Wenn wir von Web 2.0 reden, ist der Wandel für die Geschäftswelt fundamentaler als ein paar Social-Media-Plattformen. Web 2.0 ist die Neuerfindung, wie wir in Zukunft Produkte erfinden, produzieren und vermarkten.
Kennen Sie den Musikstar Justin Bieber? Als 2008 der Musik-Manager Scooter Braun auf Youtube nach dem Song «Respect» von Aretha Franklin suchte, schlug ihm Youtube den 13-jährigen Justin vor. Dessen Mutter stellte eine private Aufnahme des Songs von ihrem Sohn online und der Manager war so begeistert, dass er aus dem damals noch unbekannten Kind einen Megastar machte. Solche Veränderungen sind mit Web 2.0 gemeint. Eine private Person produziert mit wenig Geld ein Video, platziert es auf einer öffentlichen Plattform und findet – sofern es gut ist – sein Publikum.
Ein Unternehmen, das die neuen Marktmechanismen begriffen und integriert hat, ist Amazon. Schon früh setzte Amazon auf Kundenbewertungen und Affiliate-Programme – erste Formen von Social Media. Und diesen Weg geht das Unternehmen bis heute konsequent. Suchen Sie ein Produkt bei Amazon, bietet das Unternehmen nicht nur an, was es selbst an Lager hat. Nein, Mitbewerber und Private können dasselbe Produkt zu ihren eigenen Preisen mit anbieten – selbst dann, wenn bei Amazon ein Artikel vergriffen ist. Stellen Sie sich vor, sie gehen zu Digitec, und dort steht neben einem iPad das Preisschild von Brack.ch und Steg Computer.
Sie halten die Strategie, private oder fremde Anbieter auf der eigenen Website zu integrieren für verrückt? Der Online-Umsatz von Digitec, Brack und Steg zusammen wird auf rund 400 Millionen Franken geschätzt. Auf Ricardo.ch und Ebay.ch verkaufen Private an Private Waren im Wert von knapp 900 Millionen Franken im Jahr. Web 2.0 bedeutet auch, dass Unternehmen im grossen Stil ausgeschlossen werden, wenn Private unter sich Geschäfte machen. Verrückt ist wohl eher, wer aus Prinzip neue Geschäftsmodelle verwirft.
Glauben Sie, der Sturm auf das Schweizer Bankgeheimnis oder die Finanzkrise seien Herausforderungen für unsere Banken? Vergessen Sie es. Was in den nächsten zehn Jahren dank Web 2.0 auf die Bankenwelt zukommt, ist eine grössere Herausforderung als die schlimmste Finanzkrise es sein kann. Kennen Sie Social Lending, Crowdfunding und Paypal? Für die Banken werden diese drei Begriffe in etwa dieselbe Bedeutung erhalten wie MP3, Napster und iPod für die Musikindustrie: Ein völliges Umkrempeln der Branche. Beim Social Lending lehnen private Personen privaten Personen Geld aus. Auf Websites wie Cashare.ch werden so Autos, Wohnungseinrichtungen und Ferien von Privat zu Privat finanziert. Der Zinsgewinn, das Risiko und das angelegte Geld gehen vollständig an unseren Banken vorbei. Das funktioniert auch für Unternehmen, dort nennt es sich Crowdfunding. Über Wemakeit.ch wurden soeben eine Dialekt-App und ein Skaterpark für je 10’000 Franken finanziert. Warum sollte der Coiffeursalon oder die nächste Schreinerei noch auf die Bank gehen?
Und damit kommen wir zu Paypal, einer Art Online-Bankkonto. Per E-Mail überweisen Sie sicher und innerhalb von Minuten Geld von einem Paypal-Konto oder Ihrer Kreditkarte auf das andere Paypal-Konto. Wir alle wissen, wie lange dies in der Schweiz zwischen einer und der anderen Bank dauert. Paypal hat über 200 Millionen Kunden und gehört damit zu den grössten bankähnlichen Unternehmen weltweit. Stellen Sie sich folgendes vor: Paypal erwirbt eine Schweizer Bankenlizenz und bietet ein normales Bankkonto an, auf das Ihr Arbeitgeber den Lohn bezahlen kann. Und jetzt ergänzen Sie dies um Crowdfunding und Social Lending. Wofür braucht es da noch eine normale Bank?
Müssen Sie bei Web 2.0 mitmachen? Wenn Sie in zwei Jahren in Pension gehen und es Ihnen egal ist, was Sie ihren Nachfolgern hinterlassen, lautet die Antwort «Nein». Ansonsten stellen Sie sich auf die Hinterbeine, hinterfragen Sie Ihr Geschäftsmodell und zeigen Sie Mut zur Innovation. Die Geschäftswelt verändert sich aktuell radikal.