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Altes Eisen oder Talente mit Erfahrung?
Quelle: Netcetera

Altes Eisen oder Talente mit Erfahrung?

Von Andrej Vckovski

Trotz Fachkräftemangel fragen sich viele IT-Spezialisten über 50, ob sie bis zur Pensionierung in ihrem Beruf arbeiten können. Die ­Erhaltung der Arbeitsmarktfähigkeit ist Sache von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Enorm wichtig dabei ist der Faktor W – W wie Weiterbildung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/07

     

Manchmal schafft es ein salopper Spruch eines IT-­Managers bis in die internationalen Schlagzeilen. So geschehen im Spätherbst 2012, als der indische SAP-Manager V.R. Ferose von Bangalore aus der Welt verkündete: "Die Haltbarkeitsdauer eines Software-Entwicklers ist nicht länger als die eines Kricketspielers – ungefähr 15 Jahre. Die 20-jährigen Typen bringen mir für den Unternehmenserfolg mehr als die 35-Jährigen." Ferose war zu diesem Zeitpunkt 38. Im Kern trifft seine zynische Aussage aber auf einen verbreiteten Zweifel: Können Leute in der IT überhaupt bis zur Pensionierung in ihrem Beruf arbeiten? Oder ereilt sie die Altersguillotine schon mit 50? Oder gar noch früher?


In der Schweiz prallen in der ICT-Welt zwei Phänomene aufeinander. Einerseits wird bis 2024 ein Mangel von bis zu 25’000 Fachkräften prognostiziert, anderseits belegt eine von ICTswitzerland und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich 2015 durchgeführte Studie ("Arbeitsmarktfähigkeit arbeitsloser Informatiker 45plus"), dass das Arbeitslosigkeitsrisiko für Informatikerinnen und Informatiker mit zunehmendem Alter stetig ansteigt, während es bei allen Berufsgruppen in der Schweiz gesamthaft mit steigendem Alter abnimmt. Im IT-Umfeld betrug die Arbeitslosenquote 2014 bei den 45 bis 54-Jährigen 2,2 Prozent, bei den 55- bis 64-Jährigen 3 Prozent (die Gesamtarbeitslosenquote im Vergleich dazu belief sich in beiden Altersgruppen auf 2,6 Prozent; siehe dazu auch das Interview mit Jörg Aebischer auf der letzten Seite dieses Artikels).

"Den Informatiker" gibt es nicht

Dabei gilt es aber zu beachten: "Den Informatiker" gibt es nicht. Das Standardwerk "Berufe der ICT" listet in der neunten, aktualisierten Auflage 42 Informatik-Berufsbilder. Es ist dementsprechend schwer, bei dieser ausgeprägten Heterogenität abschliessend festzustellen, wo tatsächlich ein Mangel besteht, der auch mit Fachkräften 50+ behoben werden könnte, und wo andere Gründe für den Mangel vorherrschen. In einem Artikel des "Tages-Anzeigers" von Anfang November 2016, der die fehlenden 25’000 IT-Fachkräfte thematisierte, ergab eine Leserabstimmung Folgendes: Auf die Frage "Wie soll der Informatikermangel behoben werden?" waren 22 Prozent der Leser der Meinung, es müssten mehr Leute ausgebildet werden, während mit 61 Prozent die Mehrheit meinte, die Unternehmen müssten Informatiker auch mit 55+ noch anstellen. Die Volksmeinung zu diesem Thema scheint gemacht.

Für mehr Nachwuchs sorgen

Es ist sicher angesagt, Fachkräfte bis zur Pensionierung im Beruf zu halten, um den Fachkräftemangel mindestens etwas zu entschärfen. Die Rechnung hier könnte ganz einfach lauten: Mehr "hinein" plus weniger "hinaus" gleich mehr "drin". Mehr Leute ausbilden und gleichzeitig dafür sorgen, dass weniger Leute das Berufsfeld verlassen, führt unweigerlich zu mehr Fachkräften, die zur Verfügung stehen. Ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Nachwuchs ist neben der dualen Lehre auch die neue Informatikmittelschule, die im August 2017 in Luzern mit einer Klasse startet.

Weiterbildung ist das A und O

Gegenüber älteren Mitarbeitenden – nicht nur im Informatikumfeld – bestehen viele Vorurteile: Unflexibel seien sie, zu teuer, von der wachsenden Geschwindigkeit überfordert und zudem noch schwer zu führen, weil sie alles besser wüssten. Zudem hätten sie veraltete Kenntnisse. Diesen Vorurteilen stehen aber auch klare Vorzüge älterer Mitarbeitender gegenüber: Sie sind belastbarer, denken vernetzter, fallen nicht mehr auf jeden Hype und Trend herein, sie kennen ihr Unternehmen gut und sie sind loyaler. Aber: Ohne konstante Weiterbildung kann heute kein Arbeitnehmer in seinem Beruf bestehen und bis zur Pensionierung arbeiten. Weiterbildung ist das A und O, wenn es darum geht, sich im Beruf fit zu halten. Wer sich weiterbildet, kann sich einen gewissen Schutz aufbauen: Weiterbildung hilft dagegen, obsolet, also wegglobalisiert oder wegautomatisiert zu werden.


Aber genausowenig, wie es "den Informatiker" gibt, existiert "die Weiterbildung", nach der man den definitiven "Impfschutz" hat. Wichtig ist, dass schon in der Grundausbildung gelehrt (und gelernt) wird, wie wichtig Weiterbildung ist und wie und wo man sich am besten weiterbildet. Ausgangspunkt dafür ist aber immer die professionelle Neugierde – und die kann viele Formen haben. Wer nur seinen Wissensgarten harkt oder aus seinem Wissenssilo auf die Welt schaut, hat schlechte Karten. Wer sich sagt, "ich bin der Einzige, der System X wirklich kennt, mir kann keiner was", schneidet sich ins eigene Fleisch. Aber auch Arbeitgeber, die denken, "was soll ich die junge ETH-Abgängerin noch auf System Y ansetzen, sie soll lieber unser neues Blockchain-IoT-Projekt mit Machine Learning angehen", schiessen sich längerfristig selbst ins Knie.

In Mitarbeitende investieren

Unternehmen sollten ihren Mitarbeitenden interne und externe Weiterbildungsoptionen anbieten – es ist schliesslich einfacher, in die guten Leute, die man schon hat, zu investieren und sie noch besser zu machen, als sie auswärts zu suchen. Ein breiter, de-spezialisierter Wissenshorizont ist für jeden Arbeitnehmer eine gute Ausgangslage, wenn es darum geht, sich beruflich fit zu halten. Fachkonferenzen, Workshops, E-Learning, der Austausch mit Kollegen inner- und ausserhalb des eigenen Unternehmens sind nur einige mögliche Wege, die man auf dem Feld der Weiterbildung einschlagen kann. Zudem besteht oft auch die Möglichkeit, den eigenen Karriereverlauf den sich verändernden eigenen Interessen anzupassen. Ein Beispiel: Jemand fängt nach der Hochschule als Softwareentwickler an, um dann mit den Jahren als Projektverantwortlicher immer mehr auch in Managementfunktionen hineinzuwachsen. Da ist dann zur fachlich-spezialisierten Weiterbildung auch eine Weiterbildung in Management eine sinnvolle Option.

Es braucht alle

Wie gross auch immer die Fachkräfte­lücke effektiv sein mag: Es ist extrem kurzsichtig zu denken, mit dem 50. Altersjahr sei das Ablaufdatum eines Informatikers erreicht. Vor allem auch mit Blick auf das durch den demografischen Wandel steigende Rentenalter. Hier werden auch alternative Arbeitsmodelle (Altersteilzeit, Bogenkarrieren etc.) ins Spiel kommen müssen. Es braucht alle. Aber es müssen ja nicht alle gleich so lange arbeiten wie Donald "Don" E. Knuth, der legendäre amerikanische Informatiker, der mit 79 als Professor zwar emeritiert, aber als Informatiker noch immer nicht im Ruhestand ist. Ihn zeichnet vor allem eines aus: sein kaum zu stillender Wissensdurst – ein nachahmenswerter Wesenszug.

"Heute ist vor allem 'Learning on demand' gefragt"

Jörg Aebischer, Geschäftsführer ICT-Berufsbildung, im Interview

Im Gegensatz zu anderen Berufsfeldern steigt das Risiko, arbeitslos zu werden, für IT-Spezialisten ab 45. Wie erklären Sie sich das?
Jörg Aebischer: Stellen Sie sich vor, ein Schreiner müsste sich jedes Jahr neue Holzbearbeitungstechniken aneignen und den Arbeitsablauf parallel dazu laufend umstellen. Genau das passiert zurzeit in der IT. Die Informationstechnologien waren in den letzten Jahren einem überdurchschnittlich starken Wandel unterworfen. Die Mitarbeitenden in der IT müssen sich permanent und rasend schnell weiterentwickeln. Auf die Dauer ist das ermüdend und einige mögen dem Wandel nicht mehr standhalten. Trotz allem sprechen wir hier von sehr tiefen Quoten.


Die Studie "Arbeitsmarkt­fähigkeit arbeits­loser Informatiker 45+" ist Ende 2015 erschienen. Was hat sich seither verändert?
Die Aufmerksamkeit wurde auf das Thema gelenkt, und es wurden verschiedene Massnahmen in die Wege geleitet. Die Wahrnehmung des Themas hat dazu geführt, dass sowohl die Mitarbeitenden als auch die Unternehmen wacher geworden sind. Mitarbeitende haben realisiert, dass sie in diesem Umfeld ihr Schicksal primär selber in die Hand nehmen müssen. Die Unternehmen auf der anderen Seite wissen, dass im Arbeitsmarkt nicht genügend Junge auf eine Anstellung warten und sie gut beraten sind, zu erfahrenen Mitarbeitenden Sorge zu tragen.
Weiterbildung ist wichtig, um die Arbeitsmarktfähigkeit zu erhalten. Worauf sollen IT-Fachkräfte dabei achten?
Zum einen ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden ihre in der Praxis erworbenen Kompetenzen niederschreiben und sich diese von den Arbeitgebern bestätigen lassen. So führen sie quasi ihr Kompetenzportfolio. In einem gesunden Rhythmus, etwa alle fünf Jahre, sollte auch eine Weiterbildung mit einem anerkannten Abschluss gemacht werden. Das einmal im Leben zu tun genügt längst nicht mehr. Für Praktiker am besten eignen sich dazu die vielen von den Berufsverbänden angebotenen eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen (Fachausweise und Diplome). Diese basieren primär auf der Berufserfahrung.


Welche Hausaufgaben müssen Arbeitgeber, Ausbildungsinstitutionen und Berufsverbände (noch) machen?
Es sind Daueraufgaben, nicht einmalige Hausaufgaben. Die Arbeitgeber müssen verstärkt auch zum Ausbildner der Mitarbeitenden werden. Es ist wie das Pflegen von wertvollen Pflanzen im eigenen Garten. Die Ausbildungsinstitutionen müssen verstärkt in zeit- und ortsunabhängige Lernformen investieren. Heute ist vor allem "Learning on demand" gefragt, das bringt auch dem Unternehmen den grössten Nutzen. Die Kompetenzen müssen dann erweitert werden können, wenn sie im Berufsalltag gebraucht werden. Und die Berufsverbände müssen letztlich als betriebsübergreifende Marktbeobachter und Impulsgeber funktionieren.


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