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CIO-Interview: «Die Entwicklung des PC-24-Jets erfolgte komplett digital»

Marcel Aregger leitet die IT der Pilatus Flugzeugwerke. Das Schweizer Traditionsunternehmen setzt IT unter anderem auch bei der Entwicklung seiner Flugzeuge ein, die heute von der Nase bis zur Heckflosse digital konzipiert werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2021/11

     

Swiss IT Magazine»: Wie sind Sie zu Ihrem Job bei den Pilatus Flugzeugwerken gekommen? Könnten Sie Ihren Werdegang skizzieren?
Marcel Aregger:
Als Maschinenbauer im Seilbahnbau bin ich schon früh mit CAD-Lösungen in Berührung gekommen. Diese Technologie hat das Interesse für Informationstechnologie in mir geweckt, worauf ich ein Informatik-­Studium absolviert habe. Dieser Schritt hat es mir ermöglicht, in die Technische Informatik der Pilatus Flugzeugwerke zu wechseln, ein Fachbereich, der IT-Lösungen für das Engieering bereitstellt. Mein technischer Background, die solide Informatik-Ausbildung und die Informatik von Pilatus haben mir viele Möglichkeiten eröffnet, mich zu entwickeln. Ich bin seit mehr als 17 Jahren bei Pilatus und durfte eine spannende Entwicklung der Unternehmung miterleben und mitgestalten. Und diese Reise ist noch nicht vorbei!

Haben Sie eine besondere Affinität zu Flugzeugen und zur Luftfahrt im ­Allgemeinen?
Ich fühle mich nicht primär nur von Flugzeugen angesprochen. Es ist die Faszination für Unternehmen, die anspruchsvolle und innovative Produkte herstellen und sich im Markt entsprechend behaupten können. Ich erlebe immer wieder Wow-Momente, wenn ich auf dem Pilatus-Tarmac vor einem PC-24 oder PC-21 stehe. Jeder Informatiker leistet hier einen Beitrag, um solche Produkte zu bauen und zu betreiben.


Welche Rolle haben Sie bei Pilatus als Leiter der IT und wie sind Sie und Ihr Team in die Organisation des Unternehmens eingebettet?
Einfach ausgedrückt gibt es bei Pilatus drei übergeordnete Bereiche, wo IT Services oder -Produkte entstehen. Bei Airborne-Software geht es um Lösungen, die für das Gesamtsystem Flugzeug ent­wickelt wurden. Sie werden vom ­Engineering verantwortet. Software-­Lösungen und Simulatoren für das Pilot Ground & Flight Training sind eng mit dem Produkt gekoppelt und liegen in der Verantwortung eines weiteren, spezialisierten Fachbereiches. Der ganze Rest wird von der Pilatus-IT verantwortet. Der VP Supply Chain & ICT vertritt die Interessen der ICT in der Geschäftsleitung.

Und wie ist Ihr Team aufgebaut und organisiert?
Rund 60 Informatiker, strukturiert in sechs Teams, bilden die Basis der IT von Pilatus. Die Gliederung ist traditionell und teilt die Verantwortlichkeit in Bereiche wie Business-Systeme, Technische Informatik, ICT Operations und beispielsweise Service & Support. Ein Team für Software-Entwicklung und Business Intelligence ist ebenfalls in die IT-Organisation eingebunden. Wir überdenken aktuell die Struktur und das Operating Model der IT, um die Kunden- und Business-Fokussierung und das IT-Service-Portfolio weiter zu optimieren und den aktuellen Anforderungen anzupassen.

