CIO-Interview: «Man kann ohne Google zusammenpacken»
Quelle: Schweiz Tourismus

CIO-Interview: «Man kann ohne Google zusammenpacken»

Thomas Winkler, verantwortlich für den Bereich E-Commerce bei Schweiz Tourismus, teilt seine Social-Media-Erfahrungen und verrät, warum er das iOS bevorzugt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/09

     

Swiss IT Magazine: Herr Winkler, welche Aufgaben verantworten Sie bei Schweiz Tourismus (ST)?
Thomas Winkler: Ich trage die Verantwortung für die elektronischen Medien von ST weltweit. Dies beinhaltet unseren Webauftritt Myswitzerland.com, die Produktion von Websites für rund 70 touristische Destinationen, das CRM, die Entwicklung von Mobile Apps und einer mobilen Website, die aktuell gerade in Arbeit ist, das E-Marketing und in diesem Zusammenhang die Themen Social Media, die Newsletter-Kommunikation, Search Engine Optimierung (SOE) und Search Engine Marketing (SEM) sowie den Bereich Content Distribution. Ebenfalls in meiner Verantwortung liegt zudem der gesamte Broschürenversand, das sogenannte Mailing House – ein stark prozessorientierter, ausgelagerter Bereich, für den wir die Software geschrieben haben und der eng mit dem CRM verknüpft ist.


Um die eigentliche IT-Infrastruktur kümmern Sie sich also nicht?
Früher war ich auch für die interne IT-Infrastruktur verantwortlich, allerdings sind mein Team und der Aufgabenbereich in den Jahren stark gewachsen. So wurde die interne IT – insgesamt drei Leute – vor einiger Zeit unserer Finanz- und Infrastrukturabteilung angegliedert. Mein Team zählt aktuell 23 Mitarbeiter.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Team?
Wir arbeiten bei ST mit Key-Performance-Indikatoren (KPIs). Ein KPI sind unter anderem die Visits auf der Website, wo wir aktuell rund bei 25 Millionen pro Jahr sind und für dieses Jahr 26 Millionen anstreben. Allerdings ist dies stark abhängig von der Entwicklung des Tourismus in der Schweiz, und wir kämpfen hart um die Visits. Ein weiterer KPI ist die Steigerung der Newsletter-Abonnenten, von denen wir heute rund 550’000 haben und wo wir jährlich zirka 50’000 dazugewinnen. Doch das Hauptziel ist letztlich, die Schweiz zu verkaufen – sprich Übernachtungen in Hotels und Ferienwohnungen sowie Tagesausflüge.


Wie viel Geld wendet ST für den gesamten E-Commerce-Bereich auf?
Wir wenden für E-Commerce weltweit rund 19 Prozent des gesamten Marketingbudgets von ST auf – also rund 11 Millionen Franken pro Jahr.
Von der Grösse her ist ST ja eigentlich ein grösseres KMU, allerdings eines, das im E-Marketing ganz vorne dabei ist. Was braucht es, um als KMU Social Media erfolgreich zu nutzen?
Wichtig ist: Bevor man mit Social Media beginnt, muss man seine Hausaufgaben gemacht haben. Das bedeutet, die Website muss stark sein, ansonsten sollte man gar nicht mit Social Media loslegen. Social Media ist eine Herausforderung, denn man gibt die Kontrolle an die virtuelle Welt ab, was eine gewisse Gefahr birgt. Man muss bereit sein, den Dialog führen und die Aktivitäten überwachen. Aus diesem Grund haben wir eine Social-Media-Managerin angestellt, die nichts anderes macht, als den Bereich Social Media zu betreuen.

Ist eine dedizierte Stelle dafür notwendig?
Bei uns schon, denn wir sind weltweit tätig und haben zum Beispiel 250’000 Likers auf Facebook (Stand Ende Juli 2012, Anm.d.R.), wobei täglich 1000 neue dazukommen. Wir müssen diese Plattformen also sehr ernst nehmen. Es kann rasch passieren, dass etwas auf Facebook kommuniziert wird und die Reaktionen darauf eskalieren. Wenn man das dann nicht frühzeitig merkt, befindet man sich unglaublich rasch in der Defensive. Wenn man Ja sagt zu Social Media, müssen die Prozesse stimmen, die Abläufe müssen geregelt sein und man muss sehr schnell reagieren können, denn die Erwartungshaltung ist riesig. Wir überwachen unsere Plattformen deshalb beinahe rund um die Uhr.


