnisse, die nicht selten wiederum Konflikte entfachen.
3. Routinen fürs digitale Konfliktmanagement fehlenIm klassischen Betriebsalltag haben sich mit der Zeit zumeist Regeln etabliert, wie mit (potenziellen) Konflikten umgegangen wird – so zum Beispiel, dass der Teamleiter im wöchentlichen Meeting unter dem Tagungsordnungspunkt «Sonstiges» nachfragt:
- «Und ist in der Kaffeeküche immer noch so ein Chaos?» Oder:
- «Herr Meyer und Frau Müller, klappt es mit der wechselseitigen Information?»
Oder indem wir, wenn uns ein Sachverhalt unklar ist, ins Nachbarbüro gehen und nachfragen: «Könnten Sie mir mal kurz erklären, …?» und danach sagen: «Es würde mich freuen, wenn Sie künftig dies oder jenes tun würden. Dann könnte ich besser …» So wird manche Irritation, aus der ein Konflikt erwachsen könnte, aus dem Weg geräumt – auch weil wir uns letztlich alle ein entspanntes Miteinander mit den Kollegen wünschen.
Konflikte angehen statt aufschieben
Anders ist dies bei der digitalen Zusammenarbeit. Hier haben wir für den Umgang mit den mehr oder minder grossen Ärgernissen im Arbeitsalltag noch keine adäquaten Routinen und Verhaltensmuster entwickelt. So schieben wir Sachverhalte, die uns irritieren, oft auch aus Bequemlichkeit auf die lange Bank, denn sonst müssten wir aktiv werden und dem Gegenüber entweder eine Mail schreiben oder die Person per Telefon kontaktieren. Das führt nicht selten dazu, dass sich bei uns mit der Zeit ein starker Unmut anstaut, der zu massiven Konflikten führt, die sich oft nur noch schwer beheben lassen, weil inzwischen bereits tiefe emotionale Wunden entstanden sind.
Wie lassen sich solche Entwicklungen vermeiden? Worauf sollten wir bei online geführten Konfliktgesprächen achten? Und: Wie können wir dafür sorgen, dass mittelfristig eine konstruktive Konfliktkultur entsteht – auch bei der virtuellen oder hybriden Zusammenarbeit?
Umgang mit Konflikten bei der digitalen Zusammenarbeit
ehrliches Interesse aller beteiligten Konfliktparteien daran besteht. Das gilt auch im digitalen Kontext. Eine konstruktive und sichere Gesprächsatmosphäre ist wichtig für eine nachhaltige Konfliktlösung.
Tipp 1: Routinen einführenGerade wenn ein Team am Anfang einer gemeinsamen virtuellen oder hybriden Zusammenarbeit steht, sollte man in die Konfliktkultur investieren, denn: Nicht jeder Mensch ist gewohnt, über seine Gefühle und Eindrücke sowie Missverständnisse und Irritationen im Team offen zu sprechen – schon gar nicht online. Am einfachsten kann hier gegengesteuert werden, indem entsprechende Routinen gezielt in den Kommunikations- und Kooperationsprozess eingebaut werden. Das kann in Form von Austauschtreffen oder kurzen Check-in-Fragen zu Beginn eines Online-Meetings geschehen.
Tipp 2: ein Vorbild seinMeist ist es keine gute Strategie, darauf zu warten, dass andere Personen die potenziell heiklen Themen ansprechen. Man sollte von sich aus aktiv werden. Angenommen jemand hat sich zum Beispiel über einen Sachverhalt zu Recht oder Unrecht geärgert. Dann sollte diese Person dies offen kommunizieren – möglichst in Form einer Ich-Botschaft. Hierfür ein Beispiel: «Ich hatte bei unserem letzten Online-Meeting den Eindruck, ich war als einziger Teilnehmer vorbereitet. Das hat mich geärgert, weil …»
Tipp 3: digitale Räume zur Konfliktlösung schaffenIm digitalen Kontext fällt es uns leicht, Konflikten aus dem Weg zu gehen. «Computer aus – Konflikt weg», denken viele. Doch so einfach ist das leider meist nicht, auch weil bei der digitalen Zusammenarbeit oft die spontanen Treffen fehlen, in denen wir «en passant» das Artikulieren können, was uns belastet und unsere Arbeit erschwert. Deshalb sollte man darauf achten, dass sich die Teammitglieder proaktiv Orte zur Konfliktklärung schaffen – zum Beispiel in Form von Chat- oder Videokonferenz-Rooms oder Teilgruppensitzungen, denn: Konflikte sind, wenn Menschen zusammenarbeiten, normal. Dabei sollte man bedenken: Bei heissen Konflikten, bei denen schon emotionale Wunden entstanden sind, ist oft auch online eine Moderation durch neutrale Dritte nötig.
Tipp 4: die Konfliktarena klein halten
Zu einem Konfliktgespräch sollten stets nur die direkt involvierten Personen eingeladen werden. Man sollte sich durch die Digitaltechnik nicht dazu verleiten lassen, möglichst viele Leute einzuladen, nur weil dies online so einfach ist. Für das Lösen von Konflikten ist oft nötig, dass Personen über ihren eigenen Schatten springen. Das fällt ihnen im kleinen Kreis meist leichter, in dem für gewisse Dinge Vertraulichkeit vereinbart wurde.
Tipp 5: auf das digitale Wir-Gefühl achten
Wie gut die Zusammenarbeit funktioniert, hängt – egal ob in analogen, digitalen oder hybriden Teams – stets auch vom Gemeinschaftsgefühl ab. Bei einer digitalen Zusammenarbeit fehlt häufig der spontane informelle Austausch, der das Wir-Gefühl stärkt. Also sollte diese Form der Kommunikation auch digital sozusagen künstlich ermöglicht werden. Zum Beispiel durch Meetings, die rein dem Small Talk dienen. Zudem sollten in Online-Meetings, sofern möglich, nicht nur die «Hard Facts» und «Needs» abgearbeitet werden. In der Agenda sollte bewusst auch Zeit für den informellen, persönlichen Austausch und die Beziehungspflege eingeplant werden.
Tipp 6: die Redeanteile im Auge behalten
Im digitalen Raum ist es wichtig, Gesprächen mehr Struktur zu geben als bei persönlichen Treffen. Hierzu zählt auch, im Blick zu haben, ob bei Konfliktgesprächen alle Beteiligten ähnlich grosse Redeanteile haben. Vielredner zu stoppen und Schweiger gezielt zu aktivieren, erfordert online eine aktive Moderation. Dabei sollte man darauf achten,
- ob sich jemand auffällig zurückzieht,
- ob auf die Themen und Statements des jeweils anderen eingegangen wird und
- wie die Gesprächspartner mit Emotionen umgehen.
Generell gilt: Erfolgt ein grosser Teil der Kommunikation und Zusammenarbeit digital, sind die verbleibenden realen Begegnungen umso wichtiger für
- die Reflexion der Kooperation,
- das Entwickeln und Aufrechterhalten des Team Spirit und
- den Auf- und Ausbau persönlicher, von Vertrauen geprägter Beziehungen.
Daher sollten, sofern möglich, auch bei einer weitgehend virtuellen Zusammenarbeit in gewissen Zeitabständen persönliche Treffen aller Teammitglieder organisiert werden. Ein persönliches Sich-kennen- und -verstehen-lernen sowie ein gemeinsames Feiern wirkt Konflikten entgegen. Entstehen trotzdem Konflikte, dann gilt auch bei einer virtuellen Zusammenarbeit: Ein persönliches Konfliktgespräch ist, sofern möglich, einer digitalen Konfliktbearbeitung vorzuziehen – speziell dann, wenn es für eine nachhaltige Konfliktlösung nötig ist, dass die Konfliktparteien sich in die Augen schauen und zum Schluss des Konfliktgesprächs versöhnt die Hände reichen.
Die Autorin
Sabine Prohaska ist Inhaberin des Wiener Beratungsunternehmens Seminar Consult Prohaska, das Online- und Blended-Learning-Trainer ausbildet und eine hybride Ausbildung zum Konfliktberater mit dem Titel «Lösungsorientiert in einer hybriden Arbeitswelt» anbietet. Sie ist Mitglied des Vorstands der Vereinigung der Businesstrainer Österreich (VBT).