Wie sieht die IT-Infrastruktur bei ­Pilatus aus, und welche Aufgaben erfüllt sie?
Mit der Kernsystem-Landschaft von ­Pilatus, bestehend aus vier Kernapplikationen, können unsere Prozesse digital abgebildet werden. Sie bildet einen single Point of Truth und ermöglicht die geplanten digitalen Entwicklungsschritte. Die Maturität der Teilkomponenten der Landschaft ist unterschiedlich ausgeprägt. Durch die rein digitale Produktentwicklung ist der Bereich Product Data Management & CAx weit fortgeschritten. Mit der Einführung von SAP S/4HANA wird das ERP-System aktuell modernisiert. Zahlreiche Subsysteme ergänzen den Funktionsumfang und die Datenbasis aus der Kernsystem-Landschaft. Sie sie sind in die Hauptsysteme integriert oder als Insellösungen realisiert. Vier strategische Plattform-Lösungen wie Microsoft 365, SAP Successfactors oder beispielsweise das Kundenportal MyPilatus dienen dazu, Mitarbeitende und Kunden digital in die Unternehmung einzubinden.

Sind die Tochtergesellschaften in den USA und in Australien auch in die IT der Gruppe eingebunden oder arbeiten diese ganz oder teilweise autonom?
Wir arbeiten sehr eng mit den Tochtergesellschaften zusammen und bieten ­IT-
Know-­how und -Services rund um den Globus. Mit dem eigenen Anspruch, der Operational Excellence, das heisst das Bereitstellen von ICT-Services mit hoher Qualität, Compliance und Sicherheit maximieren zu wollen, müssen wir die Zusammenarbeit und Integration weiter intensivieren beziehungsweise vorantreiben. Es gilt aber immer der Grundsatz: Integration nur wo nötig und sinnvoll.


Arbeiten Sie mit ihrem Team auch mit externen Partnern zusammen? Und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit diesen?
Im Umfeld zunehmender Komplexität, hoher Dynamik und beschränkter Ressourcen, beispielsweise durch den Fachkräftemangel, wird es immer anspruchsvoller, Schritt zu halten und die Erwartungen des Managements und der Endbenutzer zu erfüllen. Die Pilatus-IT soll sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und so die notwendigen Freiräume schaffen. Wir arbeiten oft und gerne mit externen Partnern zusammen und sind bestrebt, ein Netzwerk an ausgewählten Experten und Service-Providern aufzubauen und zu pflegen. Langjährige Partnerschaften sollen für Kontinuität sorgen und eine solide Grundlage bilden.


Entwickeln Sie und Ihr Team auch selbst Software-Lösungen? Und in welchen Bereichen kommen diese zum Einsatz?
Ein Team von Product-Ownern und Software-Entwicklern designt und baut Lösungen für die Operations, das heisst Fertigung, Montage und Logistik, unsere Kunden oder Mitarbeitenden. Aus diesem Fachbereich gehen Lösungen wie beispielsweise die Electronic Production Instruction ePI, sprich die digitale Montage-Anweisung, die Pilatus-Webseite oder der Digital Office Workplace hervor.

Welche Bedeutung hat das breite Thema der Digitalisierung für ein Unternehmen wie Pilatus? Wo stehen Sie, und wo wollen Sie noch hin?
Der Digitalisierungs-Grad im Bereich der Produktentwicklung ist aktuell sehr hoch. Die Entwicklung des PC-24-Jets erfolgte komplett digital und in Rekordzeit. Engineering-Daten werden beispielsweise direkt wiederverwendet, um den 3D-­Illustrated Parts Catalog abzuleiten und in elektronischer Form den Kunden zur Verfügung zu stellen. Die Durchgängigkeit dieses Prozesses und der Tooleinsatz stellen ein Novum in der Branche dar. Die Durchdringung der ICT im Bereich der Operations wird aktuell gezielt und nachhaltig vorangetrieben. Mit dem digitalen Arbeitsplatz und dem digitalen Shop-Floor Management soll das Papier aus der Fertigung verbannt werden. Wir arbeiten sehr eng mit der Abteilung für Digitalisierung und dem Business zusammen, um den optimalen Grad der Digitalisierung zu bestimmen und umzusetzen. Nicht jede digitale Lösung ist die beste Lösung! Ohne solide Basis ist ein Digital Take-off aber nicht möglich. Wir investieren darum viel Energie, um mit Initiativen wie IoT-Infrastruktur, eDWH oder Data Governance die notwendigen Voraussetzungen für die Digitalisierung zu schaffen.