Also würden Sie der Aussage zustimmen: Social Media – entweder richtig oder gar nicht.
Absolut, ja.
Wie haben Sie mit Social Media losgelegt?
Als Test begonnen haben wir vor gut drei Jahren, und zwar mit der Felsenputzer-Kampagne als 1.-April-Scherz. Dies aus dem Grund, weil man mit einem 1.-April-Scherz ja eigentlich keine Fehler machen kann. Mit dem Projekt wollten wir lernen und spüren, wie der Kanal Social Media tickt. Die Kampagne hat dann so gut funktioniert, dass wir innerhalb von drei Tagen 2000 Fans hatten. Daraufhin haben wir angefangen, eine Fanpage für ST zu bauen, diese zu pflegen und auf der Website – zum Start allerdings ganz dezent – Kommentarfunktionen bei unseren Wanderrouten-Vorschlägen einzubauen. So haben wir dann gelernt, wie die Verknüpfung von Website und Facebook funktionieren kann. Daraufhin wurden der Facebook-Auftritt und die Verknüpfung mit unserer Website langsam erweitert und ausgebaut.


Nutzen Sie nebst Facebook noch andere Social-Media-Kanäle?
Ein grosser Bereich sind bei uns auch Hotelbewertungen, wo wir mit Holidaycheck und Trustyou.com arbeiten. Für Hoteliers sind Hotelbewertungen übrigens ein sehr guter Einstieg in den Social-Media-Bereich. Ein weiterer Kanal, den wir nutzen, ist Youtube, wo wir zum Beispiel unsere Spots aufschalten, die jedes Mal einige Hundertausend Views erreichen und wo ebenfalls Kommentare geschrieben und Fragen gestellt werden. Ebenfalls haben wir für die unterschiedlichen Sprachen sieben Twitter-Kanäle mit rund 22‘000 Followern, vor allem aus dem B2B-Umfeld. Journalisten folgen uns, aber auch die Branche und Mitbewerber.

Google+ ist kein Thema?
Wir sind auf Google+ präsent, allerdings hat es kaum Nutzer auf der Plattform. In meinen Augen ist Google+ technisch, funktional und vom Design her eine hervorragende Lösung. Doch: Welcher Nutzer pflegt schon mehrere Social-Media-Plattformen. Die Anwender dazu zu bewegen, von Facebook auf Google+ zu wechseln, ist eine riesige Herausforderung für Google, weil die parallele Nutzung durch den User utopisch ist.


Wie sieht es im Bereich Apps aus? Auf welche Plattformen setzen Sie da?
Aktuell haben wir zwölf Apps auf dem Markt. Primär setzen wir auf die iOS-Plattform, da über die Apple-Geräte – auch heute noch – weitaus am meisten Traffic generiert wird. Aktuell sind iOS-Geräte für 16 Prozent unseres gesamten Traffics verantwortlich, wobei 10 Prozent auf das iPhone und 6 Prozent auf das iPad fallen. Dass wir vor allem auf iOS setzen, liegt aber auch daran, dass wir es uns nicht leisten können, für alle Plattformen zu entwickeln. Bei Android haben wir zudem die Problematik, dass durch die schnelle Versionsabfolge des Betriebssystems aus unserer Sicht der Wartungs- und Anpassungsaufwand für die Applikationen sehr hoch ist. Hinzu kommt, dass die Geräte sich Hardware-mässig unterscheiden und zum Beispiel jedes mit einer anderen Bildschirmauflösung kommt. Allerdings haben wir auf den vergangenen Winter hin unsere Swiss Snow App – mit über 400’000 Downloads unsere erfolgreichste App – auch für Android entwickelt, um Erfahrungen zur Nutzung zu sammeln.
Und wie sehen diese Erfahrungen aus?
Bis Mitte Februar 2012 wurde die Android-App 15’000 Mal heruntergeladen, das iOS-Pendant im selben Zeitraum drei Mal mehr – und das, obwohl es die iOS-Version schon viel länger gibt und damit eine gewisse Marktsättigung bereits erreicht wurde. Nichtsdestotrotz: Android ist bei uns im Fokus, und auch für die Windows-Phone-Plattform haben wir schon entwickelt, allerdings ist diese Plattform in meinen Augen aufgrund der geringen Geräteverbreitung heute noch vernachlässigbar.


