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Die Selbstwirksamkeit von Personen und Teams erhöhen

Neue Herausforderungen beherzt anzugehen, das können wir nicht nur lernen, wir sollten es lernen – nicht nur, um gute und attraktive Mitarbeitende zu bleiben, sondern auch, um unser Leben mit Erfolg zu meistern.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2022/03

     

Menschen sind verschieden. Diese Erfahrung sammeln wir täglich – beruflich und privat. So registrieren wir zum Beispiel immer wieder, dass manche Männer und Frauen, wenn sie vor neuen Herausforderungen stehen, sofort denken und oft auch sagen «Das kann ich nicht.» Entsprechend zögerlich gehen sie, wenn überhaupt, die Herausforderung an. Das schmälert auch die Erfolgswahrscheinlichkeit.

Andere Menschen hingegen denken bei derselben Herausforderung vielleicht zunächst auch «Oh Schreck, was kommt da auf mich zu?». Doch dann gewinnt in ihnen die Überzeugung überhand: «Irgendwie schaffe ich das schon. Schliesslich habe ich schon viele Herausforderungen gemeistert.» Entsprechend zuversichtlich gehen sie die Aufgabe an. Und meist gelingt es ihnen auch, diese zu meistern – auch weil sie nach dem ersten Fehlversuch nicht sogleich die Flinte ins Korn werfen.


Auffallend ist: Wie selbstbewusst und zuversichtlich Menschen neue Aufgaben angehen, hat oft wenig mit ihren realen Fähigkeiten zu tun. Immer wieder registriert man zum Beispiel, dass Personen, die eigentlich für das Lösen bestimmter Aufgaben prädestiniert wären, bei deren Anblick der Mut verlässt. Andere hingegen, von denen man denkt, dass sie noch viel lernen müssten, gehen selbstbewusst und beherzt ans Werk. Das zeigt: Wie wir auf Herausforderungen reagieren, hängt weitgehend von unserer subjektiven Gewissheit ab, nach dem Motto «Irgendwie kann ich die Aufgabe schon lösen, auch wenn ich noch nicht weiss, wie».

Auf Erfolg oder Misserfolg programmiert?

Diese positive Grundüberzeugung ist bei den Menschen verschieden stark ausgeprägt. Während manche Frauen und Männer – bildhaft gesprochen – eher auf Erfolg programmiert sind, sind andere auf Misserfolg programmiert. Entsprechend unterschiedlich verarbeiten sie Rückschläge. Eine sehr selbstwirksame Person – also eine Person, die in ihre Kompetenz, auch neue Aufgaben zu lösen, vertraut – denkt nach einem Fehlversuch zum Beispiel: «Dass es nicht klappte lag daran, dass ich hiermit noch wenig Erfahrung hatte. Also lass’ mich einen zweiten Versuch wagen und dabei das durch den Misserfolg erworbene Wissen anwenden.» Sie reflektiert also durchaus ihr Tun. Der Fehlversuch ist für sie aber kein Anlass, grundsätzlich an sich und ihrer Kompetenz zu zweifeln.


Anders reagiert eine weniger selbstwirksame Person. Sie denkt nach einem Fehlversuch zum Beispiel: «Ich habe doch gleich gewusst, dass ich das nicht kann und daran wird sich nichts ändern.» Also startet sie keinen zweiten Versuch. Oder sie startet ihn nur widerwillig – zum Beispiel, weil sie vom Chef dazu verdonnert wurde. Entsprechend gross ist die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Scheiterns. Und dieses Scheitern wirkt sich wiederum negativ auf die Erwartung aus, mit der die Person künftig ähnliche Herausforderungen angeht.

Eine neue Schlüsselkompetenz – beruflich und privat

Das ist schade, denn in unserer modernen, von rascher Veränderung geprägten Welt werden wir immer häufiger mit neuen Herausforderungen konfrontiert – beruflich und privat. Also wird es zunehmend zu einer Schlüsselkompetenz, mit ihnen adäquat umzugehen. Das haben auch die Personalverantwortlichen in den Unternehmen erkannt. Sie debattierten in den letzten Jahren intensiv unter der Überschrift Beschäftigungsfähigkeit beziehungsweise Employability über dieses Thema und kamen zur Erkenntnis: Künftig müssen die Mitarbeiter unserer Unternehmen verstärkt über folgende Eigenschaften verfügen:

- die Fähigkeit zur Selbstreflexion,
- Offenheit für neuen Ideen und Problemlösungen,
- die Fähigkeit zum Umgang mit ungewohn­ten Situationen und Konstellationen,
- Lernfähigkeit und -bereitschaft.
- die Fähigkeit zum Erkennen und die Bereitschaft zum Nutzen von Chancen.


Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Die Unternehmen erwarten zunehmend, dass ihre Mitarbeitenden und Teams sich selbstbewusst neuen Herausforderungen stellen und diese meistern; ausserdem, dass sie sich eigeninitiativ und -verantwortlich die Fähigkeiten aneignen, die sie für ihren Job beziehungsweise zum Wahrnehmen ihrer Funktion in der Organisation (künftig) brauchen. Oder anders formuliert: Ihre Mitarbeitenden und Teams sollen selbstwirksamer sein.

Woraus sich unsere Selbstwirksamkeit speist

Doch wie kann eine Person ihre Selbstwirksamkeit erhöhen? Laut Untersuchungen des kanadischen Psychologen und Lerntheoretikers Albert Bandura, der leider im Juli 2021 verstarb, speist sie sich vor allem aus folgenden vier Quellen:

1. Eigene Erfahrungen im Meistern von schwierigen Situationen: Sie sind für den Ausbau der Selbstwirksamkeit sehr wichtig. Denn wer schon wiederholt die Erfahrung gesammelt hat, schwierige Aufgaben lösen zu können, traut sich dies auch künftig zu. Von besonderer Bedeutung sind dabei sogenannte Mastery Experiences. Sie entstehen, wenn eine Person eine Situation oder Aufgabe meistert, von der sie zunächst nicht wusste, wie sie diese lösen soll und kann.


2. Lernen an Modellen und von Vorbildern: Beobachtet eine Person eine andere beim Lösen einer schwierigen Aufgabe, dann kann dies ebenfalls ihr Selbstvertrauen stärken – getreu der Maxime: «Wenn der oder die das kann, dann kann ich das auch!» Eine Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen den beiden Personen eine gewisse Ähnlichkeit bestehen muss. Sie müssen zum Beispiel eine ähnliche Biografie oder Persönlichkeitsstruktur haben.

3. Soziale und emotionale Unterstützung: Auch durch ermutigenden Zuspruch gewinnen Menschen Vertrauen in ihre Fähigkeiten – jedoch nur, wenn sie der Person, die sie anspornt, die erforder­liche Kompetenz zum Beurteilen ihres Könnens zuschreiben. Ebenfalls positiv auf die Selbstwirksamkeit wirkt sich das Wissen aus: «Wenn es eng wird, kann ich auf Unterstützer zurückgreifen» – fachlich oder emotional.

4. Physiologische sowie emotionale Zustände und Reaktionen: Menschen schliessen aus ihren Emotionen und körperlichen Reaktionen auf ihre Fähigkeiten. Verspüren sie zum Beispiel Herzrasen, wenn sie vor einer Aufgabe stehen, dann denken sie meist unmittelbar: «Ich kann das nicht» – häufig noch bevor sie die Machbarkeit analysiert haben. Deshalb ist es wichtig, die Ursachen der eigenen Emotionen und physiologischen Reaktionen analysieren zu können. Ist die Reaktion der Aufgabe angemessen oder handelt es sich nur um eine erste Schreckreaktion?

Die Selbstwirksamkeit im Unternehmen erhöhen

Die Kenntnis dieser Quellen ermöglicht es, für Personen und Teams Lernumgebungen zu kreieren, die deren Selbstwirksamkeit fördern. Unabdingbar hierfür ist es, sich regelmässig Herausforderungen zu stellen, bei denen man zunächst vermutet: «Diese Aufgabe könnte mich (beziehungsweise uns) überfordern». Denn an solchen Aufgaben wächst man.

Beim Versuch, entsprechende Aufgaben zu lösen, ist sinnvoll, diese als Projekt zu sehen und zunächst zu analysieren, welche Teilaufgaben damit verbunden sind. In einem zweiten Schritt kann dann ermittelt werden, ob einen die Gesamtaufgabe oder nur gewisse Teilaufgaben erschauern lassen. Ist dies klar, kann untersucht werden, warum man zurückschreckt. Zum Beispiel, weil Ressourcen und Kenntnisse fehlen? Oder weil man hiermit noch keine Erfahrung hat? Oder weil die Lösung erfordert, gewisse Gewohnheiten aufzugeben? Oder weil beim Lösen der Aufgabe Konflikte mit Kollegen absehbar sind? Hat man dies ermittelt, kann man einen vorläufigen Aktionsplan erstellen und aus den Teilaufgaben Teilziele ableiten, die es auf dem Weg zum grossen Ziel zu erreichen gilt. Zudem kann die Unterstützung organisiert werden, die für den Erfolg benötigt wird. Wichtig ist noch ein weiterer Punkt, der leider oft vergessen wird: Da das Bewältigen der Herausforderung auch dem Steigern der Selbstwirksamkeit dient, sollten Einzelpersonen oder Teams zudem Lernfelder definieren, in denen sie ihre Kompetenz erweitern möchten. ­Ausserdem sollten Kriterien dafür definiert werden, wie das Erreichen der Lernziele gemessen werden soll.

Sich in eine Lernspirale begeben

Die in dem Projekt definierten Teil- und Lernziele haben eine unterschiedliche Funktion. Das Definieren von Teilaufgaben und -zielen soll primär helfen, einen realistischen Aktionsplan zu erstellen, so dass man nach dem Projekt mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sagen kann: «Wow, das war zwar anstrengend. Doch ich habe (beziehungsweise wir haben) es geschafft.» Und wenn das Projektziel wider alle Erwartungen doch nicht oder nur teilweise erreicht wurde? Dann ermöglicht das Definieren von Teilaufgaben im Rückblick zu analysieren, welche Teil­aufgaben mit Bravour gelöst werden konnten und wo Schwierigkeiten auftraten. Das heisst, man kann das «Scheitern» relativieren und rationalisieren, was wichtig für das Selbstvertrauen ist. ­Ausserdem kann man dann auch neue Lernfelder und -ziele definieren.

Das Definieren von Lernzielen hat die Funktion, dass bei Projektende ermittelt werden kann, welche neuen Kompetenzen ein Individuum oder ein Team hinzugewonnen haben und welche vergleichbaren Aufgaben sie künftig problemlos meistern können. Zudem kann so der noch bestehende Entwicklungsbedarf ermittelt werden.


Wenn man beim Bewältigen von herausfordernden Aufgaben so vorgeht, begibt man sich in eine Lernspirale, die einen systematischen Ausbau der Kompetenz als Einzelperson und/oder Team bewirkt. Zudem wird dadurch das Vertrauen in die eigene Fähigkeit gesteigert, neue Herausforderungen zu meistern, womit auch die Selbstwirksamkeit ent­wickelt wird.

Der Autor

Joachim Simon, Braunschweig, ist als Führungskräftetrainer und Vortragsredner auf das Thema (Self-)Leadership spezialisiert. Er ist Autor des im Haufe-Verlag erschienen Buchs «Selbstverantwortung im Unternehmen» und Co-Founder der (Self-)Leader­ship-Coaching-App Mindshine.


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