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Start-up-Land Schweiz

Firmengründer müssen als Person überzeugen

Von Norbert Winistörfer

Mehrere 10’000 Firmengründungen gibt es in der Schweiz pro Jahr und gleichzeitig immer neue Konkurse: Auch wenn die ­Geschäftsidee genial ist und der Businessplan auch Skeptiker überzeugt, sollten sich Firmengründer fragen, ob sie als Person wirklich geeignet sind. Denn auch ein introvertierter Software-Experte braucht Unterstützer, Geldgeber und Aufträge.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2016/10

     

Firmengründer zählen in den Wirtschaftsmedien schon seit Jahren zu den Stars. In Spielshows zur beruflichen Selbständigkeit sind sie Quotenbolzer und bei regionalen Wirtschaftsanlässen heiss begehrte Interviewpartner. In der Gesellschaft werden sie bewundert – für ihre innovativen Ideen, ihren Mut und die neuen Arbeitsplätze, die sie schaffen. Da will etwa im neuesten Accelerator-Programm für Jungunternehmer im Rahmen der Standortinitiative "Digital Zürich 2025" ein Finne mit seiner Business-Idee nichts Geringeres als den Welthunger besiegen. Mit Grillen aus einem speziellen Container, der eine nachhaltige Insektenzucht ermöglicht.


Hochgejubelt werden in der Gründerszene insbesondere die Sieger der zahlreichen Gründer-Awards. Stolz präsentieren sie auf der Bühne vor begeistertem Publikum ihre Pokale und Preise: Couverts voller Tausendernoten als Startkapital fürs Abenteuer oder den Flug ins Silicon Valley. Besonders im Rampenlicht stehen dabei Frauen mit den Prädikaten jung, hübsch und intelligent. Wer will bei diesem Rummel über Jungunternehmer-Stars nicht auch selbst seine lang gehegten Business-­Pläne verwirklichen?

Hochgejubelter Gründerboom

Wie viele neue Firmen in der Schweiz jährlich tatsächlich gegründet werden, weiss niemand ganz genau. Es fehlt schlicht an zuverlässigen statistischen Daten und einheitlich angewandten Definitionen. Ist ein angestellter IT-Freak, der abends und am Samstag sein Fachwissen im Rahmen von Privataufträgen zu Geld machen kann, ein Unternehmer? Als Einzelfirma taucht er nicht zwingend im Handelsregister auf und ist deshalb in keiner Firmengründer-Statistik erfasst.


Diese Unfassbarkeit von "Selbständigkeit" führt dazu, dass je nach Datenbasis, Erhebungsmethode und den mit der Publikation von Gründerzahlen verfolgten Absichten höchst unterschiedliche Zahlen herumgeboten werden. So zählt das Bundesamt für Statistik seit Jahren konstant rund 12’000 Neuunternehmen pro Jahr. Gezählt werden effektiv neu entstandene und wirtschaftlich aktive Unternehmen. Sie müssen im Berichtsjahr eine marktwirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen von mindestens zwanzig Stunden pro Woche aufgenommen haben. Auf einer ganz anderen Basis berechnet der Wirtschaftsinformationsdienst Bisnode D&B die Neugründungen. Er stützt sich in seiner Statistik auf den Neueintragungen im Handelsregister ab und weist für letztes Jahr rund 41’000 Firmengründungen aus.

Dramatisierte Firmenpleiten

Die gleichen eklatanten Unterschiede gibt es in Bezug auf die Anzahl der Konkurse von Unternehmen, welche die Medien jeweils genüsslich publizieren. Gemäss dem Bundesamt für Statistik mussten letztes Jahr 1500 Firmen ihre Geschäftstätigkeit wegen Organisationsmängeln aufgeben. Sie wurden gemäss dem Konkursverfahren aufgelöst, obwohl sie nicht zahlungsunfähig waren. In der gleichen Zeit wurde gegen 13’000 Firmen offiziell ein Konkurs eröffnet. Viel harmloser präsentiert sich die Konkursstatistik von Bisnode D&B für das gleiche Jahr. Gemäss dieser verschwanden rund 1600 Firmen aufgrund von Organisationsmängeln und 4400 Firmen schlitterten in ein Insolvenzverfahren. In Bezug auf die Konkurszahlen vom Vorjahr bescherte dies den Medien die Schlagzeile «Firmenpleiten nahmen um 7 Prozent zu».


Fähige Neugründer und Neugründerinnen sollten deswegen ihre Businesspläne nicht gleich begraben – das Risiko eines möglichen Misserfolges aber auch nicht gänzlich ignorieren oder verdrängen. Denn die Überlebenschancen von neu gegründeten Unternehmen sind über alles gesehen tatsächlich nicht rosig: Ein Jahr nach der Gründung ist schon ein Fünftel der Unternehmen wieder vom Markt verschwunden. Drei Jahre nach der Gründung existieren nur noch zwei Drittel – und fünf Jahre nach der Gründung gerade noch die Hälfte. Das zeigt eine schon vor Jahren vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Untersuchung, die wohl auch heute noch gültig sein dürfte (siehe Tabelle auf dieser Seite). In der Realität machen jährlich aber mehr Firmen dicht als jede Statistik ausweist – ganz regulär, ohne Konkursverfahren. Sie schliessen meist still und leise ihre Türen: etwa aus Altersgründen, brutalem Konkurrenzdruck, weil sie nicht länger zahlungsunfähigen Kunden nachrennen oder als Working Poor ihr Leben fristen wollen. Oder einfach, weil die Firmeninhaber (zu spät) merken, nicht als Unternehmer geboren worden zu sein.

IT-Dienstleister erfolgsverwöhnt

Die Erfolgschancen von Neuunternehmen hängen natürlich auch von der Branche ab: Befindet sich diese in einem tiefgreifenden Strukturwandel, kämpft sie mit Überkapazitäten und ist einem harten Konkurrenzkampf ausgesetzt, können neue Unternehmen oft nur schwer im Markt Fuss fassen. Zu den schwierigen Branchen gehören mit Blick auf die Konkursstatistik seit Jahren das Bau- und Gastgewerbe und generell Handwerksbetriebe. Weit unterdurchschnittlich Pleite gehen dagegen Informatikdienstleister (siehe Zahlen in der Bildstrecke auf Seite 1).

Aber selbst in Problembranchen ist es möglich, ein erfolgreiches Business aufzubauen. Das zeigen viele Positivbeispiele. Dies gelingt, wenn sich Neugründer und -gründerinnen vor dem Firmenstart seriös mit den erkannten Erfolgsfaktoren für ein prosperierendes Business auseinandersetzen. Dazu gehören idealerweise ein Hineinwachsen in den Unternehmeralltag im Rahmen einer Teilzeitselbständigkeit, fundierte Marktanalysen mit Worst-Case-Szenarien und der Fokus auf die wahren Bedürfnisse der Zielkunden.


Dieser Hinweis ist eigentlich höchst banal. Doch etliche Personen auf dem Weg in die berufliche Selbständigkeit kümmern sich in der Planungsphase zu stark um irrelevante Dinge. Sie beschäftigen sich mit Nebensächlichkeiten. Etwa mit der Gestaltung des Flyers zur Firmeneröffnung, den Leasing-Konditionen für den Geschäftswagen, der Suche nach der günstigsten Rechtschutzversicherung. Auch das ist wichtig – für den Start einer selbständigen Erwerbstätigkeit aber nicht erfolgsentscheidend.

Der ideale Unternehmertyp

Für den erfolgreichen Markteintritt braucht es nicht zwingend eine geniale, noch nie dagewesene Business-Idee. Studien zeigen, dass drei Viertel aller neu gegründeten Unternehmen bestehende Marktangebote imitieren und kopieren. Wer Bestehendes und Bewährtes anbietet, sollte aber mindestens in einem wesentlichen Punkt gegenüber der Konkurrenz etwas Einzigartiges bieten, um sich klar zu positionieren. Das muss nichts Revolutionäres sein – aber einem erkannten Kundenbedürfnis entsprechen.

Im IT-Bereich könnte das beispielsweise ein ausgebauter Kundenservice an allen Wochentagen sein. Oder schlicht die Fähigkeit, einem Kunden aktiv zuzuhören, Empathie zu zeigen und sich im Kundengespräch als Fachexperte gegenüber einem Fachlaien verständlich auszudrücken. "Der sympathische Typ hat mich verstanden, mein Problem erkannt – und ich verstehe sogar, wie er es löste. Diesem Menschen vertraue ich." Ein solches Kundenstatement wäre nicht nur für einen IT-Unternehmer Gold wert.


Das Beispiel zeigt den wohl entscheidendsten Erfolgsfaktor jeder selbständigen Erwerbstätigkeit auf: die Person des Neuunternehmers, der Neuunternehmerin. Erstrangig sollte beim Entscheid für oder wider eine Firmengründung also nicht die Geschäftsidee, sondern die eigene Persönlichkeit stehen. "Bin ich ein Unternehmertyp?", muss die zentrale Frage lauten. Erstaunlich, dass viele diese Frage ausblenden, obwohl es die Grundvoraussetzung für den späteren Geschäftserfolg ist – oder der Grund für das klägliche Scheitern.
Aus dem persönlichen Umfeld erhalten angehende Firmengründer und -gründerinnen auf die persönliche Eignung zum Unternehmer oder zur Unternehmerin selten klare Signale. Selbst wenn die ehrliche Antwort für Partner, Freunde und Bekannte ein klares «Nein» wäre. Wer will schon mit einer kritischen Bemerkung einen geliebten Menschen brüskieren und demotivieren?

Auf die Persönlichkeit kommt es an

Die gute Nachricht: Den idealen Unternehmertyp gibt es nicht. Zu verschieden sind die Anforderungen, die Branchen, Märkte, Produkte, Dienstleistungen und Kunden an einen Firmeninhaber stellen. Dennoch gibt es Schlüsselqualifikationen, charakterliche Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale, die für alle Unternehmer wichtig und entscheidend sind, um im Markt Erfolg zu haben. Dazu gehören unter anderem eine starke Persönlichkeit mit optimistischer Lebenseinstellung, die sich im Leben auch in schwierigen Situationen durchsetzen kann.

Wichtig ist, dass Firmengründer ein gesundes – aber nicht übersteigertes – Selbstvertrauen besitzen beziehungsweise sich selber und ihre Fähigkeiten nicht masslos überschätzen. Bei fehlender Inkompetenz-Erkennungskompetenz wären wiederum klare Signale aus dem sozialen Umfeld nötig, um zu verhindern, dass jemand beruflich einen falschen Weg einschlägt.


Selbständigkeit, Zuverlässigkeit und Strukturiertheit sind weitere wichtige Eigenschaften, die ein Unternehmer mitbringen sollte. Sonst leidet jemand möglicherweise schnell an der Einsamkeit im Arbeitsalltag, verärgert und verliert Kunden wegen nicht eingehaltenen Versprechen oder arbeitet ineffizient. Strukturiertes Arbeiten heisst jedoch nicht, seine Business-Idee gemäss Konzept stur umzusetzen. Im Gegenteil: Wer zu verkrampft an seinem ursprünglichen Businessplan festhält, obwohl das Geschäft nicht wie vorgesehen läuft, ignoriert möglicherweise die Chance auf den Durchbruch. Neuunternehmen sollten deshalb höchst flexibel, agil und marktsensibel sein. Sie müssen die Trends spüren und darauf reagieren.

Kalkulierte Risikofreudigkeit

Obwohl jedem Neuunternehmer bewusst sein dürfte, dass er entscheidungs- und risikofreudig sein muss, sehen nicht alle die damit verbundenen Auswirkungen. Kann man das eingesetzte Eigenkapital als Spielgeld locker abschreiben? Führen ungerechtfertigte Kundenreklamationen und leere Auftragsbücher zu schlaflosen Nächten? Kann jemand seine krassen Fehlentscheide als wertvollen Lerneffekt abbuchen? Einem stressresistenten Kämpfernaturell fällt dies leichter als jemandem ohne ausgeprägten Durchhaltewillen. Sich abgrenzen zu können, ist eine weitere Eigenschaft, mit denen Neuunternehmer und -unternehmerinnen gesegnet sein sollten. Doch viele bringen das Wort «Nein» nicht über ihre Lippen, obwohl sie heillos überlastet sind. Ein «Nein» wäre als Burn­out-Prävention und Abgrenzung zum Privatleben jedoch öfters nötig. Denn grundsätzlich richtet sich das Berufs- und Privatleben von Geschäftsinhabern nach den Kundenwünschen. Sie sind die neuen Chefs und Könige. Das erfordert von Unternehmern eine hohe Verzichtsbereitschaft. Etwa auf Freizeit, Partnerschaft und Ferien. Und es bedeutet in der Regel auch weniger Einkommen. Denn die meisten Neuunternehmer verdienen in den ersten Jahren deutlich weniger als früher als Angestellte.

Hohe Kommunikationskompetenz nötig

Viel zu wenig thematisiert wird im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit die Kommunikationskompetenz der Firmengründer. Ideale Voraussetzungen hat jemand, der mit Freude und Interesse auf andere Menschen zugehen kann. Wer nicht in wildfremder Gesellschaft geschickt Networken kann, dem entgehen viele Geschäftsmöglichkeiten.

Kommunikation ist eine unternehmerische Hauptdisziplin. Wer hier Schwächen hat, dürfte kaum skeptische Mitmenschen bei Präsentationen, in Beratungs- und Verkaufsgesprächen oder Verhandlungen mit logischen und starken Argumenten von sich und seinen Ideen oder Produkten überzeugen und begeistern. Wer nur das Schwafeln beherrscht, wirkt unglaubwürdig und gewinnt kein Vertrauen. Doch genau darum geht es im Geschäftsleben: Vertrauen zu gewinnen. Von Geldgebern, Geschäftspartnern, Lieferanten, Kunden.


Da die persönliche Kommunikationsfähigkeit eine Schlüsselkompetenz für unternehmerisch tätige Personen darstellt, empfiehlt es sich, mögliche Schwächen mit Schulung und Training zu verbessern. Dafür gibt es unzählige Weiterbildungsangebote auf dem Markt.

Das Gleiche gilt für das Jonglieren mit Geschäftszahlen. Firmenneugründer sollten ein solides kaufmännisches Grundwissen besitzen, obwohl sie vielleicht die Buchhaltung nie selbst erledigen werden und an den Treuhänder delegieren. Doch wer beim Kalkulieren, Budgetieren, Rechnungsstellen und Verbuchen Schwächen aufweist, macht sich in einem Kernbereich unternehmerischen Handels abhängig von Dritten und verliert schnell den Gesamtüberblick über die Finanzlage.

Persönliche Standortbestimmung

Im Weiteren müssen Neuunternehmer neben all den erwähnten Eigenschaften einen starken Durchhaltewillen aufweisen, Organisationstalent haben und vor allem stark belastbar sein. Denn Unternehmer arbeiten wöchentlich im Durchschnitt zehn Stunden mehr als Angestellte und können sich zur Erholung deutlich weniger Freitage leisten. Entscheidend bei einer geplanten Selbständigkeit ist im Weiteren das persönliche Umfeld des Unternehmers oder der Unternehmerin. Erhält er oder sie vom Partner oder der Partnerin in jeder Situation die notwendige Unterstützung? Fehlendes Verständnis und zu wenig Bereitschaft, Belastungen mitzutragen, haben schon manchen zur Aufgabe seines erfolgreichen Geschäfts gezwungen – oder seine Beziehung zerstört. Welche notwendigen unternehmerischen Kernkompetenzen jemand besitzt, lässt sich am besten mit einer persönlichen Standortbestimmung zur eigenen Person und seinen Charakterzügen überprüfen. Eine gute Portion Selbstbewusstsein, Selbständigkeit, Risikofreudigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Verkaufstalent, Verzichtbereitschaft, Abgrenzungsfähigkeit und Belastbarkeit können auf jeden Fall nicht schaden.

Der Autor

Prof. Norbert Winistörfer arbeitet an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Olten. Er ist Autor des Bestseller-Ratgebers «Ich mache mich selbständig. Von der Geschäftsidee zur erfolgreichen Firmengründung» aus dem Verlag Beobachter Edition (14. aktualisierte Auflage, 2015). Das Buch enthält über 60 Check­listen, zahlreiche Infoblätter, Musterbriefe und Adressen sowie eine Businessplan-Vorlage, die es für die Planung und den Aufbau eines eigenen Unternehmens braucht.


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