Coaching im digitalen Zeitalter

Von Uwe Reusche

Viele Coaches fragen sich, ob Informations- und Kommunikationstechnologien stärker für Coachings genutzt werden sollten, denn das Kommunikationsverhalten ihrer Klienten hat sich verändert.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2018/07

     

"Digitale Transformation" – so lautet ein Buzz-Wort in der aktuellen Management-Diskussion. Damit verbunden ist die Erwartung, dass der Fortschritt im Bereich der modernen Kommunikations- und Informationstechnologie die Prozesse in den Unternehmen radikal verändert – auch im Bereich der betrieblichen Weiterbildung.

Fakt ist bereits heute: Die zwischenmenschliche Kommunikation erfolgt zunehmend im virtuellen Raum. Deshalb stellt sich auch für Coaches die Frage: Sollen wir die moderne Kommunikations- und Informationstechnik stärker für unsere Arbeit nutzen?


Credo: Coaching setzt persönliches Treffen voraus

Die meisten Coaches haben ihr Handwerk in Präsenztrainings und Coaching-Sitzungen erlernt, in denen ihnen der Coachee – also die gecoachte Person – gegenüber sass. Hieraus erwuchs ihre Überzeugung: Zum Coachen bedarf es eines persönlichen Treffens. Und diese Sichtweise wurde im Verlauf der Jahre immer wieder als "richtig" bestätigt. Trotzdem sollten Coaches diese Grundeinstellung überdenken, weil heute ihre Klienten und die Rahmenbedingungen zunehmend andere Settings (er-)fordern.

Der Begriff Coaching fasst laut Wikipedia unterschiedliche Beratungsmethoden zusammen. Gemeinsam ist ihnen: Sie zielen darauf ab, die Lösungskompetenz des Coachees zu steigern und dessen individuelle Ressourcen zu aktivieren. Dabei führt der Coach den Coachee im Verlauf des Prozesses von einer problemorientierten zu einer handlungsorientierten Denkweise mit verschiedenen Handlungsoptionen.

Persönliche Begegnung erweitert Wahrnehmung

Diese Coaching-Definition setzt kein persönliches Treffen von Coach und Coachee voraus. Erfahrene Coaches wissen jedoch: Persönliche Begegnungen und Gespräche sind sehr hilfreich beim Coachen, denn sie ermöglichen ein intensiveres Wahrnehmen und somit oft angemesseneres Reagieren auf die Coachees, als ein Kontakt per Mail oder Telefon; zudem erleichtert es den Beziehungs- und Vertrauensaufbau.

Coachings lösen bei Menschen oft intensive innere Prozesse aus: Es wird etwas "bewegt". Diese innere Bewegung artikuliert sich ausser durch verbale Äusserungen unter anderem in einer veränderten Stimmlage, Sprechgeschwindigkeit und Lautstärke, und noch deutlicher in der Körpersprache.


Solche Beobachtungen signalisieren dem Coach, welche Prozesse im Coachee ablaufen. Sie helfen ihm, den Coachee beim Finden der Lösung zu begleiten. Sie ermöglichen es ihm zudem, festzustellen, ob der Coachee sich noch in einem Problemzustand befindet oder schon in einer Lösungsphysiologie. Seine Wahrnehmungen und hieraus resultierenden Vermutungen kann der Coach dem Coachee spiegeln und so neue Impulse in dessen "System" geben. Dies spricht für persönliche Begegnungen.

Nachteile des klassischen Coachings

Das klassische Coaching hat jedoch auch Nachteile. Es vergeht zum Beispiel nach einer Coaching-Sitzung stets eine mehr oder minder lange Zeit, bis Coach und Coachee sich erneut treffen. Treten in dieser Zeit Fragen auf, steht der Coach oft nicht zeitnah zur Verfügung. Der Coachee muss häufig bis zum nächsten Termin warten, bis er seine Fragen stellen kann – sofern er sie bis dahin nicht vergessen hat. Deshalb ist es sinnvoll, über Alternativen oder Ergänzungen zum klassischen Coaching nachzudenken.


Zudem haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Heute ist der Faktor Zeit oft der zentrale Engpassfaktor beim Coachen – nicht nur auf Seiten des Coachees, der häufig einen engen Terminkalender hat und eine schnelle Lösung wünscht. Auch beim Coach ist der Terminkalender meist der zentrale Engpass, wenn es darum geht, wie viele Coachees er begleiten und unterstützen kann.

Mangelnde Begleitung zwischen Coaching-Sitzungen

Ausserdem hat sich die Lebens- und Arbeitswelt der Coachees verändert. Die Bereiche Arbeit und Freizeit verschmelzen bei beruflich stark engagierten Personen immer mehr. Und der zunehmende Zeitdruck macht es für die Coaches und Coachees immer schwieriger, einen Termin zu finden. Die Coachees haben zudem zwischen den Coaching-Sitzungen seltener die erforderliche Musse und Zeit, um das beim Coaching Besprochene nochmals zu reflektieren. Die Folge: Das in den Sitzungen Besprochene "verpufft" häufig – sofern zwischenzeitlich keine Begleitung erfolgt. Und weil sich viele Menschen und somit auch Coachees zunehmend "ausgelaugt" fühlen, erfahren sie die Coaching-Termine oft eher als ­Zusatz-Belastung denn als hilfreiche Unterstützung.

Die modernen Medien für das Coaching nutzen

Deshalb stellen sich die Fragen:
• Sind heute andere Coaching-Settings sinnvoll als in der Vergangenheit? Und:
• Empfiehlt es sich, verstärkt auf Coaching-Designs zu setzen, die Präsenz-Coachings mit Coaching-Formaten verknüpfen, bei denen der Coach und der Coachee mittels der elektronischen Medien miteinander kommunizieren – wie dies im Weiterbildungsbereich bei den Blended-Learning-Konzepten bereits geschieht?


Für solche Designs stellt die moderne Kommunikationstechnologie den Coaches viele Tools bereit.

E-Mail-Coaching
Diese Form der Kommunikation praktizieren schon viele Coaches. Das heisst, sie stellen den Coachees zwischen den Coaching-Sitzungen zum Beispiel per Mail den Transfer sichernde Aufgaben und beantworten Fragen, die beim Coachee auftauchen.
Vorteile:
• sorgt dafür, dass das Coaching-Anliegen zwischen den Treffen nicht in Vergessenheit gerät
• Fragen können zeitnah beantwortet werden
Nachteile:
• Coach und Coachee sehen und hören sich hierbei nicht
• schriftliche Kommunikation erschwert Wahrnehmung inner-persönlicher Prozesse beim Coachee; Fehlinterpretationen sind leicht möglich
• ein echter Dialog findet anders als beim persönlichen Coaching nicht statt
Whatsapp-Coaching
Letztlich eine spezielle Form des E-Mail-­Coachings, bei der über Smartphones jedoch auch kurze Sprach- und Video-Nachrichten versendet werden können.
Vorteile:
• Der Coachee hört zwischenzeitlich auch mal die Stimme des Coaches und sieht ihn (sowie umgekehrt); das stärkt die persönliche Beziehung
• Sprach- und Videonachrichten transportieren auch Signale über das "Befinden" des Coachees
Nachteile:
• eher für Kurznachrichten geeignet; ungeeignet zum Bearbeiten komplexer Fragestellungen, auch weil kein echter Dialog erfolgt.

Video-Coaching
Coaching mit visuellen Medien wie Skype und Facetime.
Vorteile:
• ermöglicht ein Coachen von Einzelpersonen und Teams auf Distanz, bei dem das Gegenüber und seine Reaktionen auch akustisch und visuell wahrgenommen werden
• Reisezeiten entfallen
• kurzfristig planbar
• echter Dialog, bei dem ein spontanes Reagieren auf das Gesagte und Wahrgenommene möglich ist.
Nachteile:
• Wahrnehmung des Gegenübers ist auf das von der Kamera Aufgezeichnete beschränkt


Telefon-Coaching
Diese Coachingform nutzen viele Coaches schon zum Coachen von Einzelpersonen und Teams.
Vorteile:
• ähnlich wie beim Video-Coaching, nur dass die visuelle Wahrnehmung entfällt
• Medium Telefon steht (fast) jederzeit zur Verfügung
• niedrige Hemmschwelle; Coachees sind den Umgang mit dem Telefon gewohnt
Nachteile:
• Wahrnehmung der körperlicher Reaktionen des Gegenübers entfällt, sofern diese sich nicht über die Stimme artikulieren
• höheres Risiko von Fehleinschätzungen als beim Video-Coaching

Apps für den Coachingprozess nutzen

Neben den genannten Medien spielen Apps in unserem Leben eine immer bedeutendere Rolle. Viele Menschen nutzen sie bereits zum Sprachenlernen oder als Selbst-Coaching-Instrumente – zum Beispiel, wenn es darum geht, regelmässig Sport zu treiben oder das Gewicht zu reduzieren.

Auch klassische Coaching-Prozesse lassen sich mit Apps dynamischer gestalten. So können zum Beispiel mit Hilfe einer App dem Coachee die relevanten Infos über den Coaching-Verlauf, die getroffenen Vereinbarungen und so weiter zur Verfügung gestellt werden. Zudem kann der Coach dem Coachee zwischen den Sitzungen Aufgaben stellen, die dieser, wenn er Zeit und Musse hat, bearbeiten kann. Ausserdem können sich via App mehrere Coachees zu einer Gruppe zusammenschliessen und sich in einem Chat-Raum über mögliche Problemlösungen austauschen. Und der Coach kann diesen Prozess moderierend und Input gebend begleiten.

Coaches müssen mit der Zeit gehen

Coaches haben heute viele Möglichkeiten, Coaching-Designs zu entwerfen, die Präsenz-Coachings mit Coaching-Formen, die die moderne Informations- und Kommunikationstechnik nutzen, verknüpfen. Welche Verknüpfungen zielführend sind, gilt es ziel-, bedarfs- und themenabhängig sowie abhängig davon, wer die zu coachenden Personen sind, zu entscheiden.

Zum Teil ermöglicht die moderne Informations- und Kommunikationstechnik jedoch erst ein Coachen – so zum Beispiel, wenn der Coach und der Coachee weit voneinander entfernt wohnen. Entsprechendes gilt bei Team- und Gruppen-Coachings, bei denen die Teilnehmer an unterschiedlichen Orten leben, so dass persönliche Treffen mit hohen Reisekosten und langen Reisezeiten verbunden wären. Hier macht das Nutzen der modernen Technik ein Coaching oft erst ökonomisch vertretbar. Deshalb sollten sich Coaches intensiv mit den Coaching-Möglichkeiten befassen, die ihnen die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet – und diese, soweit pädagogisch sinnvoll, nutzen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie mit der Zeit vom Markt verschwinden, weil ihr Coaching-Angebot nicht mehr den Marktanforderungen entspricht.

Der Autor

Uwe Reusche ist einer der beiden Geschäftsführer des Ifsm Institut für Sales & Managementberatung, Urbar bei Koblenz, das unter anderem zertifizierte Sales- und Change-Coaches ausbildet (www.ifsm-online.com).


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