Sind Sie und Ihr Team auch für die digitale Innovation im Unternehmen zuständig, und wie gehen Sie dieses Thema an?
Die ICT pflegt einen engen Austausch mit dem Fachbereich. Wir haben den Vorteil, dass alle unternehmerischen Disziplinen am Standort Stans vertreten sind und so Ideen schnell und ganzheitlich betrachtet und beurteilt werden können. Durch den Bottom-up Approach haben viele Ideen und Innovationen ihren Ursprung im Fachbereich, an der Quelle. Pilatus unterhält ein Ideen-Management und animiert Mitarbeitende so, das eigene Tun zu hinterfragen und laufende Verbesserung anzustreben. Alle guten Ideen werden prämiert. Innerhalb der IT ­erwarte ich von meinen Teamleitern, dass sie die Rahmenbedingungen schaffen, damit sich IT-Mitarbeitende auch mit Themen ausserhalb des angestammten Bereiches befassen können. Die Erkenntnisse müssen dann aber in das Team transportiert werden. Es ist wichtig, auch mal ­einen Testballon steigen zu lassen.

Welche sind denn die grössten Herausforderungen, mit denen die IT der Pilatus Flugzeugwerke derzeit konfrontiert wird?
Eine gewisse Unschärfe im digitalen Zukunftsbild und die damit verbundene Planungsunsicherheit macht es anspruchsvoll, die Weichen richtig zu stellen. Wir sind gezwungen, die Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Unternehmung laufend zu prüfen und die Chancen und Risiken sorgfältig abzuwägen. Die digitale Veränderung wird kommen, so viel ist sicher, die Ausprägung hingegen muss punktuell noch geschärft werden. Viele oder alle Wege führen in die Cloud. Mit zunehmendem Einsatz von Cloud-Lösungen, gewollt oder ungewollt, verändert sich auch die System- und Applikationslandschaft in Richtung hybride IT-Infrastruktur. Der System-Perimeter verschiebt sich, womit sich neue Herausforderungen für die Pilatus-IT ergeben. Bisher zeigte sich Pilatus aus verschiedenen Gründen eher restriktiv im Umgang mit Cloud-Lösungen. Die Chancen von Cloud-Lösungen oder die Cloud-Strategie von Lösungsanbietern zwingen uns aber, die bisherige Haltung punktuell zu überdenken. Die Transformation einer eher operativ ausgerichteten IT in eine agile, flexible IT ­beziehungsweise Organisation ist eine weitere wichtige Aufgabe. Dieser Kulturwandel ist notwendig, um die erforderliche Geschwindigkeit und Präzision in der Digitalisierung zu erreichen.


Gibt es aktuell interne oder externe IT-Projekte, die Sie beschäftigen?
In der ICT-Strategie haben wir zahlreiche Handlungsfelder identifiziert und beschrieben, die wir nun gemeinsam bearbeiten. Hierzu gehören neben dem digitalen Arbeitsplatz im Shop-Floor beispielsweise auch eine Infrastruktur für Datenverarbeitung & Reporting. Letzteres bildet die technische Grundlage für die gezielte Verarbeitung und Nutzung von Sensordaten im Bereich Connected Aircraft oder in Fertigungseinrichtungen. Sie fliessen zukünftig in datengestützte Services für unsere Kunden oder in die Planung und Steuerung der Fabrik. SAP S/4HANA, ein weiteres strategisches Vorhaben, bildet das neue ERP-Rückgrat bei Pilatus. Der Ersatz für die bestehende SAP-Version soll dazu verwendet werden, das ERP-System grundlegend zu überarbeiten und auf neuen Technologien aufzubauen. Mit SAP S/4HANA wollen wir Prozessinnovationen realisieren und die Wertschöpfungskette weiter optimieren.

Spüren auch Sie den Fachkräftemangel in der IT oder ist es eher unproblematisch, Spezialisten für ein Tra­ditions­unternehmen wie Pilatus zu ­rekrutieren?
Wir wollen beim Sourcing neue Wege gehen und dabei Alternativen kritisch prüfen. Ziel ist, dass wir uns auf die Schlüsselkompetenzen der Digitalisierung und einer modernen und flexiblen IT konzentrieren. Was andere besser machen, können wir auslagern und so die notwendigen Freiräume schaffen. Was bleibt ist vermehrt der Bedarf an Spezialisten, sei es im Bereich Business Intelligence, IoT, Sicherheit oder natürlich SAP S/4HANA. Wir wollen Lücken auch schliessen, indem wir auf Nachwuchskräfte setzen und diese entwickeln oder beispielsweise interessante Trainee-Programme anbieten. Auch wir spüren den harten Wettbewerb um die ­Talente!


Und was macht schliesslich den Reiz Ihrer Arbeit bei Pilatus für Sie aus?
Menschen, Aufgaben und Per­spektiven. Ich habe das Privileg, mit vielen interessanten Menschen zusammenzuarbeiten, die täglich viel Herzblut und Engagement einbringen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Die Pilatus-Produkte, die Operations wie auch die Services werden immer digitaler. Zum einen eröffnen sich hier neue Handlungsfelder und zum anderen können und müssen wir uns intensiv mit dem Business und dessen Anforderungen auseinandersetzten. Diesen Austausch und diese Zusammenarbeit schätze ich sehr. Mit der zunehmenden Durchdringung der IT in beispielsweise die Fertigung oder Montage können Abläufe optimiert und Prozesse digitalisiert werden. Das ist eine spannende Aufgabe in einem komplexen System- und Business-Umfeld. Der interdisziplinäre Charakter dieser Aufgabenstellung fordert und fördert. Ein weiterer Pluspunkt ist das Investment von Pilatus in die Führung. Führungskräfte aller Stufen werden motiviert, das eigene Tun zu hinterfragen und sich auch persönlich weiterzuentwickeln. Trotz viel Arbeit gibt es also auch Raum für Weiterbildung.

Marcel Aregger

Marcel Aregger (52) gelangte über eine handwerkliche, mechanische Grundausbildung sowie eine Weiterbildung im Bereich Maschinenbau in das Engineering der Firma Garaventa. Als Konstrukteur und Projektleiter kam er hier mit CAD-Technologien in Kontakt, die sein Interesse für die IT weckten. Ein Diplomstudium in Informatik sowie ein Nachdiplomstudium in Wirtschaft ermöglichten den Wechsel in die Informatik der Pilatus Flugzeugwerke, wo Aregger als ICT Application Engineer startete und nach vier Jahren die Leitung der Technischen Informatik übernahm. Über mehrere Jahre begleitete und unterstützte er die digitale Produktentwicklung des PC-21 sowie PC-24. Seit Mitte 2017 ist er verantwortlich für die Informatik der Pilatus Flugzeugwerke und stellt ICT Services für mehr als 2500 Benutzer innerhalb der PilatusGruppe sicher.

Zum Unternehmen

Die 1939 gegründete Pilatus Flugzeugwerke ist die einzige Schweizer Firma, die Flugzeuge entwickelt, baut und auf allen Kontinenten verkauft: vom legendären einmotorigen Turbopropflugzeug PC-12 bis hin zum Trainingssystem PC-21. Das neueste Flugzeug ist der PC-24 – der weltweit erste Business Jet, der auch auf kurzen Naturpisten operieren kann. Die Firma mit Hauptsitz in Stans ist nach ISO 14001 zertifiziert und unterstreicht damit ihr Umweltbewusstsein. Zwei selbstständige Tochtergesellschaften in Broomfield (Colorado, USA) und Adelaide (Australien) gehören zur Pilatus Gruppe. Mit über 2000 Mitarbeitenden am Hauptsitz ist Pilatus einer der grössten Arbeitgeber in der Zentralschweiz. Pilatus bildet rund 130 Lernende in 13 verschiedenen Lehrberufen aus – die Förderung von jungen Berufsleuten hat bei Pilatus einen hohen Stellenwert. (luc)


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