Wie gehen Sie bei der App-Entwicklung vor?
Wir gehen immer so vor, dass wir bei Entwicklungen die Projektleitung intern machen, und dann Spezialisten suchen, die Erfahrung in dem Bereich haben, den wir gerade brauchen. Suchen wir zum Beispiel eine Kartenanwendung, schauen wir im App Store, wer schon ähnliche Anwendungen erfolgreich entwickelt hat, und kontaktieren diesen Entwickler beziehungsweise dieses Unternehmen. In der Regel handelt es sich dabei um kleine Firmen, die erfolgreich im App Store unterwegs sind.
Suchen Sie diese Entwickler weltweit, oder primär in der Schweiz?
Wir arbeiten meist mit Schweizer Entwicklern. Es gibt in der Schweiz viele gute Firmen, die in diesem Bereich tätig sind.

Gibt es aktuell neue Apps, die sich in Entwicklung befinden?
Wir arbeiten im Moment an einer App, mit der Familien Ausflugsmöglichkeiten finden können. Diese entwickeln wir für iOS und Android. Windows Phone lassen wir vorerst aus, ausser wir finden jemanden, der uns eine Windows-Variante finanzieren würde. Daneben lancieren wir aktuell alle unseren City-Apps auch für Android. Der Grund liegt darin, dass diese Apps vor allem von ausländischen Besuchern genutzt werden und Android im Ausland eine wesentlich grössere Bedeutung hat als in der Schweiz. Die Schweiz ist ein Apple-Land.


Die Crossplattform-Entwicklung war oder ist für Sie kein Thema?
Bei unserer Broschüren-App Myswitzerland, quasi einem Kiosk, über den man Broschüren elektronisch beziehen kann, haben wir das ausprobiert. Wir haben dabei mit einer nativen Rahmen-App, HTML5, CSS3 und Javascript gearbeitet, die rasch portiert werden können. Allerdings nutzen wir auch hier Geräte-spezifische Elemente wie etwa Hardware-Beschleunigung, was dann trotzdem Anpassungen mit sich bringt.
Kommen wir aufs Thema E-Marketing – also auf Suchmaschinenoptimierung und -marketing, Online-Werbung, Mail- und Social-Media-Marketing und Content Distribution – zu sprechen: Welches ist Ihr wichtigstes Instrument in diesem Bereich?
Die Instrumente ergänzen sich alle, doch man kann sicher sagen, dass die Suchmaschinenoptimierung das wichtigste Instrument ist, denn über 50 Prozent unseres Traffics stammen aus organischen Google-Suchanfragen. Weitere 10 Prozent kommen via Adwords auf Google, wo uns ein Klick – jedoch stark abhängig von Zielmarkt – heute im Schnitt 40 Rappen kostet. Sie sehen also: Man kann ohne Google zusammenpacken. Wichtig ist aber auch die Content Distribution, um auf den grossen Plattformen präsent zu sein – etwa mit unseren Wintersportberichten. Mit Online-Werbung verfolgen wir derweil eher Promotionsziele und wollen so die Marke transportieren. Hier ist erwähnenswert, dass die Dauer eines Besuchs, der über Displaywerbung auf unsere Site kommt, viel tiefer ist als etwa bei jemandem, der via Suchmaschine bei uns landet. Mit dem Instrument Newsletter sprechen wir eher ältere Besucher an, Personen im Alter von 40 Jahren und aufwärts. Mit Social Media Marketing erreichen wir derweil Besucher zwischen 25 und zirka 50 Jahren. Dieser Kanal ist nur für einen geringen Anteil des Traffics auf unserer Site verantwortlich, allerdings ist das auch nicht das Ziel. Diese Besucher wollen und sollen auf unserer Facebook-Site bleiben und dort gut betreut werden.


Wie bringen Sie die Facebook-Besucher dazu, irgendwann auch etwas zu buchen oder zu kaufen?
Indem wir Tipps abgeben – Ausflugstipps für die schönsten Wanderungen beispielsweise, oder Tipps für Übernachtungsmöglichkeiten.
Den Erfolg solcher Tipps zu messen, dürfte relativ schwierig sein.
Die Erfolgsmessung geschieht hier unter anderem über die Interaktionsrate. Im Bereich Social Media muss man etwas umdenken und kann den Erfolg nicht einfach über Buchungen oder Klickraten messen. Unser Ziel ist es zudem, gleich viele Likers wie Newsletter-Abonnenten zu haben. Bedenkt man, dass wir täglich 1000 neue Likes auf Facebook generieren und schon 250’000 Likes haben, dürften wir dieses Ziel kommendes Jahr erreichen. Das Ganze ist aber auch abhängig davon, wie sich Facebook entwickelt.


Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich sonst aktuell noch?
Am meisten Energie investieren wir sicher in die Website, denn sie ist das Zentrum unserer Kommunikationsinstrumente. Wie haben Myswitzerland.com im letzten Jahr komplett umgebaut und sind nach wie vor am optimieren. Das Ganze ist ziemlich komplex, denn wir haben zum einen ein sehr breites Produktportfolio, und zum anderen unterschiedlichste Zielgruppen. Einem Gast aus Japan setzen wir völlig anderen Content vor als einem deutschen Gast – auch Angebote, die dann teils nur aus einem bestimmten Land gebucht werden können. Wir müssen auch kulturelle Begebenheiten berücksichtigen. Im arabischen Markt müssen wir beispielsweise mit anderen Bildern arbeiten. Ein wichtiges Thema ist für uns zudem der Mobile-Bereich. Inzwischen kommen bereits 20 Prozent aller Google-Anfragen von mobilen Geräten, weshalb wir daran arbeiten, unsere Website weiter für solche Geräte zu optimieren. Eine mobile Website setzt eine ganze andere Art der Content-Aufbereitung voraus, eine andere Navigationsstruktur. Ausserdem bieten mobile Geräte neue Möglichkeiten, beispielsweise mittels Geo Localisation abhängig vom Standort des Nutzers. Eine Schnittstelle zwischen herkömmlicher und mobiler Website ist für mich derweil das iPad. Für das iPad haben wir die Website nicht speziell angepasst, aber beispielsweise entschieden, komplett auf Flash zu verzichten und stattdessen auf HTML5 zu setzen. Ausserdem läuft als weiteres Projekt die Umstellung unserer Print-Broschüren auf den elektronischen Vertrieb über den Broschüren-Kiosk, den ich vorher schon erwähnt habe.
Was reizt Sie als diplomierten Informatik-Ingenieur und ehemaligen Oracle-Mann eigentlich an Ihrer Aufgabe bei ST?
Ich habe bei Oracle lange im Banken- und Versicherungsumfeld gearbeitet – ein spannender Bereich mit spannenden Produkten. Doch das Produkt Schweiz bringt zusätzlich Emotionalität mit sich, etwas, das man bei Oracle sicher weniger findet. Allerdings wäre ich ohne Jürg Schmid (Direktor von ST, Anm.d.R.) nie bei ST gelandet. Ich habe mit Jürg Schmid bereits bei Oracle lange zusammengearbeitet, und er hat mich im Jahr 2000 mit zahlreichen «Werbeminuten» motiviert, zu ST zu kommen und den Bereich E-Commerce aufzubauen. Mich reizte die Chance, etwas zu bewegen und für das Produkt Schweiz zu arbeiten, das ich fantastisch finde. Hinzu kommt, dass ich mich nicht als typischen Informatiker bezeichne. Ich sehe mich eher als Informatik-/Marketing-Menschen. IT-mässig weiss ich, wovon ich spreche, doch primär mache ich heute elektronisches Marketing.


Sie sind auch Mitglied der Geschäftsleitung. Wie wichtig ist das für Ihren Job?
Extrem wichtig. Der elektronische Bereich hat bei ST eine enorm hohe Bedeutung. Dadurch, dass ich in der Geschäftsleitung bin, kann ich grossen Einfluss nehmen und das Produkt vorwärtsbringen. Anders wäre das nicht möglich. (mw)


Weitere Artikel zum Thema

SBB-CIO Peter Kummer: "Wir setzen heute vermehrt auf Consumer-Geräte"

10. Juli 2012 - Peter Kummer betreut mit seinen rund 850 Mitarbeitenden die Informatik bei der SBB. Im Interview mit "Swiss IT Magazine" spricht er über die Herausforderungen.

CIO-Interview: «Wir entwickeln und betreuen unser ERP selbst»

8. Juni 2012 - Peter Hagen, Leiter Informatik beim Logistikunternehmen Planzer, hat im Gespräch mit "Swiss IT Magazine" unter anderem verraten, weshalb er lieber mit einem selbstentwickelten ERP-System arbeitet.

Kommentare
ST macht wirklich einen guten Job. Vor allem auch im Bereich Social Media.
Mittwoch, 5. September 2012, Stephanie Günzler



Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER