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CIO-Interview: "Informatik ist ein Instrument, nie Selbstzweck"

Fritz Zanzerl geht als Leiter Informatik des Kantons Aargau gerne auch unkonventionelle Wege und hat eine klare Vision des optimalen Arbeitsplatzes.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2018/07

     

"Swiss IT Magazine": Leute, die Sie kennen, bezeichnen Sie als jemanden, der gerne auch unkonventionelle Wege geht. Können Sie das so unterschreiben?
Fritz Zanzerl: Es ist sicher richtig, dass ich Dinge gerne aus einer anderen Optik betrachte und Optionen andenke, die nicht immer auf der Hand liegen. Wenn ich ein Thema begreifen und wissen möchte, wie ich vorgehen soll, dann schaue ich mir dieses Thema gerne in seinen extremen Ausprägungen an, um dann die Lösung in der Mitte dieser Ausprägungen zu finden. Nur in alten Mustern zu denken, behindert die Möglichkeiten, neue Weg zu gehen.


Passt diese Philosophie in eine öffentliche Verwaltung?
Die Informatikorganisation ist nicht unbedingt durch klassisches Verwaltungshandeln geprägt, sondern sie unterstützt das Verwaltungshandeln. Um diese Unterstützung sicherstellen zu können, muss die Informatik manchmal auch unkonventionelle Wege gehen. Im politischen Umfeld ist es einfach wichtig, diesbezüglich intensiv zu kommunizieren und zu erklären, warum wir diese Wege einschlagen und Visionen verfolgen möchten.
Wenn wir den IT-Arbeitsplatz als Beispiel nehmen: Wie sieht Ihre Vision des optimalen Arbeitsplatzes aus?
Der optimale IT-Arbeitsplatz ist aus der Sicht der Benutzenden zu beurteilen. Und diese Benutzenden haben unterschiedliche Bedürfnisse. Meine Vision ist, dass wir es irgendwann schaffen, dem Mitarbeiter ein Gerät in die Hand zu geben, an dem er sich anmeldet und das sich automatisiert aus unseren Ressourcen selbst konfiguriert, so dass er 15 Minuten später damit arbeiten und sich ausserdem in einem Enterprise Shop selbst mit zusätzlichen, für ihn passenden Funktionen versorgen kann. Die Idee dahinter ist, dass er seinen Arbeitsplatz individuell und ­autonom seiner Arbeitsmethodik anpassen kann. Im Prinzip müssen wir ihm im betrieblichen Umfeld das ermöglichen, was er im Privaten – mit seinem Smartphone – längst machen kann. Das Stichwort lautet hier Consumerization des IT-Arbeitsplatzes. Niemand begreift, warum man im Job komplexe IT-Tools nutzen muss, um beispielsweise ein Meeting zu organisieren, wenn man privat rasch und einfach Doodle nutzen kann. Unser Ziel muss lauten, dieses Benutzererlebnis anbieten zu können, ohne an der Komplexität zu ersticken. Für uns ist diese Komplexität relativ hoch, weil wir – in Zusammenarbeit mit den jeweiligen departementellen Informatikdiensten für 37 Abteilungen, die Staatskanzlei und Gerichte – IT für über 5000 unterschiedlichste Arbeitsplätze bereitstellen. Und dies mit hohen Anforderungen an Sicherheit, Stabilität und Verfügbarkeit.


Wo stehen Sie in der Umsetzung dieser Arbeitsplatz-Vision?
Wir stecken mitten in der Umsetzung beziehungsweise der Planung. Infrastruktur-seitig sind wir im Aufbau, und bezüglich Funktionalität prüfen wir, wie weit wir die Idee umsetzen können, dass sich der Mitarbeiter gemäss seinen Bedürfnissen bedienen kann. Die grosse Schwierigkeit dabei sind die verschiedenen Abteilungen mit den unterschiedlichen Anforderungen. Die Bedürfnisse der Finanzabteilung an den idealen IT-Arbeitsplatz sind nicht vergleichbar mit dem Strassenbaudepartement, um nur ein Beispiel zu machen.
Welche Tools und Werkzeuge für Ihre Vision des Arbeitsplatzes, der sich selbst konfiguriert, fehlen Ihnen noch?
Die funktionierenden Instrumente und Lösungen gibt es, und wir sind daran, im Bereich einer IT-Service-Management-­Plattform diese Funktionalität trotz der Heterogenität unserer Arbeitsplätze standardisiert bereitstellen zu können. Die grosse Herausforderung ist wie erwähnt die Konsolidierung der unterschiedlichen Anforderungen beziehungsweise das Realisieren einer gewissen Minimalnorm.


An welchen weiteren Projekten arbeiten Sie sonst noch?
Da gibt es natürlich viele. Ein wichtigstes Projekt betrifft die E-Government-Plattform des Kantons Aargau. Der Kanton hat vor sechs Jahren entschieden, eine stabile E-Government-Plattform aufzubauen, über die Private und Unterneh­men gewisse Dienstleistungen abwickeln können. Diese Plattform ist nach wie vor State of the Art, und aktuell arbeiten wir an der Zugangs- und Identitäts-Thematik – Stichwort ist hier die Integration der E-ID. Wir streben an, uns nah an der eidgenössischen Entwicklung zu bewegen, anstatt eine eigene ID-Lösung zu erfinden, wie dies andere Kantone machen. Daneben arbeiten wir rund um die Plattform daran, eine gewisse Industrialisierung der Leistungsprozesse herbeizuführen. Es wäre nicht klug, zu versuchen, bei einem Katalog von 500 Leistungen jeden Prozess individuell digitalisieren zu wollen. Wir müssen also einen Weg finden, das zu industrialisieren, indem die Prozesse in Charakteristiken aufgelöst und dann konfektioniert werden, um so das Dienstleistungsangebot rasch steigern zu können. Ein weiteres Projekt, auf welches wir uns vorbereiten, ist das Programm Smart Aargau, welches die Regierung verabschiedet hat und das die Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltung zum Ziel hat. Hierbei spielt die Informatik als Enabler natürlich eine wichtige Rolle.
Viele Ihrer Herausforderungen teilen Sie mit 25 anderen IT-Leitern von Schweizer Kantonen. Inwieweit findet hier ein Austausch statt, inwieweit arbeitet man zusammen?
Synergien unter den Kantonen werden laufend gesucht, und ein Austausch findet auf jeden Fall statt. Ich darf auch sagen, dass die Hürden, sich gegenseitig zu unterstützen, sehr klein sind. Hat ein anderer Kanton beispielsweise bereits eine Ausschreibung gemacht, die bei uns ansteht, dann werden diese Unterlagen bereitgestellt, um sie adaptieren zu können. Ein gutes Beispiel ist auch das Projekt E-Umzug, also die Online-An- und Abmeldung bei einem Umzug. Bei der Umsetzung dieses Projekts im Kanton Aargau wurde erkannt, dass der Kanton Zürich den E-Umzug bereits erfolgreich realisiert hat. Es wurde geprüft, ob diese Lösung auch für andere Kantone funktioniert. Letztlich haben fünf Kantone basierend auf der Zürcher Plattform ein Pilotprojekt gestartet. Inzwischen ist man soweit, dass daraus eine Standard-Plattform für die ganze Schweiz entsteht. Diese Plattform wurde nun E-Operations Schweiz übergeben, die den Betrieb sicherstellen wird. E-Operation Schweiz wird ein Provider für gleichartige Dienste der Kantone.


Was ist die Idee hinter E-Operation Schweiz?
E-Operation Schweiz tritt beschaffungsrechtlich als juristische Person auf und kann so Ausschreibungen machen, an denen man sich als Kanton beteiligen kann. Wir als Kanton erhalten so einen einfacheren Zugang zu gewissen Diensten, was die regulatorischen Rahmenbedingungen betrifft. Denn ein Problem ist, dass wir unter den Kantonen Lösungen nicht einfach so teilen oder dasselbe einkaufen können, da jeder Kanton ein öffentliches Beschaffungsrecht beachten muss.
Können Sie vielleicht etwas zu anstehenden Projekten erzählen?
Erwähnen möchte ich ein aktuelles Experiment, bei dem wir mit zwei anderen Kantonen und mit Hilfe eines externen Betriebs- sowie eines Softwarepartners die Hürden beim Erfahrungs- und Informationsaustausch innerhalb der kantonalen Verwaltungen beseitigen könnten. Die Idee ist, dass beispielsweise funktionale Fragen zum Arbeitsplatz oder auch übergeordnete Fragen an ein System gestellt werden können, die dann von anderen Nutzern innerhalb der kantonalen Verwaltungen beantwortet werden. Tatsache ist, dass viele Aufgaben und Fragen interkantonal identisch sind, und wenn eine Frage schon einmal beantwortet wurde, spielt es keine Rolle, wer in welchem Kanton das getan hat. Ich bin der Überzeugung, Wissen muss einfach erreichbar sein, und wir haben unter den Kantonen keine Geheimnisse, stehen nicht im Wettbewerb – von den Steuern einmal abgesehen. Somit handelt es sich um eine Erfahrungs- und Wissensplattform für alle Disziplinen in den kantonalen Verwaltungen.


Gibt es weitere Projekte?
Ein weiteres wichtiges und ebenfalls laufendes Projekt ist die Entwicklung der Informatikorganisation Aargau. Ich vertrete die Hypothese, dass eine Informatikorganisation wie die unsrige mit rund 130 Mitarbeitenden künftig zunehmend Schwierigkeiten haben wird, qualifizierte Spezialisten zu finden mit sehr spezifischem Systemintegrations-Know-how. Der Grund ist einfach: Für diese Personen bräuchte ich eine Organisation, in der deren spezifisches Wissen immer wieder gefragt ist und den Mensch dahinter fordert. Das können wir nicht bieten. Ist eine Plattform bei uns fertig gebaut, bleibt meist lediglich noch deren Betrieb. Also müssen wir dahinkommen, dass wir für solche Plattform-Projekte mit externen Dienstleistern arbeiten und selber noch so viel Wissen sicherstellen, damit wir die Projekte steuern und den Betrieb auf einer Management-Ebene sicherstellen können. Also müssen wir unsere Mitarbeitenden in diese Richtung entwickeln. Kommt hinzu, dass wir die operative von der taktischen Führungsebene entkoppeln wollen, so dass die Lösungen, die wir bereitstellen, auch immer wieder hinterfragt werden können. Diese Entwicklung der Organisation auf dem Papier zu planen, ist relativ einfach. Dafür zu sorgen, dass sie in den Teams, bei den Mitarbeitenden ankommt, ist eine grosse Herausforderung und braucht viel Zeit und Aufmerksamkeit.
Sie sprechen von Change Management?
Genau, das ist Change Management in Reinkultur. Dieser Prozess liegt mir und meinem Führungsteam am Herzen, denn wir sind überzeugt, dass es kein valider Weg ist, auch in Zukunft einfach seriell der Technologie entlang zu folgen. Wir müssen unsere Organisation jetzt so agil gestalten, dass sie künftig auftauchenden Herausforderungen gewachsen ist.

Wir haben schon verschiedentlich über Herausforderungen gesprochen. Wo sehen Sie Ihre grössten Herausforderungen?
Eine komplexe Frage. Man muss dabei wohl drei Ebenen betrachten. So gibt es die politische Ebene, bei der die Herausforderung darin liegt es zu schaffen, die Informatik nicht nur als Kostenfaktor darzustellen, sondern auch als Enabler.


Wie schwierig ist das?
Das kann man nicht pauschal sagen. In der Regierung ist das Bewusstsein vorhanden, nicht zuletzt wegen des Programms Smart Aargau. Bezüglich Bedeutung von Informatik gibt es bei den verschiedenen Departementen naturgemäss Unterschiede. Und man darf nicht vergessen: Am Ende des Tages ist Informatik ein Instrument, mit deren Hilfe die Verwaltung ihre Leistung erbringen kann, und nie Selbstzweck. Entsprechend soll auch der Stellenwert von IT nicht grösser gemacht werden, als er es wirklich ist. Ich gehöre nicht zu den IT-Leitern, die tagein tagaus überlegen, wo sie im Verhältnis zum Business positioniert sind. Meine Philosophie ist relativ einfach – wir müssen professionell, agil, kostengünstig und vorausschauend handeln, dann wird uns die Position, die uns gebührt, automatisch zugestanden. Ausserdem ist mir wichtig, transparent zu sein. Transparenz ist die halbe Miete, um Akzeptanz bei den Stake­holdern zu erreichen.
Wie lauten die Herausforderungen auf den beiden anderen Ebenen?
Eine weitere Ebene ist in meinen Augen die Zusammenarbeit mit den IT-Diensten der Departemente, die funktionieren muss. Je klarer hier man diskutiert, umso einfacher ist die gegenseitige Unterstützung, um letztlich die optimale Leistung für den Benutzer zu erzielen. Das ist nicht unbedingt eine Herausforderung, aber etwas, worauf man ein Augenmerk legen muss. Im Informatikumfeld läuft man Gefahr, vor allem Technologie zu betrachten, die menschliche Ebene ist aber genauso wichtig. Die dritte Ebene ist dann die technologische Ebene, und hier ist unsere Herausforderung, uns auf dem ICT-Layer so auszurüsten, dass wir wirtschaftlich bleiben. Ich denke hier beispielsweise an die Implementierung von hybriden Infrastrukturen, Cloud Services, Outtasking und Outsourcing. Wir müssen lernen, dass alles zu orchestrieren und sauber umzusetzen.


Sie waren in Vergangenheit unter anderem CIO von SRG SSR Idée Suisse und Head of IT bei Swisscom Solutions. Was hat Sie an der IT-Leitung eines Kantons gereizt?
Die Informatik eines Kantons hat wenig mit einer Konzerninformatik zu tun. Ich sehe uns vielmehr als IT-Dienstleister – als KMU – der mit rund 130 Mitarbeitenden einen Markt von 37 Abteilungen bedient. Dieser Markt stellt die unterschiedlichsten Anforderungen an uns, und das ist enorm spannend für eine Informatik­organisation. Wenn ich mit dem Abteilungsleiter Tiefbau spreche, hat der ganz andere Bedürfnisse und eine andere Kultur als der Abteilungsleiter Steuern oder der Landwirtschaft. Und es gibt noch einen anderen Aspekt, der für den Kanton spricht. Sie haben Swisscom erwähnt. Bei Swisscom Enterprise gab es eine unglaubliche Veränderungskadenz, während wir hier mehr Konstanz in unserer Entwicklung haben und ein Resultat auch mal validieren können. Das schätze ich.

Fritz Zanzerl

Fritz Zanzerl (61) ist seit Dezember 2014 Leiter Informatik des Kantons Aargau, davor hatte er dieselbe Position beim Kanton Luzern inne. Seinen Einstieg in die IT hat der ausgebildete Betriebswirtschaftler, der unter anderem einen MBA an der HSG St. Gallen und eine Mediatoren-Ausbildung absolviert hat, bei IBM als Werkstudent gefunden. Danach war Zanzerl für verschiedene Unternehmen auf Anbieterseite tätig, bevor er 2002 zu Swisscom wechselte und 2005 CIO von Swisscom Solutions wurde. Später war der gebürtige Zürcher für rund vier Jahre als CIO bei der SRG SSR Idée Suisse tätig, bevor er 2011 in die öffentliche Verwaltung wechselte. (mw)


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