Swiss IT Magazine: Lassen Sie uns erst über den Kontext Ihres Betriebes sprechen, um Ihre gesamte Situation besser zu verstehen, bevor wir auf die Herausforderungen der Coronapandemie zu sprechen kommen. Wie sind Sie in Ihrer Spital-IT aufgestellt?
Markus Spiess: Wir beziehen einen Grossteil der IT-Dienstleistungen von externen Providern. Im Rahmen der aktuellen IT-Strategie 2016 bis 2022 wurde entschieden, dass gewisse Kompetenzen inhouse aufgebaut werden sollen. Umgesetzt wurde das in der Form eines Servicepoints. Die Idee dahinter war, der IT als Dienstleister ein Gesicht zu geben, den persönlichen Kontakt der Informatik zu GZO-Mitarbeitenden als unsere Kunden zu fördern und die gemeinsame Zusammenarbeit zu stärken.
Und wie viele Teammitglieder zählt Ihre interne Abteilung heute?Im Dezember 2018 habe ich die Informatikabteilung mit zwei Servicepoint-Mitarbeitenden und einem Mitarbeitenden im Bereich der klinischen Applikationen übernommen. Mittlerweile zählt das IT-Team am GZO sieben Personen. Wir haben insgesamt drei Applikationsverantwortliche. Eine Person im Bereich der klinischen und administrativen Businessanwendungen (KIS und ERP), eine Person für das Thema Medizininformatik und als dritte Person den zuständigen Applikationsverantwortlichen für die technischen Kommunikationssysteme. Ab August 2020 wird unser Servicepoint durch einen dritten Mitarbeitenden verstärkt. Als zusätzliche Unterstützung des Applikationsverantwortlichen (KIS, ERP) haben wir im Teilpensum einen weiteren Mitarbeitenden.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den externen Dienstleistern, die Sie angesprochen haben?Die Zusammenarbeit basiert auf umfangreichen Service Level Agreements. Die gesamte Infrastruktur wie Server, Storage und Netzwerk wird in den georedundanten Rechenzentren eines Dienstleisters betrieben. Eine gute Abstimmung der Prozesse und natürlich eine gute Kommunikation mit dem Provider ist eine wichtige Voraussetzung für einen reibungslosen Betrieb. Gerade weil wir die interne Informatikabteilung in den letzten Jahren vergrössert haben und spezifische Services selbst übernehmen können, entstehen nun neue Schnittstellen, die gemeinsam koordiniert sein müssen.
Machen Sie mit dieser Mischung aus internen und externen Leistungen gute Erfahrungen?Die Erfahrungen sind unterschiedlich, je nach Themenbereich. In einem Spital gibt es aufgrund der Heterogenität sehr viele komplexe Themenfelder. Für einen Provider ist es daher natürlich eine Herausforderung, in allen Fachgebieten entsprechende Fachkompetenz auszubauen. Die Herausforderung für uns ist es daher, herauszufinden, mit welchem Partner welche Themen angegangen werden. Die Frage ist also: Mit welcher Sourcing-Strategie erreiche ich die beste Wertschöpfung für unser Unternehmen?
Gleichzeitig haben Sie ja einen Teil der Kompetenzen aktiv wieder zurück ins Haus geholt.Ja, neben dem Aufbau eines eigenen Servicepoints haben wir die strategische Führung der Projekte ins Haus geholt.
Wie haben Sie das strategisch umgesetzt?Gemeinsam mit der Abteilung für Unternehmensentwicklung führten wir das Projekt-Steuerungsverfahren Kanban ein. So ist es in den letzten Jahren gelungen, Dutzende von Projekten unterschiedlicher Komplexität spitalübergreifend und ihrem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend sichtbar zu machen, zu priorisieren und in der Planung und Umsetzung zu begleiten. Auf der Ebene des Servicepoints legten wir den Fokus auf das Endgerät. Bekanntlich entstehen dort Probleme oder Anforderungen. Ein Endgerät, zum Beispiel ein PC, ist das Bindeglied zu Services, die angeboten werden. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, das komplette Client Management selbst in die Hand zu nehmen. Wir haben dazu ein Client-Management-System eingeführt. Unseren Servicepoint haben wir dahingehend befähigt, Windows-basierende Betriebssysteme automatisiert installieren zu können. Das Konzept hat sich sehr bewährt und funktioniert wunderbar. Damit sind wir sehr agil geworden und können Staging, Softwareverteilung und Patching massiv günstiger und schneller bewerkstelligen als zuvor. Wir verfolgen den klaren Ansatz von End-to-End-Prozessen. Das Ziel: mehr Zeit für den Patienten. Wir stellen uns die Frage, wie die Informatik das Tagesgeschäft entlasten kann. Digitalisierung allein reicht nicht aus, die Lösung heisst aus meiner Sicht Automatisierung. Einen echten Service zu bieten, bedeutet, dass die Benutzer effizienter arbeiten können und damit mehr Zeit für ihr Kerngeschäft haben – bei uns also mehr Zeit für den Patienten.
Haben Sie ein Beispiel für einen solchen automatisierten Prozess?Beispiele für automatisierte Prozesse gibt es einige. Automatisieren heisst für uns, Medienbrüche möglichst zu vermeiden. Wir sind aktuell dabei, eine IT-Service-Management-Plattform aufzubauen. Prozesse können über einen Workflow-Designer definiert und gleichzeitig automatisiert werden. Bestellprozesse und Bewilligungen durch Vorgesetzte können so effizienter umgesetzt werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Kostenstellenwechsel oder eine Veränderung der persönlichen Lebenssituation wie Heirat lösen einen HR-Prozess aus. Heute laden Mitarbeitende im Intranet ein Word-Dokument herunter, speichern es ab und füllen es aus. Zur Unterzeichnung durch den Antragssteller und den Vorgesetzten wird es ausgedruckt, um anschliessend wieder eingescannt und per E-Mail an die HR-Abteilung gesendet zu werden. Neu sucht der Mitarbeitende über ein Self-Service-Portal das gewünschte Formular, füllt es aus und sendet es ab. Der dahinterliegende Workflow kennt die entsprechenden Vorgesetztenrollen und weist den Antrag direkt per Web-Workflow zu. Geprüft und elektronisch signiert wird der Antrag an die ausführende Stelle im HR weitergeleitet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Automatisierung durch Workflows und Sicherstellung der Compliance führt zu Effizienzsteigerung und wiederum mehr Zeit fürs Kerngeschäft. Viele dieser Prozesse werden bei uns durch das gewählte Client-Management-System umgesetzt.
Nun befinden wir uns aufgrund der Coronapandemie derzeit alle in einer Ausnahmesituation, die Gesundheitseinrichtungen sind besonders betroffen. Das stellt auch die Informatik vor neue Herausforderungen. Wie arbeiten Sie und Ihr Team in diesen Wochen und Monaten?Gewisse Tickets konnten aus dem Home Office bearbeiten werden, aber längst nicht alle. Für die Mitarbeitenden mit Dienst vor Ort galt darum bei der Arbeit in Stationsbüros oder in Untersuchungszimmern, die geltenden Hygienerichtlinien einzuhalten, die in einem Spital besonders beachtet werden. Die Bilanz ist grundsätzlich positiv. Die gegenseitige Rücksichtnahme war und ist an unserem Spital gross.
Welche Anforderungen kamen dabei auf Ihre IT-Abteilung zu?Anfänglich standen etliche mögliche Anforderungen im Raum, wie zum Beispiel eine Kommunikationszentrale. Diese wurde letztendlich nicht realisiert. Dafür hat die Abteilung für Unternehmensentwicklung, mit der die IT-Abteilung eng zusammenarbeitet, eine Datenbank gebaut, welche die Kompetenzen, Verfügbarkeit und Einsatzplanung der über 100 Freiwilligen erfasst, welche sich zur Verfügung stellten. Aber auch diese musste bis heute nicht in Betrieb genommen werden. Zum Glück, muss man sagen. Was definitiv notwendig war und seitens IT betreffend Infrastruktur unterstützt werden musste, war die Inbetriebnahme einer zweiten Intensivpflegestation. Unser Team war zu dieser Zeit stark gefordert.
Welche Auswirkungen spüren Sie im Rahmen der Ausnahmesituation?Wir mussten in kürzester Zeit eine Vielzahl an Mitarbeitenden der Support- und Führungsbereiche für die Arbeit im Home Office ausrüsten. Dazu gehörten die Bereitstellung der Infrastruktur und die Unterstützung bei der Anwendung neuer Kommunikationsmittel wie etwa Videokonferenzen. Im Spitalumfeld wurden Videokonferenzen bisher mehrheitlich für spitalübergreifende Patientenrapporte, zum Beispiel in der Radiologie eingesetzt, und das in dafür speziell eingerichteten Räumlichkeiten.
Nimmt das GZO Spital Wetzikon davon etwas mit in die Zukunft?Das werden wir sehen. Wie gesagt, in der Radiologie finden solche Videorapporte bereits seit vielen Jahren statt. Es ist gut möglich, dass sozusagen durch die Entdeckung der Möglichkeit, sich virtuell zu treffen, die Hemmschwelle sinkt und diese Technologie vermehrt für den spitalübergreifenden Austausch zur Anwendung kommt. Bezüglich der Technologie, die zum Einsatz kommt, muss man allerdings unterscheiden zwischen einer Konferenz, die sich auf Dialoge und das Bildschirmteilen beschränkt, und einer Videokonferenz, bei der Radiologiebefunde diskutiert werden, wobei enorm grosse Bilddateien in entsprechend guter Qualität dargestellt werden wollen.
Im Rahmen des Rückblicks auf das Geschäftsjahr 2019 bezeichnete Ihr Betrieb die Digitalisierung unter anderem als zentrale Herausforderung. Was hiess das für Sie?
Ich folge gerne dem Grundsatz der Managed Evolution. Ein Projekt sollte nie um des Projektes willen gemacht werden, es muss zwingend ein Mehrwert entstehen. Mittlerweile gibt es praktisch kein Projekt ohne Digitalisierung mehr. Meine Überzeugung ist es, dass die Digitalisierung gut, aber ohne Automatisierung nicht zielführend ist. Digitalisierung kostet erst einmal viel Geld. Ein interessantes Beispiel ist das Elektronische Patientendossier (EPD).
Wie meinen Sie das?
Der Bund definiert, welche Daten im Elektronischen Patientendossier zur Verfügung stehen müssen. Diese Vorgabe muss auch unser Spital erfüllen. Die grosse Herausforderung besteht darin, die uns bereits seit Jahren digital zur Verfügung stehenden Patientendaten dieser neuen Applikation zuzuführen. Automatisiert, versteht sich. Derzeit liegen diese Daten jedoch in einer Vielzahl von Subsystemen. Die Bilder der Radiologie in einen, die Kurven der Hirnstrommessung in einem anderen und die Medikamentenliste in einem dritten System. In einem ersten Schritt müssen diese Daten in eine konsolidierte Sicht gebracht werden. Um diese Sicht zu erreichen, arbeiten wir im Rahmen unserer Digitalisierung unabhängig vom EPD an einem medizinischen Gesamtdossier, welches dem EPD künftig automatisiert definierte Daten zur Verfügung stellt. Auf der administrativen Seite, wo es um Themen wie Verträge, Kreditoren und Inventare geht, verfolgen wir die gleiche Strategie. Am Ende gibt es für beide Pfeiler eine konsolidierte Sicht.
Da braucht es also mehr Standards?
Ja, aber die Standards sind auch ein Stolperstein im medizinischen Bereich, weil diese mehrheitlich im Zusammenhang mit Zertifizierungen stehen. Beispielsweise bei medizintechnischen Geräten. Da werden Veränderungen am Betriebssystem oder die Installation einer zwingend notwendigen Malware-Protection-Lösung teilweise durch Zertifizierungen verhindert oder mindestens erschwert. Gleichzeitig wollen und sollen medizinische Geräte an Netzwerke angeschlossen werden. Da liegt die Krux verborgen.
Was bräuchte es für eine Besserung? In der Privatwirtschaft würden sich diese Standards unter dem Konkurrenzdruck mehrheitlich selbst ergeben.
Meiner Meinung nach kann die Politik hier durchaus etwas bewegen. Es werden Standards und erweiterte regulatorische Anforderungen in diesem Kontext benötigt. Die Privatwirtschaft – und da beziehen wir unsere Technologie – wird sich kaum selber regulieren. Wir versuchen trotzdem, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln die bestmögliche Sicherheit zu bewerkstelligen.
Auch neben Corona hat das Jahr 2020 für das GZO Spital Wetzikon einiges in der Pipeline. Sie bauen derzeit aus und es steht die Fusion mit dem Spital Uster an. Was beschäftigt Sie und Ihre Mitarbeiter in den kommenden Monaten?
Ja, unsere Liste ist lang! Ein sehr wichtiges Projekt respektive Programm ist das Thema Digitale Kommunikation der Zukunft. Im Hinblick auf den Neubau erneuern und modernisieren wir die gesamte Technologie von der Alarmierung über die Bedside Services bis hin zur Umstellung auf smarte mobile Endgeräte. Das wiederum erfordert eine komplette Erneuerung der Infrastruktur und des Netzwerks. Im Hinblick auf die bevorstehende Fusion denken wir in Szenarien und machen uns Gedanken, wie eine gemeinsame Informatikabteilung in Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern aussehen könnte.
Markus Spiess
Markus Spiess ist seit Ende 2018 Leiter Informatik des GZO Spital Wetzikon. In seiner Rolle sitzt er in der erweiterten Geschäftsleitung und rapportiert direkt an den CEO des Spitals. Vor seiner Zeit beim Spital Wetzikon war Spiess Leiter Informatik beim Grosshändler Hans Kohler, der Seeklinik Brunnen und bei Beruf Zug. Der gelernter Heizungszeichner hatte seinen Einstieg in die IT-Branche Anfang der Nullerjahre als IT-Techniker bei der AO Foundation.
GZO Spital Wetzikon
Seit mehr als 100 Jahren ist das Spital Wetzikon für die regionale Gesundheitsversorgung im Zürcher Oberland in Betrieb. Heute beschäftigt das Spital rund 900 Mitarbeitende. Seit 2018 ist ein grosser Erweiterungsbau des Spitals in Arbeit. Im Sommer 2019 wurde intern der Fusion mit dem Spital Uster zugestimmt, die definitive Entscheidung wird voraussichtlich noch dieses Jahr an der Urne fallen.
